Mehr Bewerber, höhere Abbrecherquote Das hat die Reform der Polizeiausbildung in Sachsen-Anhalt gebracht

04. Oktober 2022, 18:25 Uhr

Jahrelang wurde die Zahl der Polizisten in Sachsen-Anhalt abgebaut. Vor sechs Jahren dann beschloss die damalige Landesregierung aus CDU, SPD und Grünen: Sachsen-Anhalt soll mehr Polizisten ausbilden. Das geschieht auch. Nur: Was bedeutet das und zeigt es schon Wirkung? Eine Zwischenbilanz.

MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Lucas Riemer
Bildrechte: Magnus Wiedenmann

Wie haben sich die Ausbildungszahlen bei der Polizei in Sachsen-Anhalt entwickelt?

Nachdem bei der Polizei in Sachsen-Anhalt jahrelang Personal abgebaut wurde, beschloss die damalige Landesregierung aus CDU, SPD und Grünen im Jahr 2016 eine Trendumkehr, verbunden mit einem Ausbau der Ausbildungs- und Studienplätze für angehende Polizistinnen und Polizisten.

Zahlen des Innenministeriums, die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegen, belegen, dass in den Folgejahren tatsächlich deutlich mehr junge Menschen eine Ausbildung oder ein Studium an der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben begonnen haben. Gab es im Jahr 2015 nur 199 neu eingestellte Anwärterinnen und Anwärter an der zentralen Polizeiausbildungsstätte des Landes, waren es 2017 mehr als dreimal so viele: 687. In diesem Jahr begannen insgesamt 462 Menschen eine Ausbildung oder ein Studium bei der Polizei in Sachsen-Anhalt.

In den kommenden Jahren soll diese Zahl nach Angaben des Innenministeriums auf mindestens 500 jährlich erhöht werden. Hintergrund ist, dass die Zahl der Polizistinnen und Polizisten im Land bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode auf 7.000 erhöht werden soll. Derzeit sind landesweit etwas mehr als 6.000 Beamtinnen und Beamte im Einsatz.

Welche Folgen hatte die Erhöhung der Kapazitäten für die Fachhochschule der Polizei in Aschersleben?

Frank Knöppler war von 2011 bis zu seinem Ruhestand 2020 Rektor der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben. Die massive Erhöhung der Ausbildungskapazitäten an der FH sei die größte Herausforderung seiner Amtszeit gewesen, erinnert er sich im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Es hat die gesamte Fachhochschule und ihr Personal sehr gefordert", sagt Knöppler.

Man habe die Aufgabe in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und den Polizeibehörden gestemmt. Auch die Stadt Aschersleben und der damalige Bürgermeister Andreas Michelmann hätten die FH unterstützt, etwa mit der Bereitstellung zusätzlicher Flächen und Klassenräume auf dem Gelände der früheren Optima-Fabrik.

Außerdem, erinnert sich Frank Knöppler, habe man die Einstellungsbedingungen anpassen müssen. "Vorher haben wir 75 oder 100 junge Leute ausgewählt, dann haben wir die Zahlen Jahr für Jahr erhöht. Die Bewerberzahlen waren aber rückläufig und somit auch die Demografie gegen uns", sagt der Ex-Rektor. "Um von den verbliebenen Bewerberinnen und Bewerbern so viele wie möglich auch einstellen zu können, mussten wir das Testverfahren etwas abspecken."

So gab es beispielsweise keinen Sporttest mehr. Stattdessen mussten die Bewerber nachweisen, dass sie die Prüfung für das Sportabzeichen in Silber bereits erfolgreich absolviert haben. Bei den Prüfungen in der Ausbildung beziehungsweise im Studium habe es allerdings auch nach der Erhöhung der Kapazitäten keine Abstriche gegeben, sagt Frank Knöppler.

Das Innenministerium teilt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mit, dass die Erhöhung der Zahl der Ausbildungs- und Studienplätze weder Auswirkungen auf die Anforderungen im Eignungsauswahlverfahren noch auf die Ausbildungsinhalte gehabt habe.

Wie viele Polizeischülerinnen und -schüler brechen ihre Ausbildung ab?

Im Zuge des Ausbaus der Ausbildungs- und Studienplätze stieg auch die Zahl der Anwärterinnen und Anwärter, die ihr Studium bzw. ihre Ausbildung bei der Polizei in Sachsen-Anhalt vorzeitig abbrechen. In Zahlen: Bei den Anwärterinnen und Anwärtern der Laufbahngruppe 2 – also denen, die sich für ein Studium entschieden haben – stieg die Abbrecherquote vom Einstellungsjahrgang 2016 bis zum Einstellungsjahrgang 2019 von 14,3 auf 23,2 Prozent.

Bei den Auszubildenden der Laufbahngruppe 1 schwankte die Abbrecherquote im selben Zeitraum zwischen 17,4 und 24,4 Prozent. Zu beachten ist, dass die Zahlen aus dem Einstellungsjahr 2020 nur bedingt vergleichbar sind, da noch nicht alle Auszubildenden und Studierenden aus diesem Jahrgang am Ende der Ausbildung angelangt sind.

Man liege mit diesen Zahlen im bundesweiten Trend, sagt Ex-Rektor Frank Knöppler. "Um für die Landespolizei geeignet zu sein, muss man fachlich gebildet und körperlich fit sein. Außerdem muss man in der Lage sein, jegliche bürgernahe Situationen unter Prüfungsbedingungen zu meistern", so Knöppler. Anspruchsvolle Prüfungen würden verhindern, dass später Polizeibeamtinnen und -beamte in den Dienst gestellt würden, die für diesen Beruf eigentlich nicht geeignet seien.

Knöppler vermutet noch einen weiteren Faktor als Ursache für die gestiegene Abbrecherquote. Die Polizei habe mit Kampagnen verstärkt um junge Menschen geworben, vor allem in sozialen Medien. "Das spricht auch Leute an, die vielleicht nicht wirklich für den Beruf geeignet sind. Dann finde ich es gut und klug, wenn diese Menschen rechtzeitig die Reißleine ziehen. Man wird ansonsten in dem Beruf nicht glücklich."

Die Kampagne in den sozialen Medien spricht auch Leute an, die vielleicht nicht wirklich für den Beruf geeignet sind. Dann finde ich es gut und klug, wenn diese Menschen rechtzeitig die Reißleine ziehen. Man wird ansonsten in dem Beruf nicht glücklich.

Frank Knöppler früherer Rektor der Polizei-FH in Aschersleben

Nach Angaben des Innenministeriums gibt es vielfältige Gründe dafür, dass junge Menschen Ausbildung oder Studium bei der Polizei vorzeitig beenden. Einer der wichtigsten ist demnach, dass Anwärterinnen und Anwärter Prüfungen auch nach mehreren Versuchen nicht bestehen. Aber auch ein fehlender Führerschein, Pflichtverletzungen oder Strafverfahren, zum Beispiel im Zusammenhang mit Drogen, Alkohol oder Körperverletzung, können Gründe sein, wie das Ministerium aufzählt.

Wo steht die Fachhochschule der Polizei in Aschersleben im bundesweiten Vergleich?

Vorweg: Ein objektives, bundesweites Ranking der Polizeifachhochschulen existiert nicht. Der frühere Rektor Frank Knöppler sieht die FH in Aschersleben allerdings "im oberen Drittel im bundesweiten Vergleich." Seit 2009 seien fast 30 Millionen Euro in die Infrastruktur der Fachhochschule investiert worden. Von den Rahmenbedingungen vor Ort sei die Situation daher "optimal."

Auch Uwe Bachmann, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen-Anhalt, konstatiert bei MDR SACHSEN-ANHALT, dass die "logistischen Voraussetzungen und die Ausbildung in Aschersleben in den letzten Jahren sehr an Qualität gewonnen haben." Die Schule sei extrem modernisiert worden und verfüge inzwischen "über moderne Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten, Geräte und Ansätze."

Wo sehen Experten Verbesserungsbedarf bei der Polizeiausbildung in Sachsen-Anhalt?

Frank Knöppler, der über viele Jahre angehende Polizistinnen und Polizisten begleitet hat, kritisiert die fehlenden Spezialisierungsmöglichkeiten in der Ausbildung. "Wir bilden derzeit einen Einheitspolizisten aus", sagt der Ex-Rektor. Besser wäre es in seinen Augen, die Anwärter schon während der Ausbildung oder des Studiums gezielter auf einzelne Aufgaben bei der Landespolizei vorzubereiten.

Auch ein zweiter Studiengang an der FH speziell für angehende Kriminalpolizisten sei wünschenswert. "Das würde die FH stärken und man könnte junge Menschen, die diesen Karriereweg anstreben, gezielt nach Aschersleben holen." Zumal laut Knöppler die Last der kriminalpolizeilichen Ermittlungen bereits enorm hoch ist und vermutlich weiter steigen werde. Zuletzt hatte bereits der Bund Deutscher Kriminalpolizisten (BDK) erhebliche Personallücken bei der Kriminalpolizei in Sachsen-Anhalt beklagt.

Zudem verlangt der Ex-Rektor, stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Nachwuchspolizisten einzugehen, etwa was den Dienstort nach Ende der Ausbildung angehe: "Es tut der Funktionalität der Landespolizei keinen Abbruch, wenn man auf die Wünsche der jungen Leute Rücksicht nimmt." Nur so könne man den Polizeiberuf in Zukunft attraktiv halten.

Verbesserungsbedarf beim praktischen Teil der Polizeiausbildung sieht Uwe Bachmann von der GdP. "Der Polizeiberuf ist nun mal was anderes als ein Beruf im Handel. Da gehören Praktika genauso dazu wie das theoretische Studium", so Bachmann. Auch mit Blick auf das wachsende Feld der Wirtschaftskriminalität müsse sich die FH in Aschersleben besser aufstellen. Dazu sollten Module wie Kriminalitätsbekämpfung in die Ausbildung integriert werden, fordert der GdP-Landesvorsitzende.

TV-Tipp: Die Kriminalisten-Schule

Schon zu DDR-Zeiten wurden in Aschersleben Polizisten ausgebildet. Nach der Wende entstand die Fachhochschule der Polizei. Azubis und Studierende aus sieben Bundesländern werden dort auf den Polizeidienst vorbereitet. Die Reihe "Der Osten – Entdecke, wo Du lebst" im MDR-Fernsehen hat sich genauer mit der Polizei-Fachhochschule beschäftigt. Der Film läuft am 11. Oktober um 21 Uhr im MDR-Fernsehen, schon jetzt ist er in der MDR-Mediathek zu sehen.

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MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: Der Osten – Entdecke, wo du lebst | 11. Oktober 2022 | 21:00 Uhr

4 Kommentare

hilflos am 04.10.2022

Wichtig ist, dass die jungen Kollegen an die Lebenswirklichkeit herangeführt werden. Das mit allen Härten und Abgründen der Gesellschaft. Wer sieht was ihn im Leben als Polizist erwartet, verliert schnell den Glauben an die Menschheit. Ich erinnere mich mit einem Praktikanten eine Todesermittlungssache aufzunehmen. Der Geschädigte lag steif und die Familie nahm das Abendessen in der offenen Küche... Darauf kommt es an und nich auf §§ xy aus der weinbauordnung

Schenkendorf am 05.10.2022

Ein interessanter Artikel, der die Probleme der Polizeiausbildung m. M. n. sehr gut darstellt.

MDR-Team am 04.10.2022

Vielen Dank!

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