Eine Pflegerin spricht mit der Bewohnerin eines Pflegeheimes.
Bei vielen Menschen reicht das eigene Geld nicht, um einen Platz im Pflegeheim zu bezahlen. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Willnow

Gesundheit Kommunen schulden Pflegeheimen Beiträge aus Sozialhilfe

19. September 2023, 05:00 Uhr

Wer seinen Pflegeplatz nicht aus eigener Tasche bezahlen kann, für den springt das Sozialamt ein. Doch bis die Kosten übernommen werden, vergeht oft viel Zeit. Das bereitet den Pflegeheimbetreibern große Probleme.

Wer an seinem Lebensabend im Heim gepflegt wird, muss einen Eigenanteil zahlen. Der ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. So stark, dass bei immer mehr Menschen das eigene Geld nicht mehr reicht, um ihn zu bezahlen. Dann müssen die Sozialämter mit der sogenannten "Hilfe zur Pflege" übernehmen. Aber bei der Umsetzung hakt es aktuell, beklagen die Pflegeheime.

Pflegeheime warten lange auf ihr Geld

Die Aussage von Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege, lässt aufhorchen. Die von seinem Verband vertretenen privaten Pflegeheimbetreiber warteten immer länger auf ihr Geld: "Es ist ein großes Problem für die Unternehmen, weil die das vorfinanzieren. Die haben die laufenden Kosten: Löhne, Gehälter, Steuern. Das muss alles sofort bezahlt werden. Aber das Geld vom Sozialamt kommt sechs bis acht Monate später." Eine solche Lücke könne zu großen Probleme bis hin zur drohenden Insolvenz führen.

Tatsächlich wurden 2023 einige größere private Pflegeheimbetreiber insolvent, etwa Convivo und Novent, die beide auch Pflegeheime in Mitteldeutschland betreiben. Die Gründe dafür sind aber vielfältig. Auch Fachkräftemangel, schlechte Auslastung und steigende Löhne können Heime vor Probleme stellen. Kommen dann verzögerte Zahlungen der Sozialämter hinzu, kann das die Probleme verschärfen.

Viele Pflegebedürftige im Kyffhäuserkreis – bis zu vier Monate Bearbeitungszeit

MDR AKTUELL fragte im Kyffhäuserkreis nach, der im Jahr 2021 laut einer Statistik der Techniker Krankenkasse die meisten Pflegebedürftigen in Thüringen hatte. Marc Ziegler, der Leiter des dortigen Sozialamts sagt, dass die Bearbeitungsdauer zwischen zwei und vier Monate betrage – je nachdem, ob auch alle Unterlagen vorgelegt würden.

Pflegesatz des ausgewählten Heims, Bescheide der Kasse, Rente, andere Einkünfte, Vermögen und das Einkommen Angehöriger – das alles wird geprüft. Erst dann übernimmt die Sozialkasse. Sie zahlt dann die 2.248 Euro pro Monat, die Pflegebedürftige in Thüringen am Anfang ihres Aufenthalts im Heim durchschnittlich aus eigener Tasche zahlen müssten.

Weil dieser Eigenanteil in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist, kommen immer öfter Menschen zu Ziegler und seine Mitarbeitern, die gar nicht darauf gefasst waren: "Ich denke mal nicht, dass jemand, der über eine Rente von 1.600 oder 1.700 Euro netto verfügt, darüber nachgedacht hat, im Alter auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Aber da sind wir leider, aufgrund der Höhe des Eigenanteils in den stationären Pflegeeinrichtungen."

Viele Antragssteller seien zusätzlich überrascht, wenn sie erfahren, dass sie erst ihr Haus verkaufen müssten, bevor der Staat einspringt. Auch das habe sowohl Beratung als auch Antragsbearbeitung aufwändiger gemacht.

Städte- und Gemeindebund: "Ein Ende ist nicht abzusehen"

Tendenziell werden zeitlicher und finanzieller Aufwand für die Kommunen weiter steigen, obwohl sich das "Hilfe zur Pflege"-Budget für den Kyffhäuserkreis seit 2018 bereits nahezu verdoppelt hat. Eine Entwicklung, die Gerd Landsberg, Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, bundesweit bestätigt: "Ein Ende ist nicht abzusehen – Inflation, Personalmangel. Und da muss man wissen, dass die Pflegeversicherung ja ursprünglich nicht nur wegen der Betroffenen, sondern auch wegen der Kommunen auf den Weg gebracht wurde, weil man die Kommunen entlasten wollte." Das sei am Anfang gelungen, aber jetzt nicht mehr, wie die Kosten immer weiter steigen. "Und da brauchen wir eine Lösung."

Landsberg sieht steigende Beiträge zur Pflegeversicherung als eine mögliche Option, um den Eigenanteil zu reduzieren. Die Wohlfahrtsverbände und Interessenvertreter von Pflegebedürftigen fordern eine Pflegevollversicherung, die den Eigenanteil ganz abschafft. Bis eine Reform kommt, könnten so auch die monatelang nicht beglichenen Löcher in den Kassen der Pflegeheime wachsen. Auch wenn Sozialämter wie das von Marc Ziegler im Kyffhäuserkreis ihren Zahlungsverpflichtungen so gut wie möglich nachkommen wollen: "Wir gehen davon aus, dass wir weiterhin die Kosten dafür bestreiten können – wir müssen sie bestreiten."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. September 2023 | 06:00 Uhr

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