Hermes Paketdienst unterwegs mit dem Lastenrad in der Stuttgarter Fußgängerzone.
Mit zehn solcher Lastenräder ist Hermes auch in Magdeburg unterwegs. Bildrechte: IMAGO/Arnulf Hettrich

Ökologischer Nutzen in Logistikbranche Paketzustellung mit Lastenrad: Greenwashing oder echte Chance für Städte?

Von Daniel Salpius, MDR SACHSEN-ANHALT

20. September 2023, 16:41 Uhr

Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, haben Lastenräder für Paketdienste kaum Nachteile gegenüber Transportern. In Magdeburg liefert etwa Hermes jeden Monat rund 25.000 Pakete per Rad. Im Kampf gegen die Klimakrise kann die Technologie allerdings wohl nur einen kleinen Beitrag leisten. Ökologisch nutzlos ist das Konzept dennoch nicht.

"Güter auf die Schiene" – ist ein gut eingeübter Slogan, wenn es um den ökologischen Fußabdruck der Transportbranche geht. Der Satz "Güter aufs Lastenrad" wirkt dagegen naiv und zunächst weit weg von der Wirklichkeit. Das hat mit den Warenmengen zu tun, die täglich bewegt werden, und mit den unzähligen Paketen, die unsere Hausflure fluten.

Tatsächlich bringen die großen Paketdienste in Metropolen schon längst die Pakete auch mit dem Lastenrad. Und unter bestimmten Bedingungen könnte "Radlogistik" aus Sicht von Experten sowie Branchenverbänden sehr wohl immer mehr luftverschmutzende Diesel-Transporter ersetzen – zumindest auf der sogenannten "letzten Meile" zum Empfänger.

Paketdienst bringt in Magdeburg schon jede dritte Sendung mit dem Rad

In Magdeburg ist etwa der Paketdienst Hermes mit zehn E-Lastenrädern in verschiedenen Vierteln unterwegs. Mit einem klassischen Fahrrad haben diese Gefährte natürlich nur noch wenig gemein. Der kastenförmige Aufbau, die futuristische Fahrerkabine, das in Weiß und Schwarz gehaltene Design erinnern ein bisschen an NASA-Weltraumtechnik.

Von den rund 85.000 Sendungen, die Hermes nach eigenen Angaben in der Landeshauptstadt pro Monat zustellt, kämen bereits 25.000 mit einem dieser zehn Lastenräder, so Hermes-Sprecherin Julia Kühnemuth. Das ist fast jedes dritte Paket. Aber wie kann das funktionieren, wenn die Transport-Fahrräder mit Transportern in Sachen Ladefläche nicht ansatzweise mithalten können?

Ein Lastenrad befördert bis zu 100 Pakete

"Wir haben die operativen Prozesse in Magdeburg so angepasst, dass kaum noch ein Nachteil zu den deutlich größeren Transportern besteht", antwortet Kühnemuth. Entscheidend seien dabei zentrale Umschlagplätze, sogenannte Mikrodepots in den Quartieren, von wo aus die Ware aufs Rad kommt. 90 bis 100 kleinere bis mittlere Pakete könne ein Lastenrad befördern, bis zu 200 Kilogramm fasse der Laderaum. "Für sperrige Sendungen haben wir einen E-Transporter im Einsatz."

Es besteht kaum noch ein Nachteil zu den deutlich größeren Transportern.

Julia Kühnemuth Hermes-Sprecherin
Mikrodepot-Paket-Stationen und Lastenräder tragen im städtischen Verkehr dazu bei, die Konzentration gesundheitsschädlicher Schadstoffe in der Luft zu verringern. Das Foto zeigt ein Depot am Bahnhof Berlin Alexanderplatz.
Ein Lastenrad des Paketdienstes DPD wird in einem Mikrodepot beladen. Bildrechte: IMAGO/Roland Hartig

Das Konzept hat klare Vorteile für Paketdienste. Staus werden auf Radwegen umfahren. In Stoßzeiten seien Lastenräder dadurch schneller unterwegs als Transporter, so Kühnemuth. Außerdem könnten die wendigen Fahrzeuge oft direkt vor der Haustür halten und für Transporter unerreichbare Orte ansteuern. All das spart Zeit: eine harte Währung in der Logistik. Die Personalsuche werde ebenfalls einfacher, denn wer ein Lastenrad fahre, müsse keinen Führerschein besitzen.

Und auch finanziell kann sich das Lastenrad auszahlen. Anders als für einen Transporter – egal ob Elektro oder Diesel – fallen nach der Anschaffung keinerlei Steuern mehr an, kein TÜV, keine Pflichtversicherung und teures Tanken entfällt sowieso.

Lastenrad-Hersteller Rytle fertigt in Zerbst

Die Lastenrad-Branche wächst entsprechend. Laut Radlogistikverband Deutschland um jährlich 30 Prozent. Das spürt auch der Bremer Hersteller Rytle, der seine Lastenräder in Sachsen-Anhalt, am Standort in Zerbst (Anhalt-Bitterfeld) fertigt. 45 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen lackieren, schweißen und montieren in Zerbst die verschiedenen Modelle. Mehrere Tausend Räder hätten das Werk bereits verlassen, seit Rytle 2016 übernommen habe, sagt Vertriebsleiter Timo Antony. 90 Lastenräder kann die Firma pro Woche fertigen.

Beim Rundgang durch die Produktionshallen stechen besonders viele gelbe Räder mit schwarzem Posthorn ins Auge. Kleinere Lastenräder, wie sie Postboten fahren, laufen vom Stapel. Zu Rytles potenziellen Kunden gehört grundsätzlich "jeder, der in der Stadt etwas liefern muss", erklärt Antony. Dazu zählten Bäcker genauso wie große Paketdienste. Die Räder aus Zerbst seien vor allem in Berlin, Hamburg, Bremen, Trier sowie in Nordrhein-Westfalen unterwegs.

Hightech aus Zerbst: Neuestes Modell schafft 370 Kilo Ladung

Rytle-Standortleiter Thomas Klotz führt den "MovR3" vor.
Rytle-Standortleiter Thomas Klotz führt den "MovR3" vor. Bildrechte: MDR/Jonas Lübcke

Stolz des Unternehmens ist das Modell "MovR3", ein selbstentwickeltes großes, dreirädriges Lastenrad, das bis zu 370 Kilo Ladung befördern kann. Gleich zwei Elektromotoren sind verbaut, die vor allem als Anfahrhilfe gedacht sind. "Ohne diese Hilfe anzufahren, ist bei Volllast brutal", wirft Standortleiter Thomas Klotz ein. An Bord befindet sich zudem jede Menge Software, Analyse- und Sicherheitstechnik. Der Laderaum ist als Wechselbox konzipiert. Per Knopfdruck kann sie abgesenkt werden und landet auf darunter montierten Rollen, was Fahrern jedes Heben erspart. "Das können nur wir, das ist unser Patent", so Klotz. 22.000 Euro kostet solch ein Hightech-Rad.

Maximal 25 km/h schnell wird der MovR3. Mit 1,30 Meter Breite dürfte er die Grenzen manch eines real existierenden Radwegs sprengen. Um das Geschäft weiter anzukurbeln, hofft Rytle daher auf immer bessere Radinfrastruktur. Luft nach oben habe man jedenfalls, so der Vertriebsleiter. Noch seien die Produktionskapazitäten in Zerbst nicht ausgereizt.

Experte: "Lastenräder haben im Kampf gegen Klimawandel eher geringe Bedeutung"

Aber wie verhält es sich mit dem ökologischen Nutzen? "Im Kampf gegen den Klimawandel haben Lastenräder eine eher geringe Bedeutung", sagt Martyn Douglas vom Umweltbundesamt in Dessau. Die Transporte, die Lastenräder übernehmen könnten, hätten gemessen am Lkw-Verkehr auf den Autobahnen kaum Relevanz. Gehe es jedoch um Luftqualität, Platz und Lärm in den Städten, sehe es anders aus.

Douglas ist Mitautor einer Uba-Studie zu urbaner Logistik. Dem Papier zufolge haben Nutzfahrzeuge einen sehr hohen Anteil an den CO₂-, Stickoxid- und Feinstaubemissionen des Verkehrs in Städten und Gemeinden. Obwohl sie weniger als ein Siebtel des Verkehrsaufkommens ausmachen würden, verursachten sie bis zu einem Drittel der Emissionen. Der überwiegende Teil dieser Fahrzeuge transportiere Güter.

Lastenräder der Paketdienstleister Hermes, GLS, dpd und DHL
Die meisten der großen Paketdienste haben bereits Lastenräder im Einsatz. Bildrechte: IMAGO / Jürgen Heinrich

Hier könnten Lastenräder laut Studie Abhilfe schaffen. So habe ein Nürnberger Pilotprojekt gezeigt, dass sieben Diesel-Transporter durch acht Lastenräder und Mikrodepots dauerhaft ersetzt werden können, was den Ausstoß von Luftschadstoffen und Treibhausgasen um circa 25 Prozent gemindert habe. Das Einspar-Potenzial sei aber noch größer, da Lastenräder auch etwa in den Bereichen Handwerk, Dienstleistungen sowie Ver- und Entsorgung, eingesetzt werden könnten.

Branchenverband: Zahl an Lastenrädern wird sich erhöhen

Lastenräder brauchen zudem weniger Platz und sind leise – im Gegensatz zum oft notgedrungen in zweiter Reihe parkenden Transporter. Um städtische Klimaziele und Platzprobleme zu lösen, brauche es aber nicht nur Lastenräder, sondern eine Vielzahl an Maßnahmen und innovativen Fahrzeugkonzepten, die gesellschaftlich mitgetragen werden müssten, betont Martyn Douglas.

Das Lastenrad ist auf jeden Fall ein Erfolgsmodell und zukunftsfähig.

Elena Marcus-Engelhardt Sprecherin Bundesverband Paket und Express Logistik

Dass sich die Zahl von Lastenfahrrädern trotzdem erhöhen wird, steht für den Bundesverband Paket und Express Logistik (BIEK) fest. "Das Lastenrad ist auf jeden Fall ein Erfolgsmodell und zukunftsfähig", reagierte BIEK-Sprecherin Elena Marcus-Engelhardt auf MDR-Nachfrage. Der Verband glaubt dennoch nicht, dass deshalb insgesamt weniger Transporter unterwegs sein werden, weil die Menge an Paketsendungen weiter zunehmen werde.

Auf welche Fahrzeuge ein Paketdienst setzt, hängt letztlich aber offenbar auch von arbeitsrechtlichen Erwägungen ab. Aktuell erlebe man eine Diskussion um Arbeitsbedingungen und ein Verbot von Werkverträgen, so BIEK-Sprecherin Marcus-Engelhardt. Viele der Unternehmen, die Lastenräder einsetzen, seien Transportpartner der großen Paketdienste, die mit Werkverträgen beauftragt würden. "Wenn das Geschäftsmodell in Frage gestellt wird, werden die Unternehmen natürlich zurückhaltend."

Lastenräder brauchen breite Radwege und günstige Depot-Flächen

In Magdeburg hat sich der Paketdienst Hermes das langfristige Ziel gesetzt, lokal emissionsfreie Zustellungen auszuweiten. Ob das überall mit Lastenrädern umsetzbar ist, sei allerdings offen. Das Unternehmen setze daher auf einen Mix aus E-Lkw, E-Transportern und E-Lastenrädern, der sich an den Bedingungen vor Ort ausrichte. Dazu gehört die Infrastruktur. In Magdeburg würden die teils schlechten Straßenverhältnisse die Lastenräder mit ihrer schweren Last oft an ihre Grenzen bringen, so Hermes-Sprecherin Julia Kühnemuth. "Das führt zu vermehrten Reparaturen und teilweise auch zeitweisen Ausfällen von Rädern."

Dr. Tom Assmann ist Forschungsgruppenleiter an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er und sein Team forschen zur nachhaltigen Logistik, Radlogistik, autonomen Fahrzeugen und der logistikintegrierten Stadtplanung. Er ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Radlogistik Verbands Deutschland e.V.
Tom Assmann vertritt den Radlogistikverband Deutschland. Bildrechte: Jana Dünnhaupt, OVGU

Wollen Städte, dass vermehrt Radlogistik bei ihnen einzieht, gibt es laut Tom Assmann vom Radlogistikverband Deutschland klare Stellschrauben dafür. Allen voran ein gut ausgebautes Radwegenetz mit mindestens zwei Metern Breite sowie ausgewiesene Fahrradstraßen. Zudem müssten Kommunen günstige Flächen für Mikrodepots in den Quartieren bereitstellen, die nicht mehr als zehn Euro pro Quadratmeter kosten dürften. Eignen würden sich beispielsweise leerstehende Läden. Auch Fußgängerzonen würden Radlogistik begünstigen, so Assmann.

Weil die Preise für große Lastenräder mit zwischen 15.000 und 20.000 Euro noch hoch seien, brauche es zusätzlich sinnvolle Förderungen. Diese müssten auch Leasing ermöglichen. "Denn im Transport- und Logistiksegment wird in 90 Prozent der Fälle geleast, nicht gekauft", erklärt Assmann, der auch am Institut für Logistik und Materialflusstechnik der Uni Magdeburg forscht.

Radlogistik auch in Mittelstädten möglich – auf dem Land eher nicht

In Sachsen-Anhalt wird eine Förderung gewerblich genutzter Lastenräder laut Ministerium für Infrastruktur und Digitales derzeit vorbereitet – "als Bestandteil eines umfangreichen Programms zur finanziellen Unterstützung des Alltagsradverkehrs". Da die Mittel dafür aus dem Europäischen Förderfonds für regionale Entwicklung kommen, müssten dabei allerdings die Vorgaben der EU beachtet werden. Danach sei Leasing nicht förderfähig, heißt es auf Nachfrage aus dem Ministerium.

Die engen Gassen in Wernigerode oder Wittenberg sind ein hervorragendes Einsatzgebiet für Lastenräder.

Tom Assmann Radlogistikverband Deutschland

Tom Assmann zufolge eignet sich das Modell Radlogistik nicht nur in Großstädten, sondern auch in Mittelstädten wie Wernigerode oder Wittenberg. "Die engen Gassen dort sind ein hervorragendes Einsatzgebiet für Lastenräder." Auf dem Land seien die Möglichkeiten dagegen begrenzt. Denn bei langen Distanzen gepaart mit weniger Zustellstopps seien Lastenräder nicht wirtschaftlich.

MDR (Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 14. September 2023 | 17:00 Uhr

54 Kommentare

Micha R vor 33 Wochen

@ rom.1
"...So schnell können die Zuliefer-Firmen gar nicht gucken, da kommen die Krankmeldungen der Mitarbeiter angeflattert."
Kein Wunder, das laut Gesundheitsreport 2022 der Barmer Ersatzkasse im Jahre 2021 aus der Berufsgruppe "Berufe für Post- und Zustelldienste" im Durchschnitt mehr als 28 Tage arbeitsunfähig gemeldet waren...

rom.1 vor 33 Wochen

Interessant ist in der Hinsicht, daß die Post die Marke Streetscooter 2014 kaufte und nach Verlusten von bis zu 100 Millionen Euro im Jahre 2020 einstellen wollte.
Ein wirtschaftlicher Nutzen war nicht mehr gegeben.
Überall in Deutschland klapperten seit Jahren die gelben E-Mobile durchs Land.
Im Jahr 2022 erfolgte der Verkauf an die luxemburger Firma Odin.
Das Unternehmen meldete am 15. September diesen Jahres, 2023, Insolvenz an...

Troll vor 33 Wochen

Das Strom aber nicht alles ist und wir fossile Energien nicht nur zum Heizen und zur Stromerzeugung nutzen ist ihnen schon klar. Diese 50 Prozent geben einen vollkommen falschen Eindruck. Am aktuellen Gesamtenergieverbrauch kommen die Erneuerbaren auf gerade mal 20 Prozent. Wenn wir dann auch noch die fossilen Rohstoffe die nicht nur für Wärme- und Stromerzeugung genutzt werden durch ineffiziente Stromkreisläufe ersetze, sind wir sicher noch viel schlechter, da der Energiebedarf ein vielfaches vom aktuellen sein wird.
Die einzige Wahre Maßnahme zum Klimaschutz wäre der Verzicht aber das kann kein Politiker verkaufen. Wir zerstören durch dieses Greenwashing nur neue Teile unsere Erde aber eine Kreislaufwirtschaft ist mit dem Elektroschrott niemals möglich.
Hier gab es vor kurzem erst einen Artikel über ein 3l Auto, was im Test mit 1,7 l ausgekommen ist. Das wäre mal eine Technologie die sofort helfen würde aber so kann man keine großen Autos verkaufen.

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