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Kommentar Warum geht bei Schulen nicht, was bei Intel geht?

25. Mai 2022, 06:52 Uhr

An Sachsen-Anhalts Schulen verstauben Schüler-Tablets und -Laptops. Auch Lehrerinnen und Lehrer nutzen viele Geräte nicht. Das hat eine MDR SACHSEN-ANHALT Recherche ergeben. Außerdem beklagen Landkreise und Gemeinden, dass die Landesregierung sich nicht mit ihnen abspricht, nicht zu Ende denkt und nicht genug Geld bereitstellt. Ein verheerendes Zeugnis, kommentiert MDR SACHSEN-ANHALT Autor Marcel Roth und fragt: Warum geht bei Schulen nicht das, was bei der Intel-Ansiedlung geht?

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Wie viele Computer gibt es für die Schüler im Land? Wie viele für die Lehrer? Und vor allem: Wie viele davon werden tatsächlich genutzt? Die Zahlen, die Landkreise, Städte und Gemeinden MDR SACHSEN-ANHALT auf diese Fragen gemeldet haben, machen eines klar: Eine vernünftige Vorbereitung auf das Leben ist für Sachsen-Anhalts Kinder und Jugendliche eine Glückssache.

Je nachdem, wie engagiert Lehrerinnen und Lehrer sind, je nachdem, wie gut ausgestattet die zuständige IT-Abteilung ist, je nachdem, wie durchdacht die Konzepte des Bildungsministeriums sind – digitale Bildung als Lotterie. Und das bereits seit Jahren.

Bei Schulträgern und auch an den Schulen selbst wird eine Strategie der Landesregierung vermisst. Ich finde, Strategie klingt sehr theoretisch. Es geht doch vor allem um eine Idee für die Zukunft. Denn das ist es doch, worauf Schülerinnen und Schüler vorbereitet werden müssen. Deshalb müssen sie auch an oberster Stelle stehen. Sie auf die Zukunft vorzubereiten sollte das einzige Ziel von Politikern und Verwaltungsmitarbeitern, von Lehrerinnen und Lehrer sein.

"Produkt" Zukunftsbefähigung

Natürlich: Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft vorzubereiten ist kein leichter Job. Aber das "Produkt" Zukunftsfähigkeit lässt sich nicht mit Ideen aus der Vergangenheit "herstellen". Vielmehr muss jeder am Bildungssystem Beteiligte seine eigene Rolle hinterfragen und sich in den Dienst der Schülerinnen und Schüler stellen.

Das klingt natürlich pathetisch. Nach einer Bilderbuch-Vorstellung und Wunschdenken. Aber die beste Bildung zum Ziel zu haben, ist weder pathetisch noch ein wilder Wunsch – es ist ein Recht, festgeschrieben in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, in der Grundrechte-Charta der EU, in der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalts (PDF). Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zu Schulschließungen in der Corona-Pandemie den gleichen Zugang zu Bildung betont und für einen Distanzunterricht ein Mindeststandard schulischer Bildung festgesetzt.

"Lieb dein Land" gilt auch für die Verwaltung

Also: gute Bildung in digitalen Zeiten ist ein verbrieftes Recht – und es darf auch pathetisch sein. Genauso pathetisch wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Hasselhoff (CDU) Anfang Mai, als er in der Staatskanzlei "Lieb dein Land" gerufen hat. Anlass dafür war, dass in seiner Staatskanzlei eine neue Staatssekretärsstelle entstanden ist. Wegen der Intel-Ansiedlung soll sich ein Staatssekretär um Großinvestitionen und den Strukturwandel kümmern.

"Bürger können sollen und müssen Zukunft neu denken", sagte Haseloff. Und laut "Mitteldeutscher Zeitung" weiter: "Jetzt darf nichts mehr schiefgehen, alle müssen mitziehen, bis in die Medien hinein."

Aber es scheint weiterhin vieles schief zu gehen: an den Schulen. Und ich finde, auch Politik und Verwaltung dürfen Zukunft gern neu denken!

Es ist nachvollziehbar und völlig berechtigt, eine solche Stelle einzurichten und Verwaltungshandeln zu vereinheitlichen. Nur muss sich die Landesregierung auch fragen lassen: Warum das bei der Intel-Ansiedlung möglich ist, bei der Zukunft von 320.000 Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhaltern unter 18 Jahren aber nicht?

Um ihre Zukunft bemühen sich Bildungsministerium, Ministerium für Infrastruktur und Digitales. Es gibt Landesschulamt, Landesverwaltungsamt, Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung, es gibt 14 Landkreise als Schulträger für weiterführende Schulen und es gibt Städte und Gemeinden, die als Schulträger für Grundschulen zuständig sind.

Kulturwandel geht nicht mit Verantwortungspingpong

In diesem Wirrwarr lässt sich wunderbar Verwaltungspingpong veranstalten, bei dem sich mitunter niemand verantwortlich fühlen muss: Lehrer-Laptops sind Landessache, Breitbandanschluss und Schüler-Geräte sind Sache der Schulträger. Schule als langer Arm einer Verwaltung. Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer als Objekte einer Verwaltung, als Verschiebemasse.

Alle Menschen außerhalb der Schulverwaltung scheinen eines längst begriffen zu haben: Die digitale Transformation der Gesellschaft und Wirtschaft deckt gnadenlos die Unzulänglichkeiten, systematischen und administrativen Probleme der Verwaltung auf. Viel zu viele Menschen in Verwaltung und Politik scheinen diese "Digitalisierung" aber immer noch als ein Infrastruktur-Problem zu begreifen – als ein Projekt, das irgendwann beendet ist.

Dem ist nicht so. "Digitalisierung" ist Kulturwandel; ein allumfassendes "Hyperobjekt" wie die Klimakrise. Es hört nicht auf. Sondern es macht richtig Arbeit, verlangt permanentes Kommunizieren, ständige Offenheit, Diskussionsfreude, Reflexionsfähigkeit und Vertrauen in das Gegenüber. Eine umständliche Organisation und manches Eingeschnapptsein bei Entscheidern in Verwaltungen stehen dem im Weg.

Ein Ausweg: Setzt euch alle zusammen – um der jungen Menschen und der Zukunft willen. Und vielleicht gelingt dann, was bei Intel so problemlos zu gehen scheint: eine Verwaltung mit einem klaren Ziel.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Über den Autor Marcel Roth arbeitet seit 2008 als Redakteur und Reporter bei MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir. Nach seinem Abitur hat der gebürtige Magdeburger Zivildienst im Behindertenwohnheim gemacht, in Bochum studiert, in England unterrichtet und in München die Deutsche Journalistenschule absolviert. Anschließend arbeitete er für den Westdeutschen Rundfunk in Köln.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er über Sprachassistenten und Virtual Reality, über Künstliche Intelligenz, Breitbandausbau und IT-Angriffe. Er ist Gastgeber des MDR SACHSEN-ANHALT-Podcasts "Digital leben". E-Mail: digitalleben@mdr.de

MDR (Marcel Roth)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 25. Mai 2022 | 12:00 Uhr

2 Kommentare

Andreas am 25.05.2022

Großartiger und leidenschaftlicher Kommentar! So viel Leidenschaft wünscht man sich bei den Entscheidern in unserem doch recht schönen Bundesland!

Basil Disco am 25.05.2022

Bravo! Genau so sieht es aus!

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