
Dekadente Zwergbäumchen Der Bonsai-Nachlass der DDR im Landschloss Zuschendorf
Hauptinhalt
05. Juni 2024, 11:30 Uhr
In den 1970er-Jahren tauchten in DDR-Wohnzimmern die ersten Bonsais auf - Miniaturbäumchen in Schalen, eine Gartenkunst aus dem fernen Osten. So ein Bonsaibäumchen stand für die Weltläufigkeit seiner Besitzer und auch für eine Sehnsucht nach fernen Ländern. Kein Wunder, dass die winzigen Bäumchen in dem abgeschotteten Staat einen schweren Stand hatten. Im Landschloss Zuschendorf bei Pirna befindet sich ein großer Bonsai-Nachlass der ehemaligen DDR.
Tausende Bonsais in mehr als 400 Pflanzenarten werden im Park vom Landschloss Zuschendorf gehegt und gepflegt. Die meisten der kleinwüchsigen Schönheiten stammen nicht aus dem fernen Osten, sondern sind Miniaturausgaben heimischer Gehölze.
In der DDR waren Bonsai-Bäume anfangs eine dekadente Kunst des Kapitalismus.
Über diesen Zuschendorfer Pflanzenschatz wacht Matthias Riedel. Der Gartenbauingenieur war in den 1970er-Jahren einer der Bonsai-Pioniere. Damals sah die Partei- und Staatsführung der DDR die Minibäumchen nicht gern. Sie galten als dekadente Kunst des Kapitalismus.
Man hat Honecker offensichtlich so freundlich behandelt, dass er Japan ganz gut fand. Plötzlich war es die Kultur eines befreundeten Landes.
Bonsai-Kult erfasste DDR
Das änderte sich, als Erich Honecker im Mai 1981 zum Staatsbesuch nach Japan flog. Dort wurde der Staatsratsvorsitzende von Kaiser Hirohito empfangen. Man hatte Honecker offensichtlich so freundlich behandelt, dass er Japan ganz gut fand, wie Riedel erzählt. Jedenfalls sei die Gartenkunst, nachdem der Staatsratschef wieder da war, plötzlich die Kultur eines befreundeten Landes geworden.
Ein kleiner Bonsai-Kult erfasste die DDR. Die Zwergbäume waren gefragt. Unterm Dach des Kulturbundes der DDR schlossen sich Liebhaber in Bonsai-Gruppen zusammen. Auch die DDR-Oberen fanden Gefallen an den Bäumchen.
Schalen im Braun von Gurkentöpfen
"Als Honeckers Leibarzt auch Bonsais wollte und sie im Plastikgefäß bekam, war er entsetzt“, berichtet Riedel. Mit Druck aus Berlin wurde für die Bonsai-Schälchen aus hartgebranntem Ton ein Lieferant bestimmt. Ein Betrieb aus dem sächsischen Dommitzsch an der Elbe produzierte Steinguttöpfe für Gurken oder Sauerkraut. Er wurde zum Bonsaischalen-Lieferanten der DDR. Diese hatten dann auch den typischen Braunton der Gurkentöpfe.
In der Dresdner Außenstelle machte sich Matthias Riedel - damals ein junger Gartenbauer – mit anderen Enthusiasten an die Arbeit. Weil sie keine japanischen Pflanzen hatten, experimentierten sie mit heimischen Baum- und Straucharten wie Kiefern, Buchen, Eichen oder Liguster.
Hoffnung auf Devisen
Rund zehn Jahre dauert es, bis aus einem Setzling ein Bonsai gewachsen ist. Die DDR wollte mit dem Export der Zwergbäume Devisen verdienen und hatte auch die nötige Vorlaufzeit dafür eingeplant. Die Wende vereitelte das Geschäft. Matthias Riedel aber rettete das Erbe der DDR-Bonsais nach Zuschendorf.
Besucher aus Japan sind überrascht
Die Minibäume wurden aus heimischen Obstgehölzen, Hecken, aus Laub- und Nadelbäumen geformt und stehen den ostasiatischen Vorbildern in nichts nach, sagt Matthias Riedel stolz. Besucher aus Japan seien stets positiv überrascht von den Zuschendorfer Zwergbäumchen.
Für den Gartenbauingenieur sind Bonsais keine verunstalteten oder verkrüppelten Pflanzen, sondern sie wachsen nach der Natur. Er vergleicht es mit Zwergbäumchen im Wald, die nach starkem Wildverbiss klein bleiben oder in Felsspalten wenig Platz finden.
Man muss sich täglich um den Bonsai kümmern. Das ist wie ein Haustier.
Dementsprechend ist das "Bonsaigeheimnis" das kleine Pflanzgefäß, damit die Wurzeln ganz klein bleiben und das regelmäßige Kürzen der Triebe. Außerdem muss bis zu zweimal täglich Wasser gegeben und regelmäßig gedüngt werden. "Wenn man einen Bonsai zu Hause hat und für eine Woche in Urlaub fährt, dann hat man keinen Bonsai mehr. Man muss sich täglich um ihn kümmern, das ist wie ein Haustier“, sagt Riedel.
MDR