Antisemitismus Bekenntnis zu Israel als Voraussetzung für Einbürgerung umstritten

20. Dezember 2023, 17:42 Uhr

Als erstes Bundesland bindet Sachsen-Anhalt die Einbürgerung an das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Am Mittwoch ist die Neuregelung erstmals zur Anwendung gekommen. In Stendal wurden 17 Frauen, Männer und Kinder eingebürgert. Das Vorgehen ist umstritten.

  • Einem Staatsrechtler zufolge ist der Vorstoß Sachsen-Anhalts gleich aus mehreren Gründen rechtlich nicht wasserdicht.
  • Der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, hält den Schritt zwar für wichtig, aber auch für aktionistisch.
  • Nach Ansicht einer Bundestagsabgeordneten der Linken sorgt das Vorgehen für Diskriminierung und stellt Ausländer unter Generalverdacht.

"Dass die besondere deutsche Verantwortung für den Staat Israel ausdrücklich anerkannt wird und auch das Existenzrecht Israels anerkannt wird, das wird jetzt von denjenigen, die eingebürgert werden wollen, schriftlich zu bestätigen sein." So erklärt die sachsen-anhaltische Innenministerin Tamara Zieschang von der CDU die Anordnung ihres Ministeriums.

Per Erlass hatte sie die Landkreise und kreisfreien Städte Ende November angewiesen, die Richtlinien für die Einbürgerung zu erweitern. Hintergrund ist der Überfall der Terrormiliz Hamas auf Israel und die Folgen auch für das jüdische Leben in Deutschland.

Aus mehreren Gründen problematisch

Kein anderes Bundesland verlangt bislang ein derartiges Bekenntnis. Das hat aus Sicht von Tarik Tabbara, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, auch seine Gründe. Er hält den Erlass aus Magdeburg für "keine wasserdichte rechtliche Konstruktion."

Tabbara gehört zu den Sachverständigen bei der Erarbeitung eines neuen Staatsangehörigkeitsrechts, das im kommenden Jahr im Bundestag verabschiedet werden soll. Dort werde aktuell diskutiert, wie das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung um Fragen des Antisemitismus erweitert werden soll. Umso größer ist sein Befremden: "Hier wird so ein bisschen vorgeprescht. Wir haben keine sachsen-anhaltische Staatsangehörigkeit, sondern wir haben eine deutsche Staatsangehörigkeit – und da sind solche Alleingänge einzelner Bundesländer immer hochproblematisch."

Und das gleich in vielerlei Hinsicht: Zum einen sei nicht klar definiert, was das Existenzrecht Israels genau bedeutet. "Zu welchen Grenzen bekenne ich mich da eigentlich? Das ist ja völkerrechtlich höchst umstritten, die jetzige Situation in Israel zu bewerten, also auch noch vor dem 7. Oktober." Zum anderen sei da die grundrechtliche Dimension. Da gebe es auch einen Schutz davor, sich zu einer politischen Meinung bekennen zu müssen.

Und schließlich die doppelten Standards: Wenn sich etwa herausstelle, dass ein Bekenntnis nicht aufrichtig gemeint war, kann man die Staatsbürgerschaft auch wieder verlieren. "Das könnte einem in Deutschland Geborenen ja nie passieren", argumentiert Staatsrechtler Tabbara.

Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck von den Grünen, hält den Impuls aus Sachsen-Anhalt für wichtig, wenn auch ein wenig – wie er sagt – aktionistisch in der Formulierung. Aber: "Das Thema Antisemitismus zerfrisst wirklich die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und heutzutage wird eben Antisemitismus ganz häufig als Israelhass kolportiert."

Aus seiner Sicht muss allerdings weniger tagesaktuell formuliert und dafür deutlicher gemacht werden, dass es insgesamt darum gehe, die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Menschenwürde zu akzeptieren. Daraus folge eben auch, sagt Beck, dass man Antisemitismus ablehnen müsse und dass die Forderung, einen Staat auszulöschen, der Mitglied der Vereinten Nationen ist, "natürlich gegen den Völkerfrieden verstößt."

Kein wirksames Mittel gegen Antisemitismus

Grundsätzliche Kritik kommt hingegen von der Bundestagsabgeordneten der Linken Clara Bünger, zuständig für Fragen der Flucht- und Rechtspolitik. Für sie ist das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels bei der Einbürgerung nicht viel mehr als Schaufensterpolitik. "Man muss vor allen Dingen die Realität anerkennen und verstehen, dass Antisemitismus nicht nur von einer Bevölkerungsgruppe ausgeht, sondern in Deutschland tief verwurzelt ist."

Wenn Menschen einen Satz aufsagten, würde sich die Realität im täglichen Umgang miteinander nicht ändern, sagt Bünger. "Sondern wir müssen aktiv Initiativen stärken, wir müssen Zivilgesellschaft stärken." Es werde, so Bünger, durch den Erlass nicht weniger Antisemitismus in Sachsen-Anhalt geben, aber er werde zu Diskriminierung führen und Nichtdeutsche unter Generalverdacht stellen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 20. Dezember 2023 | 06:09 Uhr

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