Ältere Handwerkerin an der Nähmaschine in der Werkstatt.
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Nordmazedonien Hungerlöhne in Osteuropas Kleiderkammer

09. Februar 2020, 06:00 Uhr

"Made in EU": Wenn Textilien so etikettiert sind, klingt das vertrauenerweckend für den Käufer. Nach fairen Löhnen, anständigen Arbeitsbedingungen. In Wahrheit schuften Näherinnen auf dem Balkan für Hungerlöhne. Gemessen an den Lebenshaltungskosten sind sie oft niedriger als die Löhne in Südostasien. In Nordmazedonien etwa bekommt eine Näherin 200 Euro – im Monat.

Im nordmazedonischen Stip arbeiten heute 9.000 Menschen in der Textilindustrie. Sie nähen vor allem für den westeuropäischen Markt. Die meisten sind Frauen, kaum eine verdient mehr als den gesetzlichen Mindestlohn in Nordmazedonien: 200 Euro im Monat. Das ist weniger als in Bangladesch oder China, gemessen an den Lebenshaltungskosten. Denn die sind fast viermal so hoch wie der Mindestlohn, 750 Euro für eine vierköpfige Familie.

Billigtextilien vom Balkan

Kristina Ampeva will das ändern. Ihr Ziel: Gerechte Löhne. Sie hat selbst jahrelang als Näherin gearbeitet. Weil sie sich gegen Hungerlöhne auflehnte, wurde sie entlassen. Jetzt kämpft Kristina auf andere Weise für die Näherinnen: Sie hat das Netzwerk "Glasen Tekstilek" ("Stimme der Textilarbeiter") gegründet. Finanziert wird es aus Spenden.

Ich konnte keinen Betriebsrat gründen, die Arbeiterinnen wussten auch gar nicht, wie eine Arbeitnehmervertretung funktioniert. Die einzige Möglichkeit war, eine Selbsthilfe-Organisation zu gründen, um gegen die Ausbeutung zu kämpfen.

Denn die Näherinnen werden nicht nur schlecht bezahlt, sondern auch schlecht behandelt. Die Arbeitsbedingungen sind prekär: monotone Arbeit in der stets gleichen Körperhaltung, unbeheizte Fabriken im Winter, überhitzte im Sommer, unbezahlte Überstunden und erzwungene Wochenendarbeit.

Niedriglohnparadies mitten in Europa

Auch Katarina kennt diese Zustände. Sie war Näherin, hat gekündigt und gehört nun zum Netzwerk von Kristina.

In den letzten zehn Jahren hatte ich kein freies Wochenende, konnte mir weder für mich, noch für meine Tochter einen Urlaub leisten. Sie fragt nie nach Geld, trägt keine teuren Kleider, kauft sich nur billige Sachen. Es ist schwer.

Die Textilaktivistin Kristina Ampeva versucht, die Beteiligten zusammenzubringen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern: Staatliche Aufsichtsbehörden, die Arbeitgeber, NGOs aus den Nachbarländern. Denn teure Mode aus billiger Produktion, das betrifft den ganzen Balkan. In der Region arbeiten mehr als 100.000 Menschen in der Modeindustrie, in mehr als 10.000 Betrieben. Ein Großteil der Kleidung geht in den Export. Deutschland gehört zu den größten Abnehmern.

Ein Kampf, der sich lohnt?

Doch es gibt auch positive Beispiele in Nordmazedonien: Betriebe, die mehr bezahlen als den Mindestlohn, zum Beispiel die Firma Moda Stip. Hier würden Überstunden vergütet, die Arbeitsbedingungen verbessert, so der Geschäftsführer, dennoch habe die Branche hat ein Problem.

Die großen ausländischen Marken versuchen, höhere Sozialstandards bei uns durchzusetzen. Diese kosten aber Geld. Das müssen wir selbst zahlen, dafür bekommen wir von den Konzernen nichts. Die wollen Standards, aber sie wollen nicht dafür bezahlen.

Es gibt Ausnahmen, doch das sind zu wenige. Aber der Druck der Kunden wächst. Denn die westeuropäischen Verbraucher sind immer häufige nicht bereit, Textilien zu kaufen, die unter unzumutbaren Arbeitsbedingungen hergestellt wurden.

(me,sm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 07. Februar 2020 | 17:45 Uhr

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