Porträt Kabarettist Bernd-Lutz Lange feiert 80. Geburtstag
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15. Juli 2024, 03:00 Uhr
Mit Werken wie "Magermilch und lange Strümpfe" und durch zahlreiche Auftritte, unter anderem im MDR Fernsehen, wurde der Kabarettist und Autor Bernd-Lutz Lange in Sachsen und darüber hinaus bekannt. Geboren in Ebersbach und aufgewachsen in Zwickau wurde er schließlich in Leipzig heimisch. Als einer der "Leipziger Sechs" trug er mit dem Aufruf zur Gewaltfreiheit 1989 dazu bei, dass die Wiedervereinigung friedlich ablief. Heute wird Lange 80 Jahre alt.
- Lange erzählt in seinen Werken unter anderem vom Leben in der DDR.
- Neben seinen Kabarett-Programmen beschäftigte sich Lange auch intensiv mit der jüdischen Geschichte in Leipzig und Umgebung.
- Mit seinem Aufruf zur Gewaltlosigkeit währrend der Demonstrationen gegen die SED-Führung im Herbst 1989 wurde er als einer der "Leipziger Sechs" bekannt.
Zu seinem 80. Geburtstag wünscht sich Bernd-Lutz Lange "keine großen Arien". Ganz privat wolle er feiern, sagt er bei MDR SACHSEN. "Nur in der Familie und raus aus Leipzig. Reicht!", so Lange.
Bernd-Lutz Lange kommt am 15. Juli 1944 in Ebersbach in der Oberlausitz zur Welt. Seine Kindheit und Jugend verbringt er in Zwickau. Schon im Alter von 14 Jahren, so erinnert Lange sich Jahrzehnte später, kommt in ihm der vage Wunsch auf, Schauspieler oder Schriftsteller zu werden.
Er verbringt damals unzählige Stunden unter Büchern als eifriger Besucher der Stadtbibiliothek. Später will er Buchhändler werden, doch der sozialistische Staat will es anders: Lange absolviert eine Ausbildung zum Gärtner und arbeitet in einer LPG am Stadtrand von Zwickau.
Kindheit im Sozialismus
Lange verarbeitete diese Zeit, das Aufwachsen in der DDR der kargen Nachkriegsjahre, in einer seiner bekanntesten Erzählungen: "Magermilch und lange Strümpfe", erschienen 1999 im Leipziger Gustav Kiepenheuer Verlag: "In den ersten drei Schuljahren, schickten mich meine Eltern öfter Spielen oder Einkaufen, wenn sie sich mit Freunden über die politische Lage unterhielten. Ich hätte sie in große Schwierigkeiten bringen können, wenn ich im Unterricht in meiner Naivität ausgeplaudert hätte, 'Aber mein Vater hat gesagt'. Wegen solcher Sätze kamen mitunter unangemeldet Herren mit langen Mänteln zu Besuch."
In diesen frühen Jahren entwickelt Lange zudem ein Interesse, das ihn bis heute nicht losgelassen hat. Die jüdische Geschichte Ostdeutschlands. "Das war in meiner Kindheit und Jugend in Zwickau kein Thema und das ist ja auch das Grundproblem", so erzählt der Schriftsteller und Kabarettist bei MDR KULTUR. In der DDR habe es keinerlei regionale Aufarbeitung der jüdischen Geschichte gegeben. Lange fing an, gegen den Strom der staatlich verordneten Erinnerungskultur zu schwimmen, in der die jüdischen Opfer kaum Platz fanden.
In der DDR gab es ja keinerlei regionale Aufarbeitung der jüdischen Geschichte.
Nach Leipzig, seiner Wahlheimat, verschlug es ihn später für das Studium zum Buchhändler. Eine Zeit, an die sich Lange gern erinnert: "Drei Jahre große Ferien. Wir hatten einen Lenz, wir hatten ein Leben. Wir hatten mittwochs frei zum Lesen. Wo gibt’s denn sowas?" Damals schlug Lange den Weg ein, der ihn berühmt machen sollte: den des Kabarettisten. Im Studentenkabarett "Academixer", das er als junger Mann 1966 mitbegründete, machte er neben seinem eigentlichen Beruf erste Gehversuche auf der Bühne.
Kabarett mit doppeltem Boden
Zusammen mit Kabarett-Kollegen wie Gunter Böhnke oder Jürgen Hart bewegte er sich auf dem schmalen Grad zwischen politischer Satire und staatlicher Zensur. Getextet wurde stes mit "doppeltem Boden" und vorgetragen vor einem "Publikum, das immer in der Lage war, den doppelten Boden zu erfassen" – für Lange etwas, "das die DDR ausgemacht hat". Doch immer wieder fallen Texte dem Rotstift zum Opfer.
Ab 1978 lebt Lange vom Kabarett – eigentlich unmöglich, wie er sich später erinnert, denn Berufskabarettist konnte man in der DDR kaum werden, ohne Schauspiel studiert zu haben. Aber für die "Academixer" drückt der staatliche Kulturbetrieb ein Auge zu und Lange tourt mit seinen Mitstreiter als "Berufskabarett ohne feste Spielstätte" durch die Republik. Erst 1980 lassen sie sich in einem Keller in der Leipziger Kupfergasse nieder. 2014 verabschiedet sich Lange schließlich von der Kabarettbühne.
Bernd-Lutz Lange hat neben dem Kabarett immer auch Bücher geschrieben. Er sieht sich als Sammler, als Chronist, der die Erinnerung an Vergangenes erhalten möchte, sagt er bei MDR SACHSEN. Er eckte damit immer wieder bei den DDR-Institutionen an, die den Bruch mit der Vergangenheit wollten, die "tabula rasa" machten, wie Lange es beschreibt.
Gegen das Vergessen
Seine Spurensuchen führten ihn immer wieder an Orte jüdischen Lebens. So stolpert Lange schon vor der Wiedervereinigung über eine alte Synagoge im Leipziger Zentrum – damals eine Produktionsstätte für Bettwaren, heute längst abgerissen.
Lange bewahrte vieles aus der jüdischen Regionalgeschichte vor dem unwiederbringlichen Vergessen. "Ich glaube, dass er wie kein zweiter über Leipzig und auch über das jüdische Leipzig, das ausgerottet wurde, geschrieben und gearbeitet hat, das ist unvergleichlich", resümiert sein langjähriger Verleger beim Aufbau-Verlag, Gunnar Cynybulk bei MDR KULTUR.
Leipziger Sechs und Herbst 1989
Der Herbst 1989 prägte Lange und Lange prägte diese Zeit. Als die ersten Demonstrationen gegen die SED-Führung in Leipzig stattfanden, stieg die Anspannung. Wie der Staatsapparat auf die Rufe nach Demokratie antworten würde, war zu diesem Zeitpunkt ungewiss.
Bernd-Lutz Lange verfasste damals zusammen mit Gewandhaus-Kapellmeister Kurt Masur, dem Theologen Peter Zimmermann und SED-Sekretären Kurt Meyer, Jochen Pommert und Roland Wötzel einen Aufruf, der in die Geschichte eingehen sollte. Die "Leipziger Sechs", wie sie später genannt wurden, mahnten Staat und Demonstranten zu Gewaltfreiheit und Dialogbereitschaft. Der Aufruf wurde seinerzeit in Kirchen verlesen und über den Leipziger Stadtfunk verbreitet.
Auch nach dem Ende der sozialistischen Diktatur blieb Bernd-Lutz Lange eine kritische Stimme. Er nimmt bis heute kein Blatt vor den Mund und betrachtet das Zeitgeschehen mit wachen Augen. Lange, so sein Weggefährte und Verleger Gunnar Cynybulk, gehöre zu einer Generation, die sensibilisiert sei dafür, "Despotie, falsche Sprache und Spitzeleien" zu erkennen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 12. Juli 2024 | 18:10 Uhr