Zwei Menschen posieren vor der Kamera.
Laura Simonez und Mikel Ladera sind gemeinsam 2021 nach Deutschland gekommen. Trotz vieler Schwierigkeiten behalten sie ihre gute Laune und positive Energie. Bildrechte: MDR/Anett Linke

Migration Wie Geflüchtete aus Venezuela sich ein neues Leben in Sachsen aufbauen

20. Mai 2023, 17:19 Uhr

In Sachsen wurde im vergangenen Jahr fast jeder siebente Asylantrag von Geflüchteten aus Venezuela gestellt. Damit kam aus diesem Land die zweithöchste Anzahl an Geflüchteten nach Sachsen, wenn man die Ukraine außer Acht lässt. Der Sächsische Flüchtlingsrat und der Verein "Einheit für Venezuela" organisierten in Chemnitz am Sonnabend ein Treffen der venezolanischen Community in Sachsen, um über Erfolge und Herausforderungen bei der Integration zu sprechen.

Lorelvis Zavala lebt seit 2017 in Deutschland und ist ein gutes Beispiel, wie der Idealfall ablaufen könnte. Deswegen teilt sie ihr Wissen an diesem Tag mit der Gemeinschaft. Ihr wurde in Deutschland politisches Asyl gewährt, da sie als aktives Mitglied der Oppositionspartei in Venezuela verfolgt wurde. Politische Verfolgung ist neben der humanitären und wirtschaftlichen Lage des lateinamerikanischen Landes einer der häufigsten Auswanderungsgründe. "Ich bin mit meinen zwei Kindern nach Deutschland gekommen", erzählt sie. "Ich hatte Glück, über meinen Asylantrag wurde sehr schnell entschieden." Innerhalb von drei Monaten bekommt sie ihre Aufenthaltserlaubnis. Ebenfalls schnell erhält sie Zugang zu Sprachkursen.

Bufdi in der Pflege

"Ich habe dann erstmal im Bundesfreiwilligendienst in der Pflege gearbeitet", erzählt Zavala. Das habe ihr sehr dabei geholfen, die deutsche Sprache zu lernen. Danach schließt sich eine Arbeitsstelle in einem Altenheim an. "Ich hatte Angst, ob mein Deutsch gut genug ist, um in meinem gelernten Beruf zu arbeiten", berichtet die Venezolanerin. Doch durch die Ermutigung ihrer Kolleginnen habe sie den Schritt gewagt. Heute wohnt sie in Zeithain und arbeitet als Prozessingenieurin. Sie fühlt sich wohl in Deutschland. "Deutschland ist jetzt meine Heimat", so Zavala. "Das Einzige, was ich vermisse, ist die Wärme." Lachend hält sie ihr Gesicht in die Sonne.

Eine junge Frau posiert vor der Kamera.
Lorelvis Zavala sieht Deutschland inzwischen als ihre Heimat an. Bildrechte: MDR/Anett Linke

Deutschland ist jetzt meine Heimat. Das Einzige, was ich vermisse, ist die Wärme.

Lorelvis Zavala

Unter 30 Prozent der Asylanträge bewilligt

Doch nicht jeder hat das Glück, dass der Asylantrag bewilligt wird. Nur 25 bis 30 Prozent der Anträge der Menschen aus Venezuela werden nach Angaben des Sächsischen Flüchtlingsrats bewilligt und die Quote sinkt. Die Zahl der Abschiebungen steige dagegen an. Die Angst vor einer Abschiebung treibt die Menschen bei der Veranstaltung um. Es gibt Fragen nach Beratungen, Anwälten, psychologischer Hilfe und danach, welche Faktoren einen Asylantrag positiv beeinflussen können. Empfohlen werden ehrenamtliche Aktivitäten, egal ob in einem Verein, einer Musikgruppe oder dem Elternbeirat. Außerdem solle ständig mit den zuständigen Behörden Kontakt gehalten werden.

"Schwierig ist, dass es viele Informationen in Deutschland nicht auf Spanisch gibt", sagt Milsy Liebezeit, die Vorsitzende des Vereins "Einheit für Venezuela". Sie selbst lebt seit 25 Jahren in Nordrhein-Westfalen und möchte die Neuankömmlinge bundesweit unterstützen. "Die Menschen aus Venezuela wollen arbeiten und Deutsch lernen", sagt sie. Die meisten seien auch sehr gut ausgebildet und somit dringend benötigte Fachkräfte. Doch die langen Prozesse der Asylanträge, Unsicherheit und abgelegene Wohnorte würden bei vielen ihrer Landsleute Depressionen auslösen. Dass so viele nach Deutschland kommen, kann sie verstehen. "Die Krise in Venezuela ist eine vergessene Krise", sagt Liebezeit. "Laut Propaganda bessert sich alles in Venezuela, aber das stimmt so nicht."

Die Krise in Venezuela ist eine vergessene Krise.

Milsy Liebezeit Vorsitzende des Vereins "Einheit für Venezuela"

Eine junge Frau posiert vor der Kamera.
"Ich feiere in diesem Jahr meine Silberhochzeit mit Deutschland", sagt Milsy Liebezeit, Vorsitzende des Vereins "Einheit für Venezuela". Bildrechte: MDR/Anett Linke

Rauch und sexuelle Belästigung im Wohnheim

Laura Simonez und Mikel Ladera sind im November 2021 gemeinsam nach Deutschland gekommen. Auch sie wurden aus politischen Gründen in ihrer Heimat verfolgt und bedroht. Laura hat im Ministerium für Terrorismusabwehr gearbeitet und dort Einblick in viele sensible Aktionen gehabt. Mikel hat sich in einem Radiosender engagiert, der regimekritische Berichte gebracht hat. Dadurch gerieten die beiden in den Fokus der Regierung.

Seit rund einem Jahr wohnen die beiden in einem Heim in Markranstädt. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, gerade gehen sie mit Unterstützung eines Anwalts dagegen in Widerspruch. Das Leben in dem Heim ist für sie nicht einfach. "In dem Wohnheim wird viel geraucht, auch Marihuana", erzählt Simonez. Für sie als Asthmatikerin sei das schwer auszuhalten. Außerdem werde sie sehr oft in der Küche von anderen Bewohnern sexuell belästigt.

Die beiden haben einen Wohnortwechsel bei der Landesdirektion beantragt, der allerdings abgelehnt wurde. "Wenn es dort zu viel Rauch geben würde, würden die Rauchmelder ausgelöst, sagt die Landesdirektion. Da das nicht passiert, sehen sie es nur als unsere subjektive Sicht", so Simonez.

Asylanträge von Venezolanern in Sachsen Im vergangenen Jahr wurden laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Sachsen 1.686 Asylanträge von Venezolanern gestellt - davon 1.672 Erst- und 14 Folgeanträge. Entschieden wurde in 1.110 Fällen. Dabei wurden 29,2 % der Anträge bewilligt. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag die Bewilligungs-Quote für Syrien bei 90,3% und für Afghanistan bei 83,5%. Laut BAMF ist die Quote auch immer Ausdruck der Situation im jeweiligen Herkunftsland.

Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR haben bis Mitte vergangenen Jahres fast sieben Millionen Menschen Venezuela verlassen. Die UN spricht von einer der größten Migrationsepisoden der Geschichte. Laut UN liegen die Gründe dafür unter anderem im Zusammenbruch der Wirtschafts- und Lebensbedingungen in Venezuela.


Sprachkurse, Führerschein, Schrebergarten

Laura und Mikel haben bereits Deutschkurse besucht und die Level A1 und A2 abgeschlossen. Gerade warten sie auf eine Möglichkeit den B1-Kurs zu starten. Solange sitzen die beiden aber nicht tatenlos herum. "Ich mache gerade meinen Führerschein", erzählt Mikel Ladera stolz. In seiner Heimat hatte er eine Autowerkstatt, in der vor allem alte Fahrzeuge repariert wurden. Auch in Deutschland würde er gern als Mechaniker Fuß fassen.

Laura Simonez hat dagegen mehrere Monate ehrenamtlich in Sachsen in einem Kindergarten gearbeitet und könnte sich vorstellen, eine Ausbildung zur Erzieherin zu absolvieren. Solange sie auf den Deutschkurs warten, treiben sie Sport, belegen Kurse beim Verein "Einheit für Venezuela", pflegen einen Schrebergarten und schauen sich online Videos zum Deutschlernen an. "Wir lieben Deutschland", sagen sie. Allerdings würden sie gern in eine größere Stadt ziehen, da sie aus der venezolanischen Hauptstadt Caracas stammen und mehr Trubel gewöhnt sind.

MDR (ali)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 22. Mai 2023 | 10:30 Uhr

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