Waldlichtung bei Bad Lobenstein    Sonnenaufgang Quelle: Wolfgang Kober Rechte: Wolfgang Kober Alt-Text: Sonnenaufgang am Stichlingsplatz unterhalb des Kickelhahns bei Ilmenau
Der Harz ist bekannt für seine Mythen und Sagen. Auch der Wilde Mann oder Wolfsmensch gehört dazu. Bildrechte: Volkmar Wagner

Geheimnisvoller Harz Wolfsmensch von Blankenburg nur eine Sagengestalt?

17. Oktober 2023, 10:39 Uhr

Berichte über angebliche Sichtungen von geheimnisvollen Wesen begeistern Menschen seit langem. Ein Beispiel dafür sind Meldungen über vermeintliche Sichtungen eines "Wolfsmenschen" im Wald bei Blankenburg im März 2023. Fotos kursierten, Spekulationen wurden angestellt, Journalistinnen und Journalisten in den Harz geschickt, um auf Spurensuche zu gehen. Erfolge blieben aus. Bis heute gibt es keine Beweise – aber eine Spur, die in die Abgründe einer jahrhundertealten Sagenwelt führt.

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Knapp sieben Monate nach der vermeintlichen Sichtung eines sogenannten "Wolfsmenschen" im Wald bei Blankenburg ergeben Nachfragen bei öffentlichen Stellen zu dem Thema ein einheitliches Bild: Hinweise auf im Wald lebende Menschen gibt es nicht – jedoch einiges an Unverständnis über die mediale Aufmerksamkeit.

Leben im Wald ist verboten

Sowohl beim Ordnungsamt als auch bei der Unteren Forstbehörde des Landkreises Harz sind keine Hinweise über einen im Wald bei Blankenburg lebenden Menschen eingegangen, teilt der Landkreis auf Anfrage mit. Die Thematik sei aus der Presse bekannt, jedoch gebe es dazu bei der Kreisverwaltung keine konkreten Hinweise.

Auch die Nationalparkverwaltung Harz hat keine Kenntnisse über im Wald innerhalb des Schutzgebietes lebende Menschen. "Dies wäre in jedem Fall verboten und würde nicht geduldet", sagte Pressesprecher Martin Baumgartner.

Das sagt das Landeswaldgesetz zum Leben im Wald:

Laut § 22 Landeswaldgesetz Sachsen-Anhalt muss das Zelten oder das Aufstellen von Wohnwagen oder Wohnmobilen sowie das Anlegen von Feuerstellen von den jeweiligen Nutzungsberechtigten erst genehmigt werden. Verstöße können mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.

Polizei: Mythos oder Sage

Beim Polizeirevier Harz gibt es ebenfalls keine Hinweise auf eine im Wald lebende Person. Das Revier teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, dass es am 25. März 2023 zu einem Brand in einem Waldgebiet bei Blankenburg kam. Nach verschiedenen Zeugenaussagen soll der Verursacher des Brandes ein sogenannter "Wolfsmensch" sein, der im dortigen Waldgebiet, Heers, leben soll.

Der Verursacher des Brandes wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt gesehen oder angetroffen. Die verschiedenen Darstellungen von Einwohnern der Stadt Blankenburg ähnelten eher einem Mythos oder einer Sage, heißt es weiter.

Durch verschiedene Medienberichte wurde der Mythos des Wolfsmenschen bekannt gemacht. Objektive Beweise liegen der Polizei nicht vor.

Polizeirevier Harz

Feuerwehr Blankenburg: "Hochgepushtes Phänomen"

Auch bei der Feuerwehr der Stadt Blankenburg gab und gibt es keine Hinweise auf im Wald lebende Menschen. Das sagte Ortswehrleiter Alexander Beck auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Lediglich Waldbrände aus unbekannter Ursache kämen immer mal wieder vor. Hier sei der Faktor Mensch eine der Ursachen: Wanderer und Touristen und deren Umgang mit Feuer und Zigaretten seien eine Gefahr.

"Wir haben immer wieder kleine Feuerstellen, die nicht sauber abgegrenzt und dann gelöscht werden und sich dann zu einem Flächenbrand ausweiten", erklärt Beck. Auch Behausungen in Form von senkrechten Ästen, die als Tipi um Bäume gelegt werden, würden immer wieder gefunden. Diese würden aber von Kindern gebaut und nicht von einem Wolfsmenschen.

Besucher besichtigen die Sandhöhlen in Blankenburg
An den Sandsteinhöhlen bei Blankenburg will ein Zeuge den "Wolfsmenschen" gesehen haben. Bildrechte: picture alliance/dpa

Insgesamt ist das Thema Wolfsmensch für Beck ein von den "Medien hochgepuschtes Phänomen". Bis zum Erscheinen des Artikels "Wolfsmensch im Harz bei Blankenburg" habe es keinerlei Phänomene gegeben. "Mein dringender Rat: Lassen Sie das Thema abkühlen. Sie befeuern damit eine selbst erzeugte und immer weiter entwickelte Geschichte", kritisiert der Ortswehrleiter.

Begriff "Wolfsmensch" stammt aus der Medizin Eigentlich stammt der Begriff "Wolfsmensch" aus der Medizin. Seit dem Mittelalter wurden damit Menschen beschrieben, die eine extrem starke Körper- und Gesichtsbehaarung haben – und deshalb an einen Wolf erinnerten. Heute weiß man, dass die ausgeprägte Behaarung von einem Gen-Defekt stammt. Sie ist allerdings sehr selten. Dass es sich bei dem im Harz gesichteten Menschen um einen "Wolfsmenschen" im medizinischen Sinne handelt, ist also extrem unwahrscheinlich.

Andere Themen wie beispielsweise die schwierige Planung, Beschaffung und Finanzierung von Fahrzeugen oder die Entwicklung der Feuerwehren im ländlichen Raum würden den Feuerwehren mehr helfen.

Waldwesen im Harz: ein bekannter Mythos

Dass Menschen in Wäldern Feuer machen, ist nicht erlaubt, kommt aber vor. Dass Menschen entscheiden, im Wald wohnen zu wollen, weil sie ein Unbehagen an der Kultur dort hintreibt, kommt sicherlich auch häufiger vor, als uns bekannt ist. Aber ein Wolfsmensch? Woher kommt die Faszination, die von solchen Erzählungen ausgeht?

Eine Antwort gibt die Erzählforscherin Kathrin Pöge-Alder. Sie war bis 2020 beim Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V. als Referentin für historische und gegenwärtige Alltagskultur tätig und beschäftigt sich seit Jahren mit Märchen und Sagen.

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Unerklärliche Fälle von Begegnungen mit wilden Wesen, die im Wald leben, sind im Harz keine Seltenheit, sondern Teil einer lange gewachsenen Sage. Aus der mittelalterlichen Einstellung zum Wald als unheimlichem Ort erwachsen, tauchte die Figur des Wilden Mannes in den Sagen im 18. und vor allem 19. Jahrhundert auf, erklärt die Forscherin. Für die Harzer Bergstadt Wildemann, die 1529 von Menschen aus dem Erzgebirge gegründet wurde, war der Waldgeist sogar Namensgeber.

Ein als "Wildemann" (Sage der Bergstadt Wildemann) verkleideter Teilnehmer posiert in Clausthal-Zellerfeld beim Festumzug zum Harzfest.
Beim jährlichen Rotvieh-Umzug in Wildemann (Niedersachsen) ist der Wilde Mann immer anwesend. Die Stadt im Harz wurde nach der Sagenfigur benannt. Bildrechte: picture-alliance/ dpa | Hubert Jelinek

Der Sage nach sahen die Neuankömmlinge einen "wilden Mann" und konnten ihn fangen. Er starb in Gefangenschaft. An der Stelle, an der der "Wilde Mann" gefangen wurde, sollen große Silbervorkommen entdeckt worden sein und die Stadt Wildemann wurde gegründet. "Vielleicht haben die Bergleute tatsächlich unbekannte Männer im Wald gesehen", meint Pöge-Alder. Sogenannte Gesetzlose hätten die Zeit der Pest, erstmals im 14. Jahrhundert, in den Wäldern überlebt. "Vielleicht waren sie die Modelle für die Sage."

Wilder Mann, Symbolfigur des Harzes

Überhaupt sei der Wilde Mann ein Symbol für den Harz. Auch in den "Volksmärchen der Deutschen" von Johann Carl August Musäus aus dem 18. Jahrhundert findet sich eine Sage, in der ein Hirte erzählt, wie er nachts im Wald einem unheimlichen Mann begegnet, erzählt Pöge-Alder. Es ist ein Mann mit struppigem Haar, langem Bart, stark behaart, trägt einen Lendenschurz, hat eine Krone auf dem Kopf und einen Baumstamm in der Hand.

Wilder Mann in Halberstadt
Figuren des Wilden Mannes tauchen im Harz immer wieder auf. Hier in der Innenstadt von Halberstadt (Foto von 1998). Bildrechte: IMAGO / Rolf Zöllner

Musäus erkennt die Gestalt als "Berggeist des Harzes, wo er den Bergleuten oft erschienen ist". Auch auf dem Harzgulden, der Münze der Fürsten von Braunschweig-Wolfenbüttel, ist der Wilde Mann als Symbolfigur des Harzes zu erkennen.

Das Wilde gehört dazu

Doch warum fühlen sich die Menschen auch heute noch von Mythen und Sagen so angezogen? "Unsere Kultur besteht immer aus Natur und Kultur, aus dem Wilden und dem Gezähmten", fasst Pöge-Alder zusammen. Und der Wilde Mann sei ein Symbol für das Wilde, das trotz aller Rationalität immer wieder auftauche. "Wir haben diese Abgründe in uns und suchen auch immer wieder die Verzauberung der Welt. Je mehr das Religiöse und Spirituelle in der Welt verdrängt wird, desto mehr fehlt es den Menschen und sie kommen auf abgelegene Ideen", sagt sie mit einem Schmunzeln.

Wir haben diese Abgründe in uns und suchen auch immer wieder die Verzauberung der Welt. Je mehr das Religiöse und Spirituelle in der Welt verdrängt wird, desto mehr fehlt es den Menschen und sie kommen auf abgelegene Ideen.

Kathrin Pöge-Alder, Erzählforscherin

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MDR (Moritz Arand) | Erstmals veröffentlicht am 15.10.2023

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