Lehrermangel und Bildungskrise Warum Quereinsteiger an Schulen wieder aussteigen
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13. April 2024, 09:38 Uhr
Sie werden dringend gebraucht: Lehrerinnen und Lehrer an allen Schulformen. Sogenannte Quer- oder Seiteneinsteiger sollen die Lücken auffüllen. Aber viele von denen, die anfangen, geben nach kurzer Zeit wieder auf. Woran liegt das?
- Bis 2035 werden deutschlandweit rund 24.000 Lehrkräfte fehlen. Quereinsteiger sollen die Lücken im Stundenplan füllen.
- In Sachsen hat seit 2018 jedoch fast ein Drittel der Seiteneinsteiger den Job wieder aufgegeben oder der befristete Vertrag wurde nicht verlängert.
- Vor allem die emotionale Belastung sei enorm, sagt ein Seiteneinsteiger an einer Oberschule aus Leipzig.
Der Lehrkräftemangel gehört zu den größten Herausforderungen im Bildungssystem. Bis 2035 werden mindestens 23.800 Lehrkräfte fehlen, prognostiziert die Kultusministerkonferenz (KMK).
Ein Drittel der Seiteneinsteiger gibt auf
Eine entscheidende Stellschraube, um diesem Problem zu begegnen, ist der Quereinstieg beziehungsweise Seiteneinstieg von qualifizierten Menschen, die kein Lehramtsstudium abgeschlossen haben, aber mit einer passenden Weiterbildung unterrichten.
Im Schuljahr 2022/23 stellte Sachsen 330 Seiteneinsteiger in Schulen ein. Im gleichen Zeitraum gingen aber auch 121. Ein Jahr zuvor fiel der Saldo noch knapper aus: 157 traten ihren Dienst an, gleichzeitig verließen 106 Seiteneinsteiger das System.
Seit 2018 hat fast ein Drittel den Job wieder aufgegeben oder der befristete Vertrag wurde nicht verlängert, gibt das sächsische Bildungsministerium Auskunft. In Sachsen-Anhalt sei das ebenso, gibt das dortige Bildungsministerium an. Teilweise gingen sie auch aus Gründen wie Umzug, Schwangerschaft oder Krankheit, schreibt die zuständige Pressestelle dazu.
Mit Vorerfahrung zum Quereinsteiger
David* ist einer von denen, die 2022 als Seiteneinsteiger in Sachsen anfingen. Er hat sich damals entschieden, es zu versuchen, mit dem Lehrersein und ist mittlerweile Klassenlehrer an einer Oberschule mit Haupt- und Realschulkursen in Leipzig.
Als jemand, der schon Erfahrungen als Lehrer für Geflüchtete, für Menschen im Strafvollzug oder als Nachhilfe-Lehrer gesammelt hatte, fühlte er sich in der Rolle als Lehrkraft schnell wohl. Auch wenn er vorher nicht oft mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hatte.
Seine Arbeit als Schulbegleiter für einen blinden Mann war für David der Anstoß, es als Quereinsteiger zu versuchen. Aber: Er denkt auch häufiger darüber nach, den Job wieder an den Nagel zu hängen.
Arbeit in der Schule sicher und attraktiv
In Thüringen konnten im ersten Schulhalbjahr 23/24 653 Lehrpersonen unbefristet neu eingestellt werden, davon seien 166 Seiteneinsteigende gewesen, schreibt das Thüringer Bildungsministerium auf MDR-AKTUELL-Anfrage.
Zur Frage des Verweilens werde keine gesonderte Statistik geführt, auch nicht zu Gründen des Ausscheidens. "Erfahrungswerte lassen uns von einer relativ geringen Abbrecherquote in Thüringen ausgehen. Der Schuldienst wird aktuell als attraktiv wahrgenommen, zudem verbessern wir die Binnenbedingungen fortlaufend".
In Thüringen ist laut Ministerium zuletzt eine "belastungsgerechtere Anfangsphase für Seiteneinsteigende" etabliert worden, heißt: Seiteneinsteiger müssen in den ersten beiden Halbjahren eine geringere Stundenzahl eigenen Unterrichts erbringen und bekommen mehr Zeit für die Hospitation im Unterricht erfahrener Kolleginnen und Kollegen.
Mehr Sozialarbeiter als Lehrkraft
Zurück nach Leipzig. Vor allem kultursensibel müsse man sein, sagt David im Gespräch mit MDR AKTUELL. Und flexibel. Und belastbar: "Ich hatte anfangs das Gefühl, drei Jobs gleichzeitig zu haben. Auf einmal war ich nicht nur Deutsch-, sondern auch Ethiklehrer. Und Klassenlehrer."
Was ihn im Schulalltag überrascht hat: "Man ist eigentlich mehr Sozialarbeiter als Lehrer. Man hat mit den Problemen der Kinder und Jugendlichen zu tun. Mit Vorurteilen, Diskriminierung, Herzschmerz, Drogen, Mobbing, auch mit Gewalt."
Die emotionale Belastung sei enorm hoch – das "Päckchen", das man mit nach Hause nehme. Darauf sei er zu wenig vorbereitet gewesen. Auch die Dynamik im Lehrerzimmer war neu.
Angekommen in der Bildungskrise
Man merke auch in der Betreuung, in einem unterbesetzten System anzukommen, sagt David: "Ich nenne es manchmal 'Ticket für das untergehende Schiff'. Ich merke oft, dass es vorne und hinten an Personal fehlt. Bildungskrise eben. Und es gibt meiner Meinung nach viel zu wenige Sozialarbeiterinnen und -arbeiter."
Sein syrischer Hintergrund und seine Bildungsbiografie motivieren ihn, trotzdem weiterzumachen: "Ich will für Kinder, denen es vielleicht wie mir geht, die mit Rassismus in der Schule konfrontiert sind, ein guter Lehrer und Ansprechpartner sein."
Aufgeben will David also nicht. Der Job mache ihm immer wieder sehr viel Freude: "Es ist ein großes – ein sehr großes – Auf und Ab." David hat seinen Vertrag nun, nach einigem Hin- und Herüberlegen, für ein weiteres Jahr verlängert.
*Name von der Redaktion geändert
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. April 2024 | 08:12 Uhr
Anita L. vor 34 Wochen
"Das Beispiel im Artikel (ein Syrer) ist sicher nicht repräsentiv und nutzlos."
Ach ja? Eine unserer Quereinsteigerinnen kommt aus Russland, der andere aus Syrien, den Kollegen aus Ägypten hat das Amt ins Zusatzstudium geschickt. An meiner alten Schule (freier Träger) unterrichtet ein Kollege aus Syrien, ein Chemiker, Chemie, und ein Brasilianer Mathe. An den staatlichen Schulen wurden sie abgelehnt, weil ihnen die Lehrbefähigung fehle. Im Krankenhaus letztes Frühjahr lag ich mit einer kasachischen Musiklehrerin auf dem Zimmer, die in Deutschland Verkäuferin lernen musste und in einem Imbiss arbeitet, weil sie kein zweites Unterrichtsfach vorweisen konnte. Im nächsten Schuljahr wird uns ein vietnamesischer Kollege mit Biologiestudium als Quereinsteiger unterstützen. Hoffentlich. Wenn dem Amt nicht wieder irgendetwas einfällt, was ihm angeblich fehlt, um Biologie unterrichten zu können.
Britta.Weber vor 34 Wochen
Das Beispiel im Artikel (ein Syrer) ist sicher nicht repräsentiv und nutzlos. Bei Quereinsteigern ist es ähnlich wie bei "normalen" Lehrern- es gibt viele gute und auch viele schlechte.
Den Lehrermangel gibt es seit mehr als10 Jahren. Es ist ein Armutszeignis für unsere Politik, dieses Problem nicht zu lösen, etwa durch Ausbildung einer ausreichenden Zahl von Lehrern. Unser Unisystem produziert eine große Zahl von Absolventen, für die es weder einen echten Beruf noch ausreichend Stellen gibt (alles auf Kosten der Steuerzahler)- da muss der Staat eben zur Lenkung drastisch eingreifen.
nasowasaberauch vor 34 Wochen
Früher war ein Lehrer ein Lehrer und kein hauptberuflicher Sozialarbeiter mit Kultursensibilität. Der Staat überfordert die Lehrerinnen und Lehrer mit einer Politik Problemverlagerung auf deren Schultern. Will keiner hören, ändert aber na der Tatsache nichts.