Kleinstadthelden Marienhof in Neinstedt: Wo Inklusion gelebt wird

20. März 2020, 10:27 Uhr

Der Marienhof ist ein besonderer Ort. Hier im kleinen Vorort von Thale im Harz wird keiner ausgeschlossen, weil er anders ist. Hier wird Inklusion gelebt, das heißt Menschen mit Behinderung arbeiten Seite an Seite mit Menschen ohne.

"Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich bis zu meiner Rente hier arbeiten". René hat seinen Traumjob gefunden. Er arbeitet im Hofcafé des Marienhofs in Neinstedt. "Am meisten mag ich den Kundenkontakt, man kann auch mal ein Schwätzchen halten oder auch mal Spaß machen", erzählt der 23-Jährige. "Und man hat zwar die Kasse, aber ich versuche immer im Kopf zu rechnen, so rostet man nicht ein."

Stärken hervorheben

René hat eine seelische Behinderung. Er hat Schwierigkeiten mit logischen Zusammenhängen. Ändert sich ein Muster, hat er damit Probleme, ist schnell überfordert. Hier im Marienhof hat er aber gemeinsam mit seiner Chefin einen Rhythmus und Tagesablauf gefunden, die es ihm ermöglichen seine Stärken hervorzuheben. Dadurch erledigt er Aufgaben, wie jeder andere Mitarbeiter auch.

Unterstützung auf dem Weg

Das sei auch das Ziel vom Marienhof, erklärt der Leiter Gerd Wahl. "Menschen mit Behinderungen haben auf dem ersten Arbeitsmarkt wenig Chancen, sich zu verwirklichen oder ihren Mittelpunkt zu finden. Wir sind ihre Unterstützer, dass sie das hier auf dem Marienhof finden", so Wahl. Dabei würden bei jedem Beschäftigten die Stärken herausgearbeitet und unterstützt. Je nach Stärken werden sie dann auch in einen der fünf Arbeitsbereiche eingeteilt.

Ein Bauernhof mit Tradition und Zukunftsvision

Der Marienhof ist ein 100-jähriger Bauernhof, der zur Evangelischen Stiftung Neinstedt gehört. Gearbeitet wird in fünf Bereichen: Gärtnerei, Landwirtschaft, Landschaftspflege, Hofladen und Bäckerei. In allen Bereichen arbeiten insgesamt 60 Mitarbeiter und Beschäftigte* gemeinsam. Was in der Gärtnerei, Bäckerei und in der Landwirtschaft entsteht, wird im Hofcafé verkauft – alles in Bio-Qualität. "So entsteht ein Kreislauf", erklärt Wahl.

Die Bäckerei und den Hofladen gibt es auch erst seit zwei Jahren. Ein Zeichen für eine Entwicklung, die der Hof einschlägt. Ursprünglich war der Bauernhof zur Selbstversorgung für die Evangelischen Stiftungen gedacht. Nun solle er sich immer weiter zu einer Erlebniswelt entwickeln. Eine Brücke zur nahegelegenen Teufelsmauer ist bereits entstanden. Ab April 2020 eröffnet auf dem Hof auch ein barrierefreier Spielpatz. "Wir wollen, dass der gesamte Marienhof für alle zugänglich und verfügbar ist. Kinder mit Behinderung sollen nicht vom Spielen ausgeschlossen werden", so Wahl. Und durch die Anbindung zum Tourismus-Hotspot sollen die Menschen zum Marienhof kommen und so erleben, wie Inklusion funktionieren kann.

Menschen wertschätzen den Hof

Wer hier im Hofladen vorbeikommt, kann dann René und seine Kollegen erleben. "Wer herkommt, weiß eigentlich, wo er ist. Die Menschen sind in der Regel sehr geduldig, wenn etwas mal länger dauert", erzählt René. Neben seiner Lieblingsbeschäftigung an der Kasse, gehören auch Warenkontrolle und Service dazu. Dinge, die er vor seiner Einstellung im Marienhof nicht für möglich gehalten hätte.

Andrers als irgendwo anders

"Die Beschäftigten sind in normalen Betrieben immer diejenigen, die die Arbeit machen müssen, die andere nicht machen wollen", erzählt er. Als er in einer anderen Küche gearbeitet hat, habe er nur Kartoffeln schälen und abwaschen müssen, obwohl es ihm beim Vorstellungsgespräch anders versprochen worden sei.

Das sei im Marienhof anders. "Hier merke ich keinen Unterschied zwischen normalen Mitarbeitern. Sie behandeln mich ganz normal, ich mache die gleichen Arbeiten wie die anderen." Deshalb sagt er auch: "Was im Marienhof normal ist, ist woanders nicht normal."

*So werden Arbeitnehmer mit Behinderung genannt.

Über die Autorin Olga Patlan ist seit 2015 freie Redakteurin und Reporterin bei MDR SACHSEN-ANHALT. Hier schreibt sie überwiegend Online-Artikel, betreut die Social-Media-Kanäle und moderiert Interviews und Videos auf dem Facebook- und Instagram-Kanal. Außerdem produziert sie Radio- und Fernsehbeiträge zu unterschiedlichsten Themen. Sie lebt seit zwölf Jahren in Magdeburg. Hier studierte sie an der Otto-von-Guericke Universität Germanistik und Psychologie, spezialisierte sich aber bereits früh im Studium auf Medien. Erste journalistische Erfahrungen sammelte sie bei Radio SAW. In ihrer Freizeit bereist sie gern die Welt und entdeckt Neues. Daher rührt auch ihre Leidenschaft für den Beruf als Journalistin, sich immer wieder in neue Inhalte zu denken, Menschen und Inhalte darzustellen.

Quelle: MDR/pat

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 12. März 2020 | 09:30 Uhr

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