Soldaten und Militärfahrzeuge
Für die eigene Verteidigung braucht die Ukraine internationale Hilfen. Die MDRfragt-Gemeinschaft sieht die deutschen Waffenlieferungen mehrheitlich kritisch. Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

MDRfragt Große Ablehnung von Taurus-Lieferungen an Ukraine

24. Februar 2024, 05:00 Uhr

Seit zwei Jahren verteidigt sich die Ukraine gegen den russischen Angriff und braucht internationale Hilfe. Die MDRfragt-Gemeinschaft blickt kritisch auf die deutschen Waffenlieferungen. Auch, weil sie um die Sicherheit Deutschlands besorgt ist. Eine Mehrheit der knapp 28.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt an: Der Krieg wirkt sich negativ auf ihr eigenes Sicherheitsgefühl aus.

MDR-Redakteurin Franziska Höhnl
MDR-Redakteurin Franziska Höhnl Bildrechte: MDR / David Sievers

"Bis zum Beginn des Krieges war ich als ehemaliger DDR-Bürger der Meinung, dass von russischer Seite nie ein neuer Krieg auf europäischem Territorium ausgehen wird. Ich war ehrlich geschockt", schreibt MDRfragt-Mitglied Thilo (64 Jahre) aus Mittelsachsen. Er hat an unserer aktuellen, nicht repräsentativen Befragung anlässlich des zweiten Jahrestages des russischen Angriffs auf die Ukraine mitgemacht. Thilo schreibt weiter: Er verstehe bis heute nicht, was der russische Präsident Wladimir Putin mit dem Angriff bezwecke. "Territorium oder Rohstoffe oder gekränkte Eitelkeit von Putin?"

Viele persönlich verunsichert, doch ihr Anteil sinkt

Der 64-Jährige gehört zu den knapp zwei Dritteln der Befragten, die angaben, ihr Sicherheitsgefühl sei durch den Ausbruch des Ukraine-Kriegs nachhaltig beeinträchtigt. Damit herrscht in der MDRfragt-Gemeinschaft überwiegend ein Unsicherheitsgefühl.

Das persönliche Sicherheitsgefühl hat sich jedoch im Vergleich zum Vorjahr deutlich aufgehellt: Als wir damals die gleiche Frage stellten, gaben sogar mehr als drei Viertel der Befragten an, ihr Sicherheitsgefühl sei durch den Ukraine-Krieg nachhaltig beeinträchtigt.

Diagramm: Persönliches Sicherheitsgefühl ist durch Ukraine-Krieg beeinträchtigt
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Immer wieder findet sich in den Kommentaren der fast 28.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des aktuellen Stimmungsbildes der Satz: "Ich habe Angst". Viele teilen die Sorge, die Unterstützung von Deutschland und anderen Ländern könnte dazu führen, dass sich der Krieg ausweitet.

Der bereits zitierte Thilo aus Mittelsachsen glaubt nicht, dass Russland militärisch besiegt werden kann. Er sieht die westlichen Waffenlieferungen vor diesem Hintergrund kritisch: "Russland wird man nicht mit Waffen schlagen können, das hat die Geschichte gezeigt", meint er. "Leider sehe ich nach wie vor keine diplomatischen Anstrengungen zur Beilegung des Konfliktes."

Viele wünschen sich mehr Diplomatie

Mit seiner Argumentationslinie bildet er jeweils die überwiegende Sicht der MDRfragt-Gemeinschaft ab: Denn die Mehrheit wünscht sich einerseits mehr diplomatische Bemühungen von Deutschland – und andererseits mehr Zurückhaltung der Bundesrepublik bei Waffenlieferungen.

Konkret gaben drei von vier Befragten an, ihnen gingen die deutschen diplomatischen Bemühungen zur Befriedung des Konfliktes nicht weit genug. Nur eine Minderheit wertet sie als angemessen.

Diagramm: Diplomatische Bemühungen – Sicht auf deutsches Agieren
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Der Wunsch nach Verhandlungen wird in einigen Kommentaren mit einer prinzipiellen Abneigung von Kriegen begründet, mit dem Leid und dem Sterben vor Ort und einer grundsätzlichen Ablehnung von Waffenlieferungen. Es ist in vielen Kommentaren einfach ein inniger Wunsch zu lesen, dass sich Angreifer Russland und Verteidiger Ukraine an einen Tisch setzen mögen.

So meint Vroni (53 Jahre) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge: "Wenn niemand bereit ist, miteinander zu verhandeln, wird es so weiter gehen ohne ein Ende. Gewinner wird es keine geben."

Andere, wie Jan (24 Jahre) aus dem Landkreis Hildburghausen, haben zumindest sehr konkrete Ideen, wie Verhandlungen zu einer dauerhaften Lösung führen könnten. So meint er, Indien, China oder Brasilien müssten als Verhandlungspartner gewonnen werden, um den Druck zu erhöhen. Zudem meint er: "Man muss so verhandeln, dass keine Seite eine Chance hat, wortbrüchig zu werden. Zum Beispiel Sicherheitsgarantien für die Ukraine - etwa durch eine Nato-Mitgliedschaft oder in anderer Form - gegen eine Verhandlung über den Status der Krim oder dem Verbot, ausländische Nato-Soldaten in der Ukraine zu stationieren."

Ganz oft begründen die Befragten ihre grundsätzliche Haltung mit einem bekannten Satz, ohne zusätzlich näher zu beschreiben, wie sich das im aktuellen Krieg erreichen ließe: "Frieden schaffen ohne Waffen!".

Große Skepsis mit Blick auf deutsche Waffenlieferungen

Dazu passt, dass ein Großteil der Befragten skeptisch auf die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine schaut. Für die meisten geht das bisherige deutsche Engagement in diesem Feld zu weit. Rund jede und jeder Fünfte findet es angemessen. Ein kleiner Teil plädiert dafür: Deutschland sollte noch mehr tun.

Diagramm: Waffen für die Ukraine – Sicht auf deutsche Unterstützung
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gegnerinnen und Gegner von Waffenlieferungen im MDRfragt-Meinungsbild argumentieren immer wieder sehr grundsätzlich, etwa damit, dass so der Krieg, dass so das Leid und das Sterben verlängert werden.

Auch sehr häufig sind Befürchtungen, die Waffenlieferungen könnten provozieren und Deutschland könnte angegriffen werden: "Keine Waffen in Kriegsgebiete hatte einen Sinn", schreibt beispielweise Lutz (57 Jahre) aus Weimar mit Blick auf die geltenden Grundsätze des Bundes für den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern. Seine Befürchtung: "Deutsche Raketen in der Ukraine sind ein riesen Fehler. Wir provozieren eine Reaktion. Merkt das keiner?"

Diejenigen, die das Ausmaß deutscher Waffenlieferungen angemessen oder sogar ausbaufähig finden, sehen es ganz anders.

Nicht nur Ursula (64 jahre) aus Leipzig schreibt: "Hätte die Nato der Ukraine sofort die benötigten Waffen zur Verfügung gestellt, wäre der Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit längst vorbei. Das Verhalten der Nato-Staaten, vor allem der europäischen Länder und hier ganz besonders Deutschlands, hilft Russland – nicht der Ukraine."

Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler 59 min
Bildrechte: MDR / Erhard Bühler

Und Erika (85 jahre) aus Dresden zeigt auf, dass sie hin- und hergerissen ist: Sie sei eigentlich auch gegen Waffenlieferungen, meint sie. Doch diese grundsätzliche Haltung stellt sie mit Blick auf das Argument, Waffennachschub verlängere den Krieg, infrage: "Was ist das für eine Logik von Putin, wenn er sagt: Wenn keine Waffen mehr geliefert werden, ist der Krieg zu Ende?", schreibt die 85-Jährige. "Das heißt, dann macht er noch alles dem Erdboden gleich und hat, was er will."

"Krieg darf sich nicht lohnen"

Noch grundsätzlicher argumentiert Martin (37 Jahre) aus Magdeburg: "Wenn wir der Ukraine nicht helfen, sich zu verteidigen, lernen Russland und andere Diktaturen, dass Krieg sich lohnt und man mit Gewalt Gebiete fremder Länder zu eigenem Staatsgebiet machen kann." Aus seiner Sicht müsse es das Ziel sein, dass die Ukraine sich erfolgreich verteidigt: "Wenn die Ukraine aber gegen Russland besteht, durch unsere Hilfe, sehen auch andere Diktatoren, dass Krieg sich nicht lohnt, wodurch die Welt sicherer wird."

Martin gehört zu den MDRfragt-Mitgliedern, die es begrüßen würden, wenn Deutschland die viel diskutierten schlagkräftigen Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine liefert. Seine Sicht: "Die Ukraine ist ein Opfer, das sich nur verteidigt. Russland ist Täter. Russland beschießt die Ukraine ständig mit weitreichenden Marschflugkörpern und eskaliert so immer weiter. Es wäre doch unfair, wenn sich das Opfer gegen den Täter nicht gleichermaßen verteidigen kann."

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Die Grafische Darstellung des "Taurus" Lenkflugkörperps inklusive Beschriftung der eingebauten Sensoren. 1 min
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Ob die Lenkflugkörper vom Typ "Taurus" an die Ukraine geliefert werden, ist seit Monaten schon immer wieder in der Diskussion. Hier stellen wir das Waffensystem vor.

Do 22.02.2024 16:44Uhr 00:28 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/video-taurus-lenkflugkoerper-marschflugkoerper-bundeswehr100.html

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Mehrheit lehnt Taurus-Lieferung ab

So wie Martin aus Magdeburg sieht es weniger als jede und jeder fünfte Befragte. Denn eine deutliche Mehrheit lehnt die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ab.

Erst am Donnerstag hatte der Bundestag darüber diskutiert, ob diese Waffe an die Ukraine abgegeben werden sollten. Die SPD-Grüne-FDP-Koalition votierte allgemein für schlagkräftige Waffenhilfe, aber gegen einen expliziten Antrag der Union, Taurus-Marschflugkörper zu liefern.

Diagramm: Deutsche Marschflugkörper an Ukraine liefern
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Wie begründen die Gegner der Taurus-Lieferungen aus der MDRfragt-Gemeinschaft ihre Sicht?

"Es ist eine weitere Eskalation und wir lassen uns immer weiter in den Krieg hineinziehen", meint etwa Manfred (72 Jahre) aus Leipzig. Er glaubt nicht, dass das Taurus-System einen großen Unterschied zugunsten der Ukraine machen wird, sieht aber ein Risiko in der großen Reichweite der Marschflugkörper: "Auch Taurus ist keine Wunderwaffe. Aber sie wird den Krieg noch verhärten, wenn russisches Gebiet getroffen wird."

Der Leipziger gehört zu denjenigen, die nicht daran glauben, dass die Ukraine gegen Russland dauerhaft Stand halten kann: "Verhandeln, anstelle den Ukrainern zu sagen, dass sie den Krieg gewinnen können. Die Atomwaffen hat Putin und auch noch sehr viele Soldaten. Waffen alleine bringen nichts, wenn es zu wenige wehrhafte Ukrainer gibt."

Ukraine muss über Verhandlungszeitpunkt entscheiden

Wann der richtige Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen ist, muss aus Sicht der meisten Befragten die Ukraine selbst entscheiden.

Diagramm: Entscheidung liegt bei Ukraine – wann Verhandlungen mit Russland
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Eine weitere Option nennt Nicolas (33 Jahre) aus Erfurt: "Putin könnte jederzeit den Krieg beenden, in dem er seine Truppen aus der Ukraine abzieht. Daran hat er kein Interesse."

Bei der Frage, ob Russland weitere Länder angreifen könnte, ist die MDRfragt-Gemeinschaft eher gespalten: 54 Prozent halten das Risiko eher für gering; 43 Prozent befürchten weitere Angriffe.

Diagramm: Putins Russland greift weitere Länder an – persönliche Befürchtung
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Auf Putin kann man sich nicht verlassen. Denn Putin will mehr als nur die Ukraine", fasst Sandy (39 Jahre) aus Leipzig ihre Sorgen zusammen. "Die größte Angst besteht darin, dass Putin irgendwann mal ein Nato-Land überfallen und bis Deutschland vorrücken könnte. Leider gibt es noch zu viele Menschen, die 'Putin-freundlich' sind, statt zu realisieren, welches Machtstreben Russland unter Putin hat."

Nicht wenige argumentieren wie Maxi (39 Jahre) aus Dresden: "Ich glaube, Putin wird sich, wenn möglich, auf die Ukraine konzentrieren." Nicht wenige teilen auch die Sicht von Rico (31 Jahre) aus dem Landkreis Görlitz, der glaubt, zumindest die Mitgliedsländer des Verteidigungsbündnisses Nato müssten nichts befürchten: "Niemand hat ein Interesse an einer weiteren Eskalation. Welchen Grund gäbe es für einen Angriff Russlands auf die Nato?"

eine Moderatorin im Studio 6 min
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Fr 23.02.2024 15:16Uhr 05:54 min

https://www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/mdrfragt/video-800772.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Alle Ergebnisse der sehr umfangreichen Befragung gibt es wie immer zum Herunterladen und Nachlesen:


Über diese Befragung Die Befragung vom 15. bis 19. Februar 2024 stand unter der Überschrift: "Zwei Jahre Krieg in der Ukraine - Wo stehen wir?"

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 27.527 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemographischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein durchaus belastbares Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 24. Februar 2024 | 19:30 Uhr