Flüchtlinge in einem Bus
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Gekommen, um zu bleiben? Asylrecht: So sind Abschiebungen in Deutschland geregelt

26. Oktober 2023, 07:32 Uhr

Bundesinnenministerin Nancy Faeser bringt am Mittwoch ein Gesetzespaket ins Kabinett, mit dem sie die Abschieberegelungen in Deutschland verschärfen will. Damit folgt sie Forderungen nach einer restriktiveren Abschiebepolitik, denen sich auch Kanzler Scholz angeschlossen hatte. Organisationen wie Pro Asyl kritisieren das Vorhaben. Doch was wird da eigentlich verschärft? So sind Abschiebungen derzeit in Deutschland geregelt:

Wann können Asylsuchende abgeschoben werden?

Wer in Deutschland ein Asylgesuch stellt, erhält zunächst eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, während der Antrag geprüft wird. Wird der Asylantrag abgelehnt, hat die Person kein Aufenthaltsrecht mehr und ist verpflichtet, Deutschland innerhalb einer bestimmten Frist zu verlassen. Für gewöhnlich beträgt diese Frist 30 Tage, abgelehnte Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten haben jedoch nur eine Woche Zeit. Wer diese Frist nicht einhält, kann zwangsweiße abgeschoben werden. Dabei handelt es sich um eine Zwangsmaßnahme des Staates, die von Bundespolizei und Länderpolizeien durchgesetzt wird - auch gewaltsam.

Was ist ein sicherer Herkunftsstaat?


Im Rahmen der Reformen zum Asylrecht gab es mehrfach Bestrebungen mehr Länder als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ zu designieren, um Abschiebungen zu erleichtern. Asylanträge von Menschen, die aus „sicheren“ Ländern kommen, werden dem Mediendienst Integration zufolge regelmäßig als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Die Ausreisefrist dieser Menschen verkürzt sich auf eine Woche.

Nach EU-Recht können Mitgliedsstaaten einzelne Länder als "sicher" einstufen, wenn dies von internationalen Informationsquellen wie dem UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) bestätigt wird. Abgesehen von Italien und Schweden führen alle EU-Mitgliedstaaten eine Liste von "sicheren Herkunftsstaaten".

Seit Oktober 2015 gelten in Deutschland Senegal, Ghana, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Kosovo, Albanien und Montenegro als "sichere Herkunftsstaaten". Ein Gesetz, das auch Tunesien, Algerien und Marokko als "sicher" einstufen sollte, scheiterte 2016 im Bundesrat. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem neuen Gesetzentwurf, mit dem Georgien und Moldau als "sicher" eingestuft werden sollen.

Warum werden "ausreisepflichtige" Menschen nicht abgeschoben?

Derzeit sind dem Ausländerzentralregister zufolge etwa 279.000 Menschen ausreisepflichtig, etwa 50 Prozent von ihnen sind abgelehnte Asylbewerber. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zu Abschiebungen und Ausreisen im ersten Halbjahr 2023 hervor. Doch etwa 80 Prozent dieser Menschen können nicht abgeschoben werden. Sie werden "geduldet".

Das kann eine Abschiebung verhindern:

  • die Landesbehörde setzt die Abschiebung "aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen" für maximal drei Monate aus 
  • es wird eine qualifizierte Berufsausbildung absolviert
  • die Person hat ein minderjähriges Kind, das eine Aufenthaltserlaubnis hat
  • die Person ist mit einem anderen Geduldeten eng verwandt
  • die Person hat eine schwerwiegende Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann
  • rechtliche Gründe, die eine Ausreise verhindern, etwa fehlende Reisedokumente

Fehlende Reisedokumente waren Stand Juni 2023 der häufigste Grund für "Duldungen". Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE hervor. Die Ausländerbehörden gehen aber nur bei etwa neun Prozent dieser Menschen davon aus, dass sie ihre Abschiebung aktiv verhindern wollen.

Die Zahl der ausreisepflichtigen Menschen ist in diesem Jahr erstmals zurückgegangen - um acht Prozent. Das liegt dem Mediendienst Integration zufolge in erster Linie daran, dass viele ausreisepflichtige Personen mit einer Duldung einen "Chancenaufenthalt" beantragt haben. Das ist seit 2023 möglich.

"Kriminelle" Ausländer ausweisen oder abschieben?

Die Bundesinnenministerin will mit ihrem neuen Gesetzespaket auch Straftäter und Gefährder konsequenter und schneller ausweisen und abschieben, wie sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mitteilte. Die Worte "ausweisen" und "abschieben" werden in der Migrationsdebatte oft synonym verwendet, bedeuten rechtlich aber sehr verschiedene Dinge. Bei einer "Abschiebung" wird ein Ausländer außer Landes gebracht. Bei einer "Ausweisung" wird zunächst der Aufenthaltstitel entzogen. Darauf folgt nicht zwingend eine Abschiebung.

Eine Ausweisung wird dem Aufenthaltsgesetz zufolge dann vorgenommen, wenn der Ausländer "die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet".

Dabei wird aber abgewogen, ob das Interesse der Bundesrepublik, den Ausländer auszuweisen, schwerer wiegt als das Interesse der Person zu bleiben. Das Ausweisungsinteresse gilt laut Aufenthaltsgesetz dann als besonders hoch, wenn Straftaten "gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, oder das Eigentum" begangen wurden.

Nancy Faeser
Innenministerin Nancy Faeser will Mitglieder sogenannter krimineller Clan-Familien leichter ausweisen können. Bildrechte: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Auch bei Widerstand gegen die Polizei oder wenn die Person zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft oder Mitglied einer kriminellen oder terroristischen Organisation ist, gilt das Ausweisungsinteressse als besonders schwerwiegend. Dem gegenüber gilt das Bleibeinteresse dann als besonders hoch, wenn der Ausländer in Deutschland geboren ist beziehungsweise hier länger als fünf Jahre lebt.

Innenministerin Nancy Faeser hatte im August vorgeschlagen, Angehörige sogenannter "Clan-Familien" als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung künftig auch ohne strafrechtliche Verurteilung auszuweisen. Der Vorschlag stieß auf politische und juristische Kritik. "Allein die Zugehörigkeit zu einer Familie reicht nicht für die Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung aus, da müsste man schon an den kriminellen Strukturen mitwirken", sagte Jurist und Migrationsforscher Daniel Thym dem ZDF.

Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen), spricht im Deutschen Bundestag 6 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Kann Deutschland Asylsuchende an den Grenzen zurückweisen?

Bei Zurückweisungen verweigern deutsche Behörden Menschen an der Grenze die Einreise, wenn diese zum Beispiel keinen gültigen Ausweis besitzen oder zuvor aus Deutschland ausgewiesen worden waren. Darüber hinaus gibt es noch sogenannte Zurückschiebungen. Dabei werden Menschen, die unerlaubt eingereist sind, innerhalb kurzer Zeit in ihr Herkunftsland oder das EU-Land, das nach der Dublin-Verordnung für sie zuständig ist, "zurückgeschoben".

Dublin-Verordnung Danach müssen Flüchtlinge in dem europäischen Mitgliedstaat um Asyl nachsuchen, also das Verfahren durchlaufen, den sie zuerst betreten haben. Das System benachteiligt die südeuropäischen Länder am Mittelmeer, wo die meisten Menschen ankommen. Bundeszentrale für politische Bildung

Bittet eine Person jedoch an der Grenze oder im Inland um Asyl, ist eine direkte Zurückschiebung oder -weisung in der Regel nicht möglich. Zunächst muss festgestellt werden, welches Land nach dem Dublin-Verfahren für den Asylantrag der Person zuständig ist.

Das ist derzeit an der Grenze nicht möglich. Eine Ausnahme wird gemacht, wenn Hinweise vorliegen, dass Griechenland für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist. Dann können Menschen auch direkt dorthin zurückgeschoben werden, weil Deutschland ein spezielles Rücknahmeübereinkommen mit Griechenland abgeschlossen hat.

Die Quote der positiv beschiedenen Asylanträge liegt der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge im laufenden Jahr bei 52 Prozent – dazu zählen die Anerkennung als Flüchtling, subsidiärer Schutz und Abschiebeverbote.

Die EU-Asylreform, auf die sich die EU-Innenminister im Juni geeinigt haben, sieht indes vor, künftig sogenannte "Grenzverfahren" an EU-Außengrenzen zu ermöglichen. Dabei sollen Asylsuchende mit geringer Aussicht auf ein Bleiberecht an den Grenzen in sogenannten "Asylzentren" bis zu zwölf Wochen festgehalten werden, während ihr Antrag geprüft wird.

In Deutschland wurden zwischenzeitlich stationäre Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz eingeführt, mit dem Ziel die illegale Einreise zu begrenzen und Schleuserkriminalität besser verfolgen zu können.

Warum haben wir keine Asyl-Obergrenze?

In der Migrationsdebatte kommt immer wieder die Idee einer Obergrenze für Geflüchtete auf. Maximal 200.000 Menschen sollen nach Vorstellungen der CDU aufgenommen werden. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat sich wiederholt für eine Begrenzung ausgesprochen und schließt für deren Umsetzung auch eine Grundrechtsänderung nicht aus.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen hält auch eine Obergrenze für Geflüchtete von 200.000 für zu hoch. Bildrechte: picture alliance/dpa | Hannes P Albert

So einfach ist es allerdings nicht. Das Asylrecht im deutschen Grundgesetz wurde mit der Reform von 1993 stark eingeschränkt. Seitdem hat es an Bedeutung verloren – in der Praxis orientiert sich Deutschland heute an EU-Recht, das wiederum maßgeblich auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußt.

Juristin Nora Markard erklärte im Interview mit dem Mediendienst Integration, wenn man in Deutschland eine Asyl-Obergrenze einführen wolle, müsste man dafür das sogenannte individuelle Asylrecht abschaffen. Denn das stelle über das Gebot des Non-Refoulement sicher, dass niemand in eine Situation abgeschoben werden darf, wo Verfolgung, Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Zu diesem menschenrechtlichen Standard gebe es in der EU Richtlinien, die Vorrang vor deutschem Recht hätten.

Markard sagt, egal welche Obergrenze Deutschland festlege, wenn nach deren Erreichen noch jemand komme und Anspruch auf Schutz habe, dann sei seine Zurückweisung völkerrechtlich und unionsrechtlich verboten.

Warum werden Menschen in Abschiebehaft genommen?

Das Gesetzespaket von Innenministerin Faeser sieht unter anderem vor, dass die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage verlängert werden soll. Beim Ausreisegewahrsam handelt es sich um eine Form der Abschiebehaft. Diese kann gegen Menschen verhängt werden, die unmittelbar ausreisepflichtig sind, Deutschland aber nicht freiwillig verlassen.

Das kann aber laut Aufenthaltsgesetz nur dann von einem Gericht angeordnet werden, wenn keine andere Möglichkeit gesehen wird, die Ausreise durchzusetzen beziehungsweise eine "erhebliche Fluchtgefahr" besteht. Demnach können auch Ausreisepflichtige, von denen eine "Gefahr für Leib und Leben Dritter" ausgeht, in Abschiebehaft genommen werden.

Mit der Reform des Abschieberechts 2019 wurde es Ausländerbehörden allerdings ermöglicht, Ausreisepflichtige auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Person untertauchen will.

Es gibt verschiedene Arten der Abschiebehaft:

  • Zurückweisungshaft, für Menschen, die zurückgewiesen wurden, bei denen aber die Zurückweisung nicht direkt vollzogen werden kann (maximal 6 Monate, in Ausnahmefällen bis 18 Monate).
  • Überstellungshaft für Personen, die aufgrund der Dublin-Verordnung in andere EU-Länder abgeschoben werden müssen (bis zu 12 Wochen).
  • Vorbereitungshaft für Personen, die bald abgeschoben werden (maximal 6 Wochen).
  • Ausreisegewahrsam für Personen, bei denen angenommen wird, dass sie versuchen werden, sich der Abschiebung zu entziehen (maximal 10 Tage).

Die Praxis der Abschiebehaft wird seit Jahren immer wieder kritisiert. Bereits vor sechs Jahren hat eine Untersuchung des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN) im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ergeben, dass die Inhaftierung ausreisepflichtiger Personen teuer und nicht besonders effektiv sei.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 23. Oktober 2023 | 08:52 Uhr

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