Klimawandel
Seit 33 Jahren forscht und warnt der Weltklimarat vor den Folgen des Klimawandels. Bildrechte: Colourbox.de

Handeln, aber wie? "Wir sind am Arsch" – der Klimawandel ist jetzt

22. Juli 2021, 20:07 Uhr

Die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat dramatisch deutlich gemacht, auf welche Katastrophen wir durch den Klimawandel zuschlittern. Trotzdem passiert wenig. Woran scheitert die Klimawende bisher? Ein Erklärungsversuch.

Vor dem Klimawandel wird schon länger gewarnt, als ich auf der Welt bin. Ich bin 28 Jahre alt, studiere in Magdeburg Friedens- und Konfliktforschung und arbeite beim MDR. In allen Lebensbereichen muss ich mich immer wieder mit dem Klimawandel auseinandersetzen.

Die Bedrohung ist wissenschaftlicher Konsens. Längst lautet die Frage nicht mehr, ob der Klimawandel existiert, sondern nur noch, wie genau wir darauf reagieren. Trotzdem steuert die Menschheit derzeit auf eine Erderwärmung von 3 Grad Celsius zu. Das ist doppelt so viel, wie im Pariser Klima-Abkommen festgehalten wurde – mit ungleich schlimmeren Folgen. "Wir sind am Arsch", wie es der Soziologe Harald Welzer bei einer Konferenz in Magdeburg ausdrückte.

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Die schweren Auswirkungen des Klimawandels

Erst vor Kurzem warnte der Weltklimarat (IPCC) in einem Berichtentwurf einmal mehr vor den dramatischen Folgen des Klimawandels und prognostiziert apokalyptische Auswirkungen, sollte das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klima-Abkommens nicht erreicht werden. "Das Leben auf der Erde kann sich von einem drastischen Klimaumschwung erholen, indem es neue Arten hervorbringt und neue Ökosysteme schafft. Menschen können das nicht", heißt es in einem Absatz des Berichts.

Die dann folgende Liste der Bedrohungen ist ebenso furchtbar wie schwer fassbar, und könnte ebenso aus einem unglaubwürdigen weil total übertriebenen Horrorroman stammen – wenn die Bedrohung nicht bittere Realität wäre. Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen, Artensterben, der Zusammenbruch von Ökosystemen, Ausbreitung von Krankheiten und vieles mehr steht dort drin.

Im Bild eine Ortschaft an der Straße zwischen Dernau und Walporzheim, die von den Fluten auf einem Abschnitt einfach mitgerissen wurde.
Auch in Deutschland werden die Hochwasser zunehmen. Bildrechte: imago images/Future Image

Was ist der Weltklimarat (IPCC)

Der Weltklimarat (englisch IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change, gegründet 1988) ist eine Institution der Vereinten Nationen, denen momentan 193 Staaten der Erde angehören. Im Auftrag für die Vereinten Nationen untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt den Klimawandel und bewerten ihn aus wissenschaftlicher Sicht.

Der IPCC gibt dabei keine direkten Handlungsempfehlungen oder konkreten Lösungsvorschläge und dient auch keinem einzelnen Staat. Er soll möglichst unabhängig funktionieren und auf Basis wissenschaftlicher Fakten Berichte erstellen, in denen die Auswirkungen des Klimawandels und mögliche Handlungsoptionen diskutiert werden. Die Berichte können für Regierungen eine wissenschaftsbasierte Grundlage sein, um politische Entscheidungen bezüglich des Klimawandels zu treffen.

Verdrängung und Schockstarre

Der Klimawandel wird oft nur wie ein schreckliches Märchen wahrgenommen, bei dem sich am Ende wie durch ein Wunder doch noch alles zum Guten wendet. Während im vergangenen Jahr täglich unzählige Artikel und Berichte über die Coronalage erschienen, blieb der Klimawandel meist nur eine Randnotiz, auch in vielen Medien.

Ein Umstand, den Gruppierungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion aber auch viele Wissenschaftler schon seit langem bemängeln. Ihre klare Forderung lautet immer wieder: Handelt jetzt! Dazu gehört auch: Berichtet verantwortlich!

Lebensweise umstellen fällt schwer

Die Bedrohung durch den Klimawandel ist extrem beängstigend, schwer zu greifen und wirkt in den wiederkehrenden Warnungen surreal. Auch deshalb, weil wir die Auswirkungen heute häufig noch gar nicht so stark spüren, sondern sie uns vorstellen müssen.

Angesichts dieses globalen Problems, das nur durch die Weltgemeinschaft gelöst werden kann, fühlt man sich als einzelner Mensch schnell machtlos, überfordert und klein. Die wenigsten stehen nach derartigen Berichten einfach auf und ändern ihr Leben von einer auf die andere Minute.

Und selbst, wenn manche konkret etwas verändern wollen: Wie denn eigentlich? Gegen den Klimawandel vorzugehen, bedeutet teilweise massive Umstellungen, Umbrüche und neue Lebensrealitäten. Es bedeutet teilweise aufzugeben, wie und wofür man bisher gelebt hat. Solche Umbrüche aber fallen uns Menschen ziemlich schwer.

Wenn wir die Folgen des Klimawandels spüren, ist es schon zu spät

Studien zeigen, dass Gesellschaften bisher fast ausschließlich nach großen Katastrophen und Krisen ihre Lebensweisen großflächig umstellten und anpassten. An Geld, Technologien und Möglichkeiten hapert es aktuell eigentlich nicht, aber am menschlichen Umdenken.

Das Problem beim Klimawandel ist: Wenn die großen Katastrophen uns erreichen, ist es eigentlich zu spät. In der Natur wie auch in unserer Zivilisation werden durch den Klimawandel Kipppunkte mit unumkehrbaren Effekten erreicht werden, wenn das Problem nicht rechtzeitig gelöst wird. Wenn wir deren Auswirkungen spüren, ist es also bereits zu spät, um die Krise aufzuhalten.

Die Probleme klingen oft abstrakt und sind schwer vorstellbar – bis wir persönlich die Auswirkungen spüren. Ganz aktuell erschüttern die Folgen der Hochwasser in Deutschland die Bevölkerung und lassen viele fassungslos zurück. Auch meine eigene Familie lebt in den Hochwassergebieten und hat riesiges Glück gehabt, dass außer ein paar vollgelaufener Keller alle mit dem Schrecken davongekommen sind.

Extremwetterereignisse wie Hochwasser nehmen durch Klimawandel zu

Es ist nicht eindeutig belegbar, dass diese Hochwasser eins zu eins durch den Klimawandel ausgelöst wurden – klar ist aber, dass solche Extremwetterereignisse durch die Erderwärmung massiv zunehmen werden. Klar ist auch, dass wir das nicht zulassen dürfen. Denn bei all dem Schrecken zeigt uns das Ereignis auf brutale Weise, dass sich unsere Lebensrealitäten in jedem Fall ändern werden.

Schon jetzt hat es weltweit Veränderungen gegeben. Und die Veränderungen hängen nachweislich mit dem Klimawandel zusammen. Einige Beispiele: In Kanada brennen die Wälder, in Alaska taut der Permafrost auf, die Polkappen schmelzen, fast jährlich purzeln weltweit Hitzerekorde, Meeresspiegel steigen, die Vegetationsperioden der Pflanzen verschieben sich. Das Amazonasgebiet, lange die "Grüne Lunge" der Erde, gibt unter anderem in Folge von Rodungen und Bränden mittlerweile mehr CO2 ab, als es aufnimmt. Abwarten ist keine Option.

Wir müssen handeln – aber wie?

Auf den Klimawandel angemessen zu reagieren, ist eine extrem schwierige Aufgabe. Bei der Corona-Pandemie sind mit Masken, Abstand und Hygienemaßnahmen durch relativ einfache Maßnahmen große Effekte erzielt worden. Und diese Maßnahmen müssen nur auf absehbare Zeit angewandt werden. Dagegen stehen wir beim Klimawandel vielleicht vor der größten Krise der Menschheit.

Zur Lösung des Problems sind verschiedenste Puzzleteile aus verschiedenen Bereichen nötig. Sei es aus der Politik, der Industrie, der Wissenschaft oder auch aus der Gesellschaft und von jedem Individuum. Auch die gründliche Information gehört dazu. Die gute Nachricht ist, dass überall auf der Welt Menschen an Lösungen und deren Umsetzung arbeiten. Und dass wir trotz Ohnmachtsgefühls alle wichtige Beiträge leisten können – und leider auch müssen.

Einer von denen, die unermüdlich an Lösungen für eine zukunftsfähige Welt arbeiten, ist der Soziologe Harald Welzer. Er kämpft seit vielen Jahren unermüdlich für eine kluge Transformation der Gesellschaft und sammelt mit der Stiftung "Futurzwei" Geschichten des Gelingens, die Mut machen sollen. Harald Welzer, der auf der Konferenz in Magdeburg sagte, dass wir eigentlich "am Arsch sind". Er engagiert sich trotzdem weiter und freut sich über sinnvolle Projekte und Schritte in die richtige Richtung. Denn nur, weil wir gerade "am Arsch sind", müssen wir ja nicht dort bleiben.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Leonard Schubert arbeitet seit Februar 2020 für MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Interessensschwerpunkte sind Politik, Umwelt und Gesellschaft. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF.

Nebenher arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts oder sitzt mit einem Eisbärbier am Lagerfeuer, irgendwo in Skandinavien.

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MDR/Leonard Schubert

118 Kommentare

hansfriederleistner am 24.07.2021

Es gibt aber auch negative Beispiele. Frankreich baute nach dem 1. Weltkrieg einen Kanal von Basel bis Strasbourg. Da wurde die badische Rheinseite durch Absinken des Grundwassers aber gehörig gestört. Ebenso wurde die Fließgeschwindigkeit des Rheins durch die früheren Begradigungen erhöht. Folge war ebenfalls absinken des Grundwassers und Erodierung des Flußbettes. Und das hat nichts mit Klimawandel zu tun.

Eulenspiegel am 24.07.2021

„ Wenn msn in solche Gebiete fährt, kann man an bestimmten Punkten bis weit ins 1800 Jahrhundert die erreichten Wasserhöhen nachlesen.“
Ja das stimmt. Und es stimmt auch das diese Wasserhöhen seit 300 Jahren nicht mehr erreicht wurden. Und es stimmt auch das wir seit sehr langer Zeit Flussregulierungen mit Hilfe von Staudämme haben die weit über 100 Jahren sehr erfolgreich war. Und plötzlich nicht mehr langt. Da hat sich ja wohl was verändert.
Und die Erkenntnisse der verschiedensten Gebiete der Wissenschaft auf der ganzen Erde ergeben eine eindeutige Beweiskette.
Und welche Bereise haben sie dem entgegenzusetzen? Keine!
Außer Ideologie können sie da gar nichts entgegensetzen.

Eulenspiegel am 24.07.2021

„Der von Ihnen beschriebene Zusammenhang von Extremereignissen und Klimawandel ist wissenschaftlich nicht belegt.“
Also um es klar zu schreiben der Zusammenhang ist belegt.
Weiter denke ich so einen Blödsinn kann nur jemand Schreiben der absolut keine Ahnung von der Klimaforschung und deren wissenschaftlichen Erkenntnissen hat.

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