Podcast digital leben Wie sich Regional-Journalismus verändert

10. September 2021, 15:56 Uhr

Audio, Video, Online, Podcast, Newsletter – Internettechnologien verändern auch die Arbeit von Journalisten. Was heißt das für den regionalen Journalismus? In der aktuellen Podcastfolge von "Digital leben" von MDR SACHSEN-ANHALT geht es genau um diese Frage. Wir haben mit Print-, Radio und Online-Journalisten gesprochen.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Gatekeeper – Torwächter – so wurden Journalistinnen und Journalisten früher in der Wissenschaft bezeichnet: Sie haben Themen festgelegt und Nachrichten verbreitet, die sie für wichtig hielten. Mithilfe digitaler Technologien kann heute jeder Nutzer, jede Nutzerin Informationen recherchieren und verbreiten. Journalisten haben ihr Tor verloren. Denn die ganze Welt ist das Tor.

Digital leben

Digital leben, Digitalpodcast Logo
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Alle anzeigen (77)

Und Journalistinnen und Journalisten, die für lokale oder regionale Medien arbeiten, müssen versuchen, die Welt im kleinen und großen zu erklären. Deshalb ist Marc Rath, Chefredakteur der "Landeszeitung" für die Lüneburger Heide und lange Zeitungsjournalist in Sachsen-Anhalt, überzeugt: "Dem Journalismus geht nicht die Arbeit aus." Die Frage sei am Ende das Finanzierungsmodell.

"Aber der Beruf ist spannender und ich erreiche heute auch mit sinkenden Printauflagen mehr Menschen mit meiner Arbeit als vor fünf oder zehn Jahren", sagt Rath, der nach wie vor in Sachsen-Anhalt wohnt.

Lokalzeitung mit Video und digitalen Tools

Und seine Landeszeitung probiert einiges aus, wie die den Regional-Journalismus digital weiterentwickeln kann. Eines seiner Lieblingsprojekte sei derzeit eine Videoserie mit den Kandidatinnen und Kandidaten, die in Lüneburg das Oberbürgermeisteramt gewinnen wollen. "Der Kollege hat den Kandidaten im Video Dinge entlockt, die auch ich noch nicht wusste", sagt Rath. In Videos können die Wähler die Kandidaten echter erleben als in einem Zeitungsbericht.

Raths Zeitung hat auch das Projekt "100eyes" ins Leben gerufen. "Das ist ein Dialog-Portal, bei dem wir Kontakt zu 50 Menschen haben, die erst fünf Jahre oder weniger in Lüneburg wohnen und von denen wir erfahren wollen, was denen wichtig ist und was wir aufgreifen sollten." Damit sei man die erste Redaktion in Deutschland, die dieses Tool nutze, sagt Rath. Entwickelt wurde es in Lüneburg vom Innovationslabor tactile.news.

Und die Zeitung nutzt seit einem dreiviertel Jahr auch die deutsche Plattform lokalportal, eine Art regionales Facebook. "Das ist ein sehr freundliches Portal. Man muss sich da mit seiner Handynummer registrieren. Das führt dazu, dass wir noch kein Kommentar löschen mussten, anders als auf unserer Facebook-Seite."

Social Media ist auch für Lars Frohmüller, Landeshauptstadtreporter von "Radio Brocken" aus Halle, wichtig. Auf Facebook ist sein Sender aktiv. Aber Frohmüller selbst ist als Journalist auf Twitter. Das sei wichtig.

"Ich folge ja nicht nur einem Text, der mich anspricht, sondern ich will auch die Personen kennenlernen", sagt Frohmüller. Journalisten als Influencer: Wie ticken sie, woher kommen ihre Informationen, wie entstehen Nachrichten – all das könne man auf Social Media bei Journalisten beobachten.

Wandel im journalistischen Selbstverständnis

Technologien stehen also zwar im Vordergrund – der wirkliche Wandel liegt wohl aber im Umgang mit dem Publikum. So kommt Transparenz in den Journalismus, meint Frank Rugullis, Online-Chef von MDR SACHSEN-ANHALT: "Die Menschen bekommen so einen persönlichen Zugang zu Nachrichten, Informationen und Analysen. Das wertvolle Gut Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Nähe lässt sich so ausspielen."

Soziale Medien haben das Rollenverständnis von Journalisten verändert. Früher seien Redaktionssitzungen und Entscheidungen intransparenter gewesen. "Warum etwas gemacht wird, spielte nach außen kaum eine Rolle. Im Digitalen ist es jetzt so, dass man auch bei Fehlern transparenter ist soweit es geht", sagt Rugullis. Man erkläre die eigenen Motive und könne Nutzerinnen und Nutzern an Erfahrungen teilhaben lassen.

Ein Thema und unterschiedliche Blickwinkel – auch im Regionalen

Und dass ein starker und vielfältiger regionaler Journalismus auch den Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhaltern hilft, davon sind alle drei überzeugt. Ein gutes Beispiel dafür sei die Berichterstattung rund um den antisemitischen Anschlag in Halle 2019. Zu dem Prozess gab es aus Sachsen-Anhalt drei Podcasts: von "Radio Brocken", von "Radio Corax" und von MDR SACHSEN-ANHALT. Lars Frohmüller: "Man konnte dem Prozess aus ganz verschiedenen Winkeln sehen und um sich ein ganzes Bild zu machen, ist es wahrscheinlich sinnvoll, alle drei Sachen zu hören und gegenüberzustellen." Dabei hätte man immer noch einen anderen Aspekt erfahren, das mache dieses "Digitale" aus, meint Frohmüller von "Radio Brocken". "Man kann viel liefern, aber man kann auch viel Unterschiedliches liefern."

Ein Mann steht vor einer Fabrik und spricht in ein Mikrofon. Er hat den Daumen der rechten Hand gehoben und lächelt. Daneben der Schriftzug: Wenn der Lokaljournalismus verschwindet. 1 min
Bildrechte: MDR MEDIEN360G
1 min

Ohne professionellen Lokaljournalismus geht die unabhängige Berichterstattung baden. Denn dann berichtet beispielsweise der Bürgermeister selbst über seine Politik im Rathaus und schildert nur die Schokoladenseite.

Mo 24.08.2020 12:47Uhr 00:49 min

https://www.mdr.de/medien360g/medienkultur/wenn-der-lokaljournalismus-verschwindet-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Diese drei Produkte würden gut zeigen, wie positiv auch Wettbewerb im Regionalen sei, sagt Frank Rugullis von MDR SACHSEN-ANHALT. "Das ist ein Riesenansporn, um im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer gute Produkte zu entwickeln." Und es zeige, dass sich private und öffentlich-rechtliche Medienhäuser die grundsätzliche Aufgabe haben, sich Gedanken zu machen, welche Art von Journalismus im Digitalen möglich ist und wann Nutzerinnen und Nutzer dafür bereit sind Geld auszugeben oder die öffentlich-rechtliche Art der Finanzierung zu unterstützen.

Regional-Journalismus stellt überall die gleichen Fragen

Im regionalen Journalismus gehe es vor allem um eines: "Alles, was die Menschen in der Region bewegt, was sie Interessiert und ihnen Mehrwert liefert, ist Lokaljournalismus." Für die "Landeszeitung" in Lüneburg von Marc Rath hat das schon lange eine ganz klar Konsequenz: "Wir haben auch in der Printausgabe den Lokalteil ganz vorn." Jeden Tag müsse das beste lokale Motiv, die beste lokale Geschichte auf die Titelseite.

Foto eines Mannes vor einem Computerbildschirm. Außerdem ein weißer Kreis mit einem gelben Verortungssymbol. 10 min
Bildrechte: MDR MEDIEN360G
10 min

Professionell und unverzichtbar Lokalzeitungen unter Druck

Lokalzeitungen unter Druck

Der Lokaljournalismus steckt in einem Dilemma. Er ist immer noch stark von der gedruckten Zeitung abhängig. Doch die verliert Leser. Wir haben über Herausforderungen und Perspektiven mit Journalisten vor Ort gesprochen.

Fr 21.08.2020 10:11Uhr 10:13 min

https://www.mdr.de/medien360g/medienkultur/lokalzeitung-unter-druck-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Und das sei vor allem eine Frage des Handwerks, sagt Frohmüller: "Man will dem Hörer, dem Rezipienten eine Geschichte erzählen." Egal ob Text, Audio oder Video, es ginge immer um die Geschichte, die Journalisten erzählen. "Und ich glaube, da ist das Wichtigste, dass das Handwerk sitzt. Alles andere findet sich", sagt Frohmüller.

Journalismus auf Augenhöhe

Immer wieder finden muss der Regional-Journalismus seine Nutzerinnen und Nutzer. Dafür sei es wichtig, dass sich Journalismus und Medienhäuser öffneten, glauben Rugullis und Rath. "Wir sagen schon länger zum Beispiel zu Studenten, unser Haus ist im technischen und journalistischen Bereich offen, kommt zu uns, lasst uns zusammen Dinge ausprobieren", sagt Rugullis. In solchen Projekten könne auch Journalismus entstehen, das sein eine kleine Vision. Zeitungs-Chefredakteur Rath findet den Gedanken gut, sich zu öffnen, das versuche auch seine Redaktion. "Aber wir müssen nicht nur unsere Türen öffnen, sondern wir müssen auch aus unseren Türen herausgehen", glaubt Rath. "Auch wenn wir glauben, dass wir sehr transparent und offen sind, die Hürde doch zu uns hochzukommen."

Rath sagt außerdem, man müsse einen Austausch auf Augenhöhe betreiben, um digitalen Journalismus zu machen. Das sei dann sogar eine Wiedergeburt des Journalismus im Digitalen, findet Rugullis. "Die Erfahrung zeigt wirklich, dass die Nutzerinnen und Nutzer gute Geschichten, gute Recherchen und gute Produkte suchen, die mit Elan, Engagement und Motivation entstanden sind." Am Ende hätten alle Journalistinnen und Journalisten nämlich ein Ziel, sagt Radio-Brocken-Reporter Lars Frohmüller: "Auch wenn wir in unterschiedlichen Häusern arbeiten, wollen wir, dass dieser Journalismus weiterlebt, dass die Produkte Print, Radio und Fernsehen weiter seine Hörer oder Leser erreicht."

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Über den Autor Marcel Roth arbeitet seit 2008 als Redakteur und Reporter bei MDR SACHSEN-ANHALT. Nach seinem Abitur hat der gebürtige Magdeburger Zivildienst im Behindertenwohnheim gemacht, in Bochum studiert, in England unterrichtet und in München die Deutsche Journalistenschule absolviert. Anschließend arbeitete er für den Westdeutschen Rundfunk in Köln. Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er über Sprachassistenten und Virtual Reality, über Künstliche Intelligenz, Breitbandausbau, Fake News und IT-Angriffe. Außerdem ist er Gastgeber des MDR SACHSEN-ANHALT-Podcasts "Digital leben".

MDR/Marcel Roth

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 14. September 2021 | 14:00 Uhr

1 Kommentar

ule am 12.09.2021

lokaler Journalismus auf Amerikanischen, Britischen, Russischen oder Chinesischen Transpondern ?
Was soll das sein ?

Journalismus, so wie es sich der Konsument wünscht, darf von keiner Institution, weder von seinem Bröttchengeber, irgendeinem Wächterrat oder sonstwie politisch bestimmten Beauftragten, durch irgend ein Tor geführt werden.
Es ist schade zu wissen, dass es sich dabei nur um Wunschdenken handelt.

Die Realität ist, dass jede Art des Journalismus Richtungsgebunden ist. Dabei darf unterschieden werden, zwischen Meinungsjournalismus, Public-Relation, Propaganda oder reinem Fakten Transfer ohne Wertung.

Guter Journalismus zeichnet sich dadurch aus, dass er in einer Welt der Vielfalt, niemals allen Menschen gleichzeitig gerecht wird. Dennoch müssen aber alle Menschen gleichermaßen bedient werden.
Journalismus darf nicht zu einem Instrument verkommen und schon garnicht über das Monopol einer Meinung verfügen. Akzeptanz in der breiten Masse, darf man sich nicht erkaufen.

Mehr aus Sachsen-Anhalt