Kritik an der Politik Ärger um den Pflegebonus: Viele Pflegekräfte gehen jetzt leer aus

22. Dezember 2022, 05:00 Uhr

Eigentlich sollte der sogenannte Pflegebonus jetzt am Ende des Jahres als spürbare Anerkennung für die Pflege von Corona-Kranken ausgezahlt werden. Doch aktuell sorgt er vor allem für Ärger und Frust in den Kliniken. Denn während die einen sich über eine Prämie freuen, bekommen andere nichts.

Pflegebonus schließt Pflegekräfte aus

Am 19. Mai 2022 hat der Deutsche Bundestag das "Pflegebonusgesetz" beschlossen, mit dem die Leistungen von Pflegekräften in Krankenhäusern und in den Pflegeeinrichtungen gewürdigt werden sollen. Eine Milliarde Euro stellte die Regierung für den Pflegebonus bereit – eine Hälfte geht an die Kliniken, die andere an Altenheime.

Klingt nach einem guten Ansatz, doch es gibt ein Problem: Für die Auszahlung wurden Kriterien festgelegt, die dazu führen, dass ganze Berufsgruppen ausgeschlossen wurden, obwohl diese ebenso unmittelbar an der Versorgung von Corona-Patienten beteiligt waren. Während die einen jetzt also maximal bis zu 3.300 Euro bekommen, gehen andere komplett leer aus. So haben beispielsweise Pflegekräfte, die in der Notaufnahme, im OP, in der Funktionsdiagnostik oder der Psychiatrie arbeiten, keinen Anspruch auf die Prämie. Aber auch Mitarbeiter von Rettungsdiensten, Hebammen, Physio- und Ergotherapeuten bekommen nichts.

Deutscher Pflegerat warnte schon im Gesetzgebungsverfahren

Dass diese für die Betroffenen willkürlich erscheinenden Ausschlusskriterien zu Unmut unter den Pflegekräften führen, davor warnte der Deutsche Pflegerat schon im Gesetzgebungsverfahren. Es sei zu befürchten, dass all jene, die keinen Bonus bekämen, sich und ihre Arbeit missachtet fühlten, so die damalige deutliche Kritik. Nachdem die meisten Kliniken den Pflegebonus nun an die Anspruchsberechtigten ausgezahlt hätten, sei genau diese Situation in den Krankenhäusern eingetreten.

Der Bonus hätte zwar gezeigt, dass die Politik offenbar verzweifelt um ein Zeichen der Anerkennung ringt, so die Präsidentin des Deutschen Pflegerates Christine Vogler, aber wenn dieser dann so ungerecht verteilt werde und viele Pflegende komplett ausschließt, sei die gute Idee dahinter komplett zerstört: "Nur weil das Geld nicht für alle reichte, habe man pauschal einfach einige Berufsgruppen durch das Bonusraster fallen lassen."

"Ungleichbehandlung" für Pflegekräfte nicht nachvollziehbar

Für die Pflegekräfte, die nun leer ausgehen, ist die Ungleichbehandlung bei der Verteilung rational überhaupt nicht nachvollziehbar. Sandra Neumann vom Sana Klinikum Zwenkau arbeitet als Krankenschwester in der Endoskopie. Dass sie, wie auch die anderen Kolleginnen von der Funktionsdiagnostik, überhaupt nichts bekommen, sei nicht zu rechtfertigen: "Wir haben tatkräftig unser Haus auf allen, auch auf den Corona-Stationen unterstützt, haben Dienste übernommen sowie unsere eigenen Abteilungen am Laufen gehalten. Trotzdem wurden wir vergessen." Sie und rund 2.000 weitere Kolleginnen fordern die Auszahlung der Corona-Prämie für alle Berufsgruppen, die an der Versorgung von Covid-19-Patienten beteiligt waren.

Forderung nach einem einheitlichen Bonus für alle

Auch der Bundesverband Pflegemannagement forderte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und die Pflegebevollmächtigte Claudia Moll (beide SPD) auf, einen einheitlichen Bonus an alle Pflegenden auszuzahlen. Schon im November beklagte der Verband die Umsetzung des Coronabonus in der Pflege als katastrophal. Die ohnehin mehr als angespannte Situation der beruflich Pflegenden habe sich mit der Ausschüttung des Bonus weiter zugespitzt.

"Die vermeintliche, monetäre Wertschätzung berücksichtigt ausschließlich Pflegefachpersonen. Pflegehilfskräfte und Auszubildende, die wesentlich zur Sicherstellung einer qualitativen Versorgung beitragen und unmittelbar in die Versorgung von Covid-19-Patienten eingebunden sind, sind ausgeschlossen", kritisiert der Verband.

Ungerechte Verteilung führt zur Spaltung der Beschäftigten

Julia Grund vom DRK Krankenhaus Chemnitz-Rabenstein hat als Fachkraft Coronapatienten behandelt und einen Bonus erhalten. Dass jedoch eine Pflegehelferin ihrer Station bei der Prämienzahlung leer ausging, weil es das Gesetz so vorschreibt, empfindet sie als absolut ungerecht, denn auch diese Kollegin sei ja an der Versorgung der Patienten beteiligt gewesen.

Sie und die anderen Fachkräfte hätten deshalb gesammelt, damit auch die Pflegehelferin eine finanzielle Anerkennung erhält. Für Bernd Becker von Verdi sei dies zwar ein beispielloses solidarisches Handeln, es dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verteilungsregularien ungerecht sind: "Eine derartige Spaltung zwischen den Beschäftigten im Gesundheitswesen ist nicht hinnehmbar", so seine klare Kritik.

Politik hätte aus Fehlern der Vergangenheit lernen können

Für den Gesundheitsexperten Prof. Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz ist die jetzige Situation um den Pflegebonus 2022 nicht entschuldbar: "Eigentlich hätten die politisch Verantwortlichen aus den Fehlern der vergangenen zwei Jahre lernen können und auch müssen". Denn schon bei der Coronaprämie 2020 wurden Pflegekräfte ausgeschlossen.

Im April 2020 berichteten viele Medien noch, dass alle Pflegekräfte 1.500 Euro als Sonderprämie bekämen. Doch aus diesem Versprechen wurde nichts. Im Mai beschloss der Bundestag ein Corona-Gesetz: Von der Prämie sollten nun nur noch Beschäftigte in der Altenpflege profitieren und 1.000 Euro vom Bund bekommen. Krankenpfleger waren von dieser Regelung komplett ausgeschlossen. Der damalige Bundesgesundheitsminister Spahn hoffte wohl, dass die Krankenhäuser aus eigenen Mitteln eine Prämie zahlen würden. Doch das taten nur sehr wenige, wie der MDR berichtete.

Damit die Krankenpfleger nun nicht komplett hinten runterfallen, trat im Oktober 2020 dann ein weiteres Gesetz in Kraft. Nun sollten 100 Millionen an die Krankenhäuser fließen. Doch bei genauerer Betrachtung des Gesetzes profitierten bundesweit etwa ein Drittel aller Häuser. Im MDR-Sendegebiet waren es von den 186 Krankenhäusern gerade mal 25, die Geld bekamen. Der Rest ging leer aus. Der Grund: Laut Gesetz sollten nur solche Kliniken etwas bekommen, die während der ersten Welle bis zum 31. Mai 2020 eine Mindestanzahl von Corona Patienten hatten. Dabei spielte es keine Rolle, wie extrem überlastet viele Kliniken in der zweiten Welle waren. Marliese Biederbeck vom Berufsverband für Pflegekräfte hielt dem MDR gegenüber das Gesetz aus 2020 deshalb für unzureichend: "Die Kliniken, die in der ersten Welle wenig oder keine Patienten behandelt haben, gehen leer aus. Das sind aber die Kliniken, die jetzt in der zweiten Welle sehr viele Corona Patienten behandeln und das ist natürlich ungerecht für die Pflegefachpersonen, die jetzt sehr stark beansprucht werden."

Während die Politik bei den Pflegern also genau differenzierte, wer in der ersten Welle besonders belastet war, hatte man zum damaligen Zeitpunkt die Sonderzahlungen im öffentlichen Dienst bereits mit der Gießkanne ausgeschüttet. Auch die etwa 4.500 Mitarbeiter des Deutschen Bundestages kamen in den Genuss einer Corona-Sonderzahlung bis zu 600 Euro. Und das obwohl auch hier die meisten im Homeoffice arbeiten konnten. Während also andere, ohne besonderes Risiko, Geld bekamen, gingen viele Krankenpfleger bis zu diesem Zeitpunkt leer aus. Und das, obwohl sie seit Monaten unter erschwerten Bedingungen arbeiteten, Überstunden schoben und auch ihre Gesundheit riskierten. Im Februar 2021 stellte der Bund dann nochmal 450 Millionen Euro bereit, damit nun auch jene Pflegekräfte profitierten, die bisher nichts bekamen.

Rechnungshof kritisiert Corona-Prämie 2020 als fehleranfällig

Kritik an der Corona-Prämie kam unterdessen auch vom Bundesrechnungshof. Die bittere Erkenntnis der Kontrollbehörde: Das Verfahren für die Auszahlung der Prämien 2020 sei "fehler- und missbrauchsanfällig" gewesen. "Um den vom Bund finanzierten Teil des Bonus zu erhalten, müssen Sie als Beschäftigter nichts tun", teilte das damalige Gesundheitsministerium von Jens Spahn auf seiner Webseite mit. "Sie erhalten den Bonus automatisch von ihrem Arbeitgeber", hieß es weiter. Dass dieses Versprechen offenbar zu vollmundig war, geht aus einem Bericht des Bundesrechnungshofes vom September 2022 hervor, der dem WDR und dem NDR vorliegt.

"Zahlreiche Pflegeeinrichtungen" hätten demnach die Auszahlung der Bundesmittel gar nicht beantragt - die 1000 Euro vom Staat seien bei den in diesen Einrichtungen beschäftigten Pflegekräften also gar nicht angekommen, kritisiert der Rechnungshof. Andererseits hätten manche Firmeninhaber die staatliche Prämie nicht nur für ihre Beschäftigten, sondern "zu Unrecht" auch für sich selbst geltend gemacht.

Auch Pflegebonus 2022 könnte zu Fehlern und Missbrauch führen

Der Bundesrechnungshof äußerte zudem die Befürchtung, dass das Problem in gleicher Weise auch beim Pflegebonus für 2022 auftreten könnte. Grund sei, dass die Auszahlungen dieser neuen Prämie an die 1,2 Millionen Beschäftigten nach dem gleichen Muster erfolgen solle, wie beim ersten Coronabonus. Es sei zu erwarten, "dass sich damit die Anfälligkeit des bisherigen Verfahrens für Fehler und Missbrauch" beim Pflegebonus fortsetzt, heißt es in dem Prüfbericht.

Prämien nur "Schönmalerei"

Vor dem Hintergrund der Entwicklung der vorangegangenen Coronaprämien, wäre es an der Zeit gewesen, so Stefan Sell, das Geld diesmal gerechter zu verteilen. Auf MDR-Anfrage teilt uns das zuständige Bundesgesundheitsministerium lediglich mit, dass es aufgrund der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Mittel notwendig gewesen sei, "den Kreis der Prämienberechtigten anhand klar definierter Kriterien zu begrenzen".

Wenn man in der Politik nicht bereit sei, eine so große Summe zur Verfügung zu stellen, dass es für alle reicht, wäre es besser gewesen, die Prämie ganz wegzulassen, so Sells klares Resümee. Denn in der jetzigen Form sei der Bonus eher eine Gering- statt eine Wertschätzung für die Menschen in der Pflege.

Auch Christine Vogler vom Deutschen Pflegerat sieht in einmaligen Prämien, zumal wenn diese nur einige bekommen, "nur Schönmalerei und keine nachhaltige Anerkennung der Pflege". Statt hin und wieder kleine Geschenke ungerecht zu verteilen, sei es dringend geboten, die Arbeitsbedingungen wie auch die Bezahlung nachhaltig zu verbessern. Ein Schritt wäre beispielsweise, so Vogler,  die Lohnsteuer für die Pflegebranche zu reduzieren, um für diese Berufsgruppe ein besseres Brutto-Netto-Verhältnis zu realisieren. Doch solche nachhaltigen Vorschläge seien bisher von der Bundesregierung nicht gehört worden.

MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 15. September 2022 | 08:00 Uhr

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