Umsetzungsschwierigkeiten Neues Lieferkettengesetz fordert Unternehmen in Sachsen
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11. April 2023, 05:00 Uhr
Was haben Rosen aus Kenia mit Blumenläden im Erzgebirge zu tun? Lieferketten sind heute international verflochten und reichen oft in Länder des globalen Südens oder nach Asien. Die Lieferkettensorgfaltspflicht soll garantieren, dass Zulieferer Menschenrechte nicht verletzen. Das stellt sächsische Betriebe vor Herausforderungen.
- Das neue Lieferkettengesetz schlägt indirekt auch auf Mittelständler durch.
- Unternehmer in Sachsen fürchten Probleme mit der Haftung.
- Die Bundesbehörde BAFA verspricht Hilfe.
Sächsische Unternehmen kämpfen mit der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes.
"Formal betrifft das deutsche Lieferkettengesetz nur Großunternehmen mit über 3.000 Mitarbeitern, faktisch aber hat es dazu geführt, dass Großunternehmen jeden kleinen und mittelständischen Lieferanten mit analogen Berichtspflichten belegen, um selbst die Haftung zu begrenzen", sagte Sven Meiselbach, Vize-Präsident der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft MDR SACHSEN. Die Verantwortung zur weltweiten Einhaltung von Menschenrechten und gesellschaftlichen Standards werde einseitig auf die Unternehmen verlagert, die keine Voraussetzungen hätten, diese weltweit garantieren zu können. "Im Ergebnis sehen sich Unternehmen mitunter gezwungen, ihre Geschäftsbeziehungen in den betreffenden Regionen gänzlich zu hinterfragen", erklärte Meiselbach.
Große Unternehmen geben Druck nach unten weiter
"Wir befürchten, dass wir als kleine Mittelständler zunehmend mit solchen Regularien belastet werden und wir in den Lieferketten in Haftung genommen werden für Sachen, für die wir per Gesetz nicht verantwortlich sind", sagte auch René In der Stroth, Geschäftsführer der IMM electronics GmbH Mittweida, MDR SACHSEN. Kunden, die unter die gesetzliche Regel fallen, würden die Verantwortung weitergeben. "Wir müssen uns dann Gedanken machen, wie wir die erforderlichen Informationen und Garantien abbilden können. Das kann uns in Haftungsprobleme bringen."
Die IMM electronics GmbH Mittweida kauft laut In der Stroth elektronische Bauteile und Komponenten von Zulieferern aus ganz Europa. "Die ganzen Materialien kommen jedoch zu 80 Prozent aus Asien. Für die Herstellungsverfahren können wir jedoch nicht die Hand ins Feuer legen. Weil wir weder wissen, wie es dort genau läuft, es auch nicht beeinflussen können und noch dazu stark abhängig sind." Von den eigenen Lieferanten höre man oft, man solle sich direkt an die Hersteller in Asien zu wenden. "Doch einen Bauteilehersteller für Schaltkreise aus Asien mit solchen Sachen zu belasten, ist relativ aussichtslos."
Keine Kinderarbeit und Sklaverei in der Lieferkette
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verpflichtet in Deutschland seit dem 1. Januar Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Nachweis der Einhaltung von Menschenrechten und auch ökologischer Sorgfalt innerhalb der eigenen Lieferketten. Wird dies nicht umgesetzt, drohen Bußgelder bis acht Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit dem neuen Standort im sächsischen Borna bei Leipzig überwacht die Einhaltung des Gesetzes.
Hilfestellungen für kleinere Unternehmen
"Ziel des Gesetzes ist es, dass die Menschenrechte entlang den Lieferketten besser gewahrt werden", sagte BAFA-Präsident Torsten Safarik MDR SACHSEN. Aktuell arbeite die Behörde an Hilfestellungen für betroffene Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitern aber auch für kleinere Unternehmen, die nicht unter das neue Gesetz fallen, jedoch indirekt betroffen seien. "Sie sind ein wesentlicher Teil der Lieferkette. Hier bestehen viele Unsicherheiten am Markt, für die wir Handreichungen erarbeiten und die wir in wenigen Tagen veröffentlichen." Laut Safarik habe die neue Behörde in Borna bereits 51 neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingestellt. Weitere 50 neue Stellen sollen besetzt werden. "Wir planen, uns bis Ende des Jahres zu verdoppeln", sagte Safarik.
Lieferketten reichen oft in ärmere Länder
Spätestens die Corona-Pandemie, die Lieferprobleme in China sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen des Angriffskrieges auf die Ukraine haben gezeigt, wie verletzbar und auch komplex globale Lieferketten sind. Oft reichen die Anfänge der Lieferanten-Ketten in ärmere Länder, in denen günstiger produziert wird oder wo in Minen Seltene Erden oder andere Metalle gewonnen werden. Dort wird die Einhaltung von Menschenrechten oder Umweltauflagen nicht in gleichem Maße nachgehalten wie etwa in Deutschland. Organisationen beklagen unmenschliche Arbeitsbedingungen, darunter Sklaverei und Kinderarbeit.
Ziel: Wandel der Unternehmenspraxis
"Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist ein wichtiger Schritt im Kampf für Rechte von Menschen im globalen Süden", sagt Christian Schliemann-Radbruch, Jurist am European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) MDR SACHSEN. "Ziel ist, einen Wandel der Unternehmenspraxis herbeizuführen, damit Menschenrechte in den Lieferketten deutscher Unternehmen abgesichert werden. Es braucht ein Umdenken auf Seiten der Unternehmen. Es braucht aber auch eine aktive behördliche Überwachung sowie eine enge Zusammenarbeit von Betroffenen und der hiesigen Zivilgesellschaft, um Missstände aufzudecken." Ähnlich argumentiert auch Claudia Brück von Fair Trade Deutschland. "Wenn wir die Armut in der globalen Lieferkette ernsthaft bekämpfen wollen, müssen alle Akteure entlang der Wertschöpfungsketten Verantwortung übernehmen", erklärt die Fair-Trade-Vorsitzende MDR SACHSEN.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 11. April 2023 | 20:00 Uhr