Radfahrer auf dem Leipziger Ring
Für 12 Stunden gehörte der Leipziger Innenstadtring den Menschen und nicht den Autos. So zumindest die Idee hinter dem Abschlussevent der europäischen Mobilitätswoche in Leipzig Bildrechte: MDR/Leven Wortmann

Europäische Mobilitätswoche Autofreier Ring: Eine surreale Erfahrung

24. September 2024, 15:14 Uhr

Für 12 Stunden, zwischen 9 und 21 Uhr, gehört der Innenstadtring den Menschen und nicht den Autos. So die Idee des autofreien Rings. Die Aktion ist das Abschlussevent der europäischen Mobilitätswoche in Leipzig und soll zum Nachdenken anregen. Viele nutzen die gewonnene Freiheit, um die Stadt auf eine ungewohnte Weise zu erkunden. Auch wenn Radfahrern und Fußgängern mehr Platz auf den Straßen eingeräumt werden soll, möchte hier kaum jemand die Autos verdrängen.

"Ich bin gerade erst angekommen, aber von dem Anblick ganz gerührt," beschreibt Anna. Die Leipzigerin ist mit dem Fahrrad und ihrem Kind auf dem Innenstadtring unterwegs. "Es könnte so schön auf dem Ring sein, aber leider ist das nur heute der Fall. Ich fand es am Freitag beim Parking Day auf der Eisenbahnstraße schon gut, da nehmen die Autos ja sonst auch keine Rücksicht auf die Radfahrer."

Eine Frau lächelt in die Kamera.
Anna ist mit dem Fahrrad unterwegs. Sie wünscht sich, dass Fahrradfahrer im Leipziger Straßenverkehr mehr Berücksichtigung finden sollten. Bildrechte: MDR/Leven Wortmann

Wenn man die Menschen auf dem Ring befragt, dann sehen es viele so wie Anna und erleben den autofreien Ring als etwas Entspannendes und Schönes. Die meisten sagen aber auch, dass die Idee eines komplett freien Rings für sie utopisch wirkt. Laut dem Mobilitätsamt plant die Stadt Leipzig, dass es zumindest ab etwa 2027 einen durchgängigen Fahrradstreifen auf dem Ring geben soll.

Mobilitätswende beginnt im Kopf

Um 12 Uhr war es so weit: Das Mobilitätsamt und der Oberbürgermeister eröffneten den autofreien Ring dann auch nochmal offiziell. Burkhard Jung sieht den Tag als die Chance mal anders zu denken: "Die Mobilitätswende beginnt im Kopf. Wir müssen uns von den alten Denkmustern befreien und sehen, was möglich ist. Der Mensch soll in der Stadt im Vordergrund stehen und nicht das Auto."

Parolen auf der Straße
Auf dem gesamten Ring waren Autos tabu. Dafür konnten sich Fahrradfahrer und Fußgänger frei auf der Straße bewegen. Verschiedene Parteien, Initiativen und Organisationen hatten Stände aufgebaut, die zum Verweilen einladen sollen. Bildrechte: MDR/Leven Wortmann

Der Plan der Stadt ist es bis 2030 den ÖPNV, Fahrradwege, Carsharing und Fußwege auszubauen, so dass diese Alternativen im Vergleich zum privaten PKW deutlich attraktiver sind und die Leipziger freiwillig ihre Autos stehen lassen. Laut Philipp Gleiche vom Mobilitätsamt ist in dieser Mobilitätsstrategie 2030 mit inbegriffen, dass es in rund zwei Jahren eine durchgängige Lösung für den Radverkehr auf dem Ring gibt. Bisher müssen die Fahrradfahrer noch zwischen verschiedenen Radwegen neben und auf der Straße hin und her wechseln. Diese Perspektive sorgt bei den Besuchern auf dem autofreien Ring für verschiedene Gefühle.

Mehr oder weniger Radspuren auf dem Ring?

Charlotte ist mit einer Freundin aus Köln auf dem Ring unterwegs. An der großen Kreuzung beim Augustusplatz erzählt sie von ihren Problem mit den Radwegen: "Der hört plötzlich auf! An sich sind die neuen Fahrradspuren auf dem Ring ja eine super Sache, aber es ist niemandem geholfen, wenn die Wege nur Stück für Stück umgesetzt werden. Ich würde mir wünschen, dass man das einfach mal durchzieht."

zwei Frauen vor der Kamera
Charlotte (rechts) ist mit einer Freundin aus Köln auf dem autofreien Ring unterwegs. Sie wünscht sich einen durchgängigen Fahrradweg. Bildrechte: MDR/Leven Wortmann

Herr Seemann ist ganz anderer Meinung. Er ist ebenfalls mit seinem Fahrrad auf dem Ring unterwegs und mag den autofreien Tag, langfristig hat er aber Bedenken: "Diese auf die Fahrbahn aufgemalten Radspuren halten nur den Verkehr auf und es stauen sich die Autos. Man hätte besser die bestehenden Radwege so ausbauen sollen, dass die Radfahrer dort besser fahren können."

ein Mann auf der Straße
Herr Seemann hält nicht viel von den Fahrradspuren auf dem Ring. Er würde lieber zurück zu der alten Lösung. Bildrechte: MDR/Leven Wortmann

"Hier am Ring staut es sich immer und der Verkehr ist anstrengend, das war auch schon vor den Fahrradspuren so," erzählen Paul und Sophia. "Heute fühlt man sich wohl auf der Straße und so eine komplett autofreie Innenstadt wäre cool. In Erfurt klappt das ja auch und dort ist es entspannter durch die Stadt zu laufen." Paul fährt selbst mit dem Auto durch die Leipziger Innenstadt, gegen eine autofreie Zone hätte er aber nix einzuwenden.

zwei jungen menschen auf Fahrrädern
Sophia (links) und Paul (rechts) kennen die Perspektive von den Autofahrern und den Fahrradfahrern. Bildrechte: MDR/Leven Wortmann

Es braucht den goldenen Mittelweg

"So wie heute ist ja leider eine Utopie. Ganz ohne Autos geht nicht, so wie es im Alltag ist aber auch nicht. Es braucht wie immer die goldene Mitte," sagt Philipp. Er ist mit seinen Kindern auf dem Ring unterwegs und sie würden die Fahrt auf dem Ring genießen. Von dem goldenen Mittelweg sprach auch Oberbürgermeister Burkhard Jung. Ihm sei es wichtig, dass sich alle sicher fühlen können, man aber auch die Autofahrer bei den Entwicklungen an die Hand nehme. Laut Jung bringt eine Mobilitätswende gar nichts, wenn sie die Leipziger Stadtgesellschaft spalten würde.

Bisher haben die Mobilitätswende 2030 und die Fahrradspuren auf dem Ring bereits für viel Aufregung gesorgt: Die einen träumen vom gleichberechtigten Radverkehr und die anderen wollen Fahrradwege wieder zurückbauen. Bisher stehen die Pläne für mehr Fahrradwege erst einmal fest. Wie sich die Gemengelage aber weiterentwickelt, hängt von den Entscheidungen des noch neuen Leipziger Stadtrates ab.

MDR (lev)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 20. September 2024 | 18:30 Uhr

20 Kommentare

Schelim vor 1 Wochen

Wer sperrt denn eine Hauptverkehrsader? Das bleibt der Ring ja mit Fussverkehr, Radverkehr und Tramverkehr - eine Hauptverkehrsader. Und vielleicht einer Einbahn-Spur für Lieferverkehr. So ist allen gedient und Handwerker kommen sogar schneller ans Ziel.

Zudem sind 90% der Autos auf dem Ring nur auf Durchfahrt und wollen garnicht in die Stadt. Und ja, aktuell mit vielen Autospuren bilden sich Staus

Und leider sind die meisten nicht auf eine Autofahrt in die Stadt angewiesen - wozu gibt es Park und Ride am Stadtrand oder einen Hauptbahnhof, von dem man überall hibkommt? Man kann doch gut vom Umland mit dem Auto bis an die Stadtgrenze und dann weiter mit Rad, Bus, Bahn, Carsharing, Fu#.

Schelim vor 1 Wochen

Dass ist aber eine Kritik an Autofahrer die Parkplätze belegen, nicht an die Stadt. In Amsterdam finden beispielsweise die, die wirklich drauf angewiesen sind einen Parkplatz.

Schelim vor 1 Wochen

Surreal ist eine bis zu 8 spurige Autobahn mitten in der Stadt - rational wäre es, entsprechend den Fahrradverkehr auf den Ring zu platzieren (zumal dieser mehr Menschen transportierten kann) und dort wo Platz ist eine Kfz-Spur/Einbahnregelung zuzulassen. Dies wäre ein Gewinn für Menschen, Stadt, Verkehr, Handel und Gastronomie.

Oder wie lange möchte noch mit Autostau in der Stadt leben?

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