Jugendstudie 2024 Wenn die Hoffnung schwindet: Jugend im Zukunftsstress
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20. August 2024, 16:47 Uhr
Nach dem Ende der Schule beginnt in diesen Wochen für junge Menschen in Sachsen-Anhalt ein neuer Lebensabschnitt. Doch viele blicken pessimistisch in die Zukunft. MDR-Reporter Uli Wittstock hat junge Leute getroffen und mit ihnen über ihre Aussichten gesprochen.
- Jugendliche aus Sachsen-Anhalt erzählen, dass ihre Kindheit nicht immer sorgenfrei war.
- Auch die Nutzung von Sozialen Medien hat einen Einfluss auf ihre Psyche.
- Gleichzeitig möchten sich viele junge Menschen politisch engagieren.
Wer zwischen 1995 und 2010 geboren wurde, gehört zur sogenannten Generation Z. Das ist eine Generation, die mit Smartphone und Social Media aufwuchs und den Mauerfall nur noch aus Erzählungen kennt.
Doch ereignisarm waren jene Jahre nicht: Der Angriff auf das World Trade Center, später dann die Finanz- und Schuldenkrise, die Diskussionen um Flüchtlinge und Zuwanderung. Es folgten Corona, Krieg in der Ukraine, Inflation und als Dauerthema immer aktuell – der Klimawandel. Man spricht inzwischen von einer Vielfachkrise, also einer insgesamt schwierigen Situation, in der sich Entwicklungen negativ verstärken.
Jugend mit Sorgen
Bis vor wenigen Jahren gab es in vielen Familien die Zusage: "Euch soll es mal besser gehen." Das hört man inzwischen eher selten im Familienkreis. Die Eltern und Großeltern sind mit solchen Versprechen vorsichtig geworden. Das bestätigt auch die 18-jährige Jolina. Sie ist in der Ausbildung zur Sozialassistentin. "Wenn meine Eltern über ihre Kindheit und über ihre Jugend sprechen, dann sprechen sie meist darüber, wie sorgenfrei doch alles war. Und ich merke, dass es für mich nicht ganz so sorgenfrei war." Sie macht ihren Eltern aber keinen Vorwurf, denn die weltpolitischen Entscheidungen fallen nicht am Familientisch.
Kein scharfer Generationenkonflikt
Auch wenn es zu diesem Thema immer wieder reißerische Schlagzeilen gibt – von einem Dauerstreit zwischen den Generationen kann eigentlich keine Rede sein. Das bestätigt auch Inés Brock-Harder. Die Psychotherapeutin aus Halle ist zugleich Vorsitzende des Bundesverbandes für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. "Die Jugendlichen haben die Corona-Krise erlebt, mit all der Panik und den Bedrohungsszenarien. Jetzt kommen die übrigen schlechten Nachrichten hinzu. Wenn aber die Jugendlichen nach ihrer persönlichen Situation gefragt werden, dann geht es eigentlich den meisten Jugendlichen doch ganz gut."
"Sogar Familienmitglieder wenden sich von mir ab"
Wenn alte Gewissheiten in Frage gestellt werden, dann erzeugt das Verunsicherung. Aktuelle Studien zeigen, dass die Generation Z der Politik nicht mehr viel Lösungskompetenz zutraut. Und zugleich beklagen junge Menschen das Verschwinden von Freiräumen in der politischen Debatte. Das bestätigt die 18-jährige Celine. Sie erlebt eine starke Polarisierung auch im eigenen Umfeld: "Klimawandel, Kriege oder andere politische Themen sind sehr präsent in meinem Freundeskreis. Es wird immer wieder zum Thema und hat tatsächlich in meinem Freundeskreis auch negative Auswirkungen, weil ich viele Freunde verloren habe durch meine politische Meinung. Sogar Familienmitglieder wenden sich von mir ab."
Sucht nach Social Media
Wer mit den sozialen Medien aufwächst, der macht schon früh die Erfahrung, dass nur der auffällt, der besonders krasse Inhalte postet. Nun sind viele junge Menschen durchaus in der Lage, zwischen den digitalen Kunstwelten und dem realen Leben zu unterscheiden, doch der online-Pöbelton hat auch Folgen im realen Leben. Zumal die Rolle der sogenannten sozialen Medien in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, als Folge der Corona-Krise.
"Da war es ja notwendig, sich hauptsächlich in sozialen Medien zu bewegen" sagt Inés Brock-Harder und setzt hinzu: "Es ist aber schwierig, die jungen Leute da wieder herauszuholen. Die Nutzungszahlen haben sich kaum gesenkt und wir verzeichnen eine hohe Anzahl von Jugendlichen, die ein kritisches Medienverhalten haben bis hin zu einem Suchtverhalten." Die Folgen sind inzwischen in vielen Studien untersucht worden. Die aktuelle Sinus-Jugendstudie kommt zu dem Ergebnis, dass Social Media Einfluss auf die mentale Gesundheit hat. Nahezu jeder dritte Jugendliche habe psychische Probleme.
Interesse an politischen Themen groß
Inés Brock-Harder spricht von Urvertrauen und der Erfahrung, selbst etwas bewegen zu können. Allerdings zeigt die Sinus-Studie auch, dass immer weniger Jugendliche der aktuellen Politikergeneration vertrauen. Dabei ist das Interesse an politischen Themen durchaus groß. Das bestätigt auch der Schüler Toni: "In meinem momentanen Freundeskreis reden wir öfter mal über Politik. Wir sind natürlich alle gleichgesinnt, was unsere Meinungen angeht, aber trotzdem ist es interessant, darüber zu reden." Toni gehört zudem zu den jungen Leuten, die sich engagieren – derzeit im Schülerrat. Er könnte sich auch vorstellen, in Zukunft noch stärker politisch tätig zu werden. Auch Jolina denkt über ein solches Engagement nach: "Grundsätzlich könnte ich mir das schon vorstellen. Allerdings habe ich auch Angst davor, noch härtere Meinungen abzubekommen. Da braucht man auch sehr viel Mut, den ich zurzeit eigentlich nicht habe."
Psychische Probleme
In aktuellen Untersuchungen der Krankenkassen gelten psychische Probleme bei Erwachsenen als Hauptursache von Krankschreibungen in Deutschland. Nach aktuellen Studien sind rund dreißig Prozent der Jugendlichen von psychischen Problemen betroffen. Inés Brock-Harder warnt aber davor, diese Zahlen überzubewerten "Man sollte lieber melden, dass 70 Prozent der jungen Leute keine psychischen Probleme hat." Es gebe einen allgemeinen Trend, Probleme in den Vordergrund zu stellen und das Positive zu übersehen. Dennoch aber sollte frühzeitig reagiert werden.
Dazu hat die Psychotherapeutin eine Forderung in Richtung Politik: "Prävention, Prävention, Prävention. Und gerade die Jugendlichen, denen es nicht gut geht, brauchen schnell Hilfe. Dazu sind in den Schulen psychologisch kompetente Mitarbeiter nötig." Eigentlich bräuchte jede Schule nicht nur einen Sozialarbeiter, sondern eben auch Ansprechpartner für psychische Probleme. Allerdings mangelt es bereits an Lehrerinnen und Lehrern. Es scheint derzeit eher unwahrscheinlich zu sein, dass nun auch noch zusätzlich psychologisch geschultes Fachpersonal für Schulen geworben und bezahlt werden kann.
MDR (Uli Wittstock, Luise Kotulla)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. August 2024 | 16:40 Uhr