Whistleblower Symbolbild
Auch Betriebe ab 50 Mitarbeitenden brauchen künftig eine interne Meldestelle für Whistleblower, die Missstände im Unternehmen anzeigen wollen. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Hinweisgeberschutzgesetz Über 300 bekannte Whistleblower-Hinweise seit Juli

17. Dezember 2023, 05:00 Uhr

Das Hinweisgeberschutzgesetz soll Mitarbeitende vor Benachteiligungen schützen, wenn sie Missstände in Unternehmen oder Behörden melden wollen. Als Anlaufpunkte dienen verschiedene Meldestellen. Über 300 Hinweise gingen seither allein beim Bundesamt für Justiz ein. Ab 17. Dezember gilt das Hinweisgeberschutzgesetz auch für Unternehmen bis 50 Mitarbeiter.

309 Meldungen zu möglichen Verstößen bei externer Meldestelle

309 Mal wurde seit Einführung des Hinweisgeberschutzes die Möglichkeit genutzt, Hinweise zu mutmaßlichen Rechtsverstößen in Unternehmen, Behörden oder anderen Organisationen an die externe Whistleblowing-Meldestelle des Bundesamtes für Justiz zu richten (Stand: 30. November). Das ergab eine Anfrage der MDR-Wirtschaftsredaktion. 122 Hinweise davon seien anonym erfolgt. Meist habe es sich um mögliche Verstöße gegen das Strafrecht oder arbeitnehmerschützende Bußgeldtatbestände gehandelt, also beispielsweise Verletzungen von Vorschriften zum Gesundheitsschutz oder dem Schutz von Beschäftigtenrechten. Von den 309 Verfahren seien 19 abschließend bearbeitet worden. Dabei seien 16 der Meldungen nicht in den Geltungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes gefallen.   

Erhält die externe Meldestelle einen Hinweis, prüft sie, ob die Meldung in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt. Trifft dies zu, kann sie zur Bearbeitung das betroffene Unternehmen kontaktieren. Sie kann aber auch den Hinweisgeber an andere verantwortliche Stellen verweisen oder das Verfahren aus Mangel an Beweisen abschließen. Falls angezeigt, kann sie es auch an eine andere zuständige Behörde zwecks weiterer Untersuchungen übergeben. So wurden bis zum 30. November 14 Verfahren zu eingegangenen Meldungen an Staatsanwaltschaften abgegeben. 

Auch Betriebe ab 50 Mitarbeitenden brauchen künftig eine interne Meldestelle

Unabhängig von der externen Whistleblowing-Meldestelle beim Bundesamt für Justiz mussten Betriebe ab 250 Mitarbeitende, Behörden oder andere Organisationen seit Juli eine interne Meldestelle vorhalten. Für Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitenden galt seit Einführung des Hinweisgebergesetzes eine Übergangsfrist. Kleineren Unternehmen wurde so mehr Zeit eingeräumt, entsprechende Anlaufpunkte einzurichten. Ab 17. Dezember müssen nun auch sie eine unternehmensinterne Meldestelle für die geschützte Meldung von eventuellen Verstößen zur Verfügung stellen.

Da insbesondere Belastungen für kleine und mittlere Unternehmen so gering wie möglich gehalten werden sollen, sind Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten nicht verpflichtet, eine interne Meldestelle anzubieten. Für einige Branchen, beispielsweise aus dem Finanz- und Versicherungssektor, gilt die Pflicht für eine interne Meldestelle, egal wie viele Mitarbeitende im Unternehmen beschäftigt sind.

Hinweisgeber sollen besser vor Schikanen geschützt werden

Whistleblower sind Informanten, die Missstände oder Straftaten innerhalb von Unternehmen oder Behörden aufdecken. Das Hinweisgeberschutzgesetz soll einerseits den Schutz der Identität eines Hinweisgebers ermöglichen, gleichzeitig verbietet es Repressalien durch Arbeitgeber, also etwa die Kündigung von Whistleblowern, insofern diese bekannt werden. Behörden und Betriebe einer bestimmten Größe müssen seitdem sichere Kanäle für Whistleblower-Meldungen bereithalten. Um auf mögliche Rechtsverstöße in einer Organisation hinzuweisen, kommen unternehmensinterne Meldestellen oder externe Meldestellen des Bundes infrage.

Unternehmen mit zu wenig Verständnis für Nutzen von internen Meldestellen

Es gibt keine offizielle Statistik dazu, wie oft Anlaufstellen innerhalb von Unternehmen seit Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes für Whistleblower-Hinweise genutzt wurden. Was lässt sich also bislang zum Umgang mit Meldestellen in Unternehmen sagen? Kosmas Zittel ist Geschäftsführer beim Whistleblower-Netzwerk. Der Verein bietet unter anderem fachliche Beratung zum Whistleblowing-Schutz für Hinweisgeber selbst sowie für Unternehmen, Behörden und andere Organisationen. Kosmas Zittel sagt: "Viele Unternehmen empfinden das Gesetz als unnötige Belastung. Sie wollen eigentlich nur formal das Gesetz erfüllen und beauftragen einen externen Anwalt damit, als interne Meldestelle zu fungieren."

Viele Unternehmen schienen noch nicht realisiert zu haben, dass Whistleblower keine Denunzianten sind und keine schädigende Absicht verfolgen. Vielmehr könnten Betriebe und die Gesellschaft von Hinweisgebern dadurch profitieren, dass sie frühzeitig von Missständen erfahren und diese abstellen können, bevor der Schaden zu groß wird. Zudem könnten sie durch ein gutes Whistleblowing-Management den eigenen ethischen Anspruch nach außen und innen verdeutlichen. Die Idee dahinter: Durch frühzeitiges Einschreiten im nicht öffentlichen Rahmen lassen sich Haftungsansprüche, aber auch Imageschäden vermeiden, die mit einer externen Aufdeckung verbunden sein könnten. Aus Studien, so Zittel weiter, weiß man, dass 90 Prozent der Mitarbeitenden lieber intern Hinweise zu Verstößen geben. Sie wollten dem Arbeitgeber gar nicht schaden, sondern Missstände abstellen, was in der Regel besser innerhalb der eigenen Organisation gehe.

Viele Unternehmen empfinden das Gesetz als unnötige Belastung. Sie wollen eigentlich nur formal das Gesetz erfüllen und beauftragen einen externen Anwalt damit, als interne Meldestelle zu fungieren.

Kosmas Zittel, Geschäftsführer Whistleblower-Netzwerk

Kontrollen für interne Meldestellen im Gesetz nicht vorgeschrieben

Laut Hinweisgeberschutzgesetz stellt es eine Ordnungswidrigkeit dar, wenn ein Arbeitgeber keine interne Meldestelle einrichtet, obwohl er gesetzeshalber dazu verpflichtet wäre. In diesem Fall droht ein Bußgeld. Dem Bundesministerium für Justiz zufolge enthält das Gesetz aber keine speziellen Regelungen zu Kontrollen, ob eine interne Meldestelle verfügbar ist. "Allerdings dürfte bereits die Tatsache, dass hinweisgebende Personen ihre Meldung auch direkt bei einer externen Meldestelle erstatten können, ein wichtiger Anreiz für Unternehmen und Behörden sein, eine gut funktionierende interne Meldestelle zu schaffen", erklärt Rabea Bönnighausen, Sprecherin des Bundesjustizministeriums.

Starke Kritik von thüringischen Wirtschaftsvertretern

Die MDR-Wirtschaftsredaktion hat die mittelsächsischen Industrie- und Handelskammern (IHK) gefragt, welche Erfahrungen mit dem Hinweisgeberschutzgesetz ihre Mitgliedsunternehmen bisher zurückmelden. Scharfe Kritik kommt vor allem aus der Thüringer Wirtschaft, wo man das Whistleblower-Gesetz als unnötige Belastung wahrnimmt. "Die Unternehmen fühlen sich belästigt und erachten das Hinweisgeberschutzgesetz als unnötigen und den Betriebsfrieden störenden Eingriff in die Unternehmenskultur", berichtet Katja Hampe, Referatsleiterin für Öffentlichkeitsarbeit der IHK Südthüringen. Es bestünden, so Hampe, vielfältige, auch elektronische Möglichkeiten für Bürger und Mitarbeiter, Anzeigen mit strafrechtlicher Relevanz zu platzieren. Ebenso äußert die Hauptgeschäftsführerin der IHK Erfurt Cornelia Haase-Lerch, dass in vielen Unternehmen Aufwand und Nutzen in Sachen Hinweisgeberschutzgesetz in einem krassen Missverhältnis stünden.

Sächsische Wirtschaft: Derzeit wenig Beratungsbedarf

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden teilt der MDR-Wirtschaftsredaktion mit, dass es bis jetzt kaum Anfragen von sächsischen Unternehmen im Hinblick auf den 17. Dezember gibt. Der Grund: Viele sind nicht verpflichtet, eine interne Meldestelle anzubieten. "Hier schlägt sich die Kleinteiligkeit unserer Unternehmensstruktur nachhaltig nieder. Von den rund 92.000 Mitgliedsunternehmen haben 93 Prozent weniger als zehn Beschäftigte. 4,6 Prozent beschäftigen zehn bis 49 Personen, 1,2 Prozent 50 bis 249 Personen und gerade einmal 0,2 Prozent 250 und mehr", erläutert IHK-Pressesprecher Lars Fiehler. Unterm Strich seien demnach rund 98 Prozent der Betriebe im Dresdner Kammerbezirk von den neuen Vorgaben nicht betroffen.

Die Chemnitzer IHK stellt auch bei den betroffenen Betrieben aktuell nur mäßigen Beratungsbedarf fest. Man geht hier davon aus, dass die verpflichteten Unternehmen sich der Aufgabe bewusst sind und diese ohne große Probleme umsetzen können. "Ob der Zweck des Gesetzes, der bessere Schutz von Hinweisgebern, in der Praxis erreicht werden wird, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Auch ob durch das Gesetz die Anzahl an internen und externen Meldungen ansteigt, lässt sich noch nicht validieren", sagt Julian Kohl, IHK-Referent für den Bereich Recht in Chemnitz.

Die IHK Halle-Dessau und die IHK Magdeburg gaben an, auf die MDR-Anfrage innerhalb der gesetzten Frist nicht antworten zu können.

Ob der Zweck des Gesetzes, der bessere Schutz von Hinweisgebern, in der Praxis erreicht werden wird, lässt sich derzeit nicht abschätzen.

Julian Kohl, IHK-Referent für den Bereich Recht in Chemnitz

Experte sieht weiterhin Schwächen im Hinweisgeberschutzgesetz

Als Fortschritt schätzt Kosmas Zittel vom Whistleblower-Netzwerk die im Hinweisgeberschutzgesetz verankerte Beweislastumkehr ein. Das heißt, der Arbeitgeber muss begründen, dass kein Zusammenhang zwischen der Kündigung eines bekanntgewordenen Informanten oder anderen Repressalien und dessen Whistleblowing besteht. Dennoch sieht der Geschäftsführer des Vereins Defizite, weil seiner Auffassung nach das Gesetz nicht verhindern wird, dass manch ein Arbeitgeber Whistleblower drangsalieren wird – auch wenn dann andere Gründe vorgeschoben werden.

"Whistleblower", so Zittel, "müssen dann ihr Recht erkämpfen. Das zieht sich bisweilen über Jahre hin und ist mit weiteren wirtschaftlichen und psychischen Belastungen verbunden. Mit der Bewältigung dieser persönlichen Folgen lässt der Gesetzgeber Whistleblower weitgehend allein. Nicht einmal ein Schmerzensgeldanspruch für die schweren psychischen Belastungen sieht das Hinweisgeberschutzgesetz vor." Damit verstoße das Gesetz laut Einschätzung des Whistleblower-Netzwerks gegen die Vorgaben der EU-Whistleblowing-Richtlinie, welche eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens vorsehe.

Keine Pflicht zur Bearbeitung anonymer Whistleblower-Hinweise in Unternehmen? Das Hinweisgeberschutzgesetz verzichtet auf die Verpflichtung für Unternehmen, auch anonym eingehende interne Meldungen bearbeiten zu müssen. Der Grund dafür ist, zusätzliche Belastungen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen zu vermeiden. Gleichwohl schränkt Kosmas Zittel vom Whistleblower-Netzwerk ein: "Der Gesetzestext sagt zwar nicht, dass einer internen Meldung nachgegangen werden muss. Er sagt aber, dass anonyme Meldungen bearbeitet werden sollten. Um einer fundierten anonymen Meldung nicht nachzugehen, müssten laut den Auskünften, die wir von Juristen bekommen haben, wirklich gute Gründe vorliegen."

Alternativ können Hinweisgeber, die eine Meldung anonym erstatten wollen, dies unabhängig von ihrem Arbeitgeber bei der externen Anlaufstelle des Bundes tun.

Bereits existierende staatliche Meldestellen weiterhin tätig

Bereits bestehende bereichsspezifische Meldesysteme wie beim Bundeskartellamt oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurden mit Einführung des Gesetzes in externe Meldestellen überführt. Zudem existieren externe Meldekanäle bei der Europäischen Kommission, dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, der Europäischen Agentur für Flugsicherheit, der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde und der Europäischen Arzneimittel-Agentur.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 21. November 2023 | 05:30 Uhr

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