"Meinung zu Gast" Umgang mit AfD: Demokratie stärken und Angst überwinden
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15. Dezember 2023, 08:36 Uhr
Die Frage ist nicht, was gegen die AfD hilft – sondern was die Demokraten ändern müssen, um besser durchzudringen. Ein Verbot ist (vorerst) nicht die Lösung, meint Hannah Suppa, Chefredakteurin der "Leipziger Volkszeitung", zur Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz Sachsen als rechtsextremistisch. Ein Gastbeitrag.
Nun also auch in Sachsen. Der sächsische Landesverband der AfD ist der letzte in Mitteldeutschland, der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wurde. "Wahltaktik vor der Landtagswahl!", ruft die AfD. "Das hat aber gedauert!", bewerten die, die auf diese Entscheidung schon länger gewartet haben.
Tritt man einmal einen Schritt zurück aus all dem aktuellen Gebrüll der Tagespolitik, ist das schon eine Zäsur: Die Partei, die seit Monaten in den Umfragen zu den Landtagswahlen 2024 für Sachsen und Thüringen die größte Zustimmung bei den Wählerinnen und Wählern hat, wird von den Verfassungsschützern nun für ganz Mitteldeutschland als verfassungsfeindlich, antisemitisch und rassistisch eingestuft. Fast ein Drittel der Wählerinnen und Wähler in Sachsen würden die Partei wählen, obwohl sie rechtsextreme Positionen vertritt – manche auch gerade deswegen. Natürlich hat die AfD in ihren Reihen auch Mitglieder, die keine verfassungsfeindlichen Überzeugungen haben und die an sachlichen Lösungen interessiert sind. Doch sie stärken durch ihre Duldung und Schweigen diejenigen, die es anders sehen.
Meinung zu Gast In der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.
Was heißt die Einstufung durch den Verfassungsschutz nun? Faktisch nicht viel – denn die Partei darf zur Wahl antreten, der Verfassungsschutz hat aber nun mehr Möglichkeiten zur Beobachtung durch weitere nachrichtendienstliche Mittel. V-Leute beispielsweise. Doch einmal mehr stellt sich die Frage, wie man mit dieser Partei umgeht. Die Befürworter einer Verbotsdebatte, sie werden in diesen Zeiten wieder lauter.
Dabei hat die Demokratie ein grundsätzliches Problem, die AfD ist nur ein Symptom davon. Ein Generalverbot für eine Partei, die für viele Menschen zur Alternative geworden ist, wo andere das Vertrauen verspielt haben, ist allerdings nur eine weitere Demonstration der Schwäche der Demokraten. Das Verfahren wäre langwierig und schwierig. Und es würde nur ein Herumdoktern an einem Symptom bedeuten.
Keine Abkehr von der Demokratie aus Frust
Das Bild, was unsere Demokratie auf allen politischen Ebenen – befeuert durch unsere Mediengesellschaft – in den vergangenen Jahren abgegeben hat, ist fürwahr in einzelnen Punkten nicht immer das Beste gewesen. Der Zickzack-Kurs in der Corona-Politik, verschleppte Energie- und Transformationspolitik, die überbordende deutsche Bürokratie, Überforderung in der Migrationspolitik, handwerkliche Fehler in der Bundespolitik, die erst die Menschen in der Energiekrise verwirren – und dann über Wochen unklar ließen, wie der Bundeshaushalt aufgestellt ist. Und das in Zeiten multipler Krisen und Kriege.
Der Frust darüber, die Sorgen sowie ein Verteilungsungerechtigkeitsempfinden und Angst vor dem Tempo der weltweiten Veränderungen dürfen nicht eine Abkehr von demokratischen Grundwerten zur Folge haben. Wir sehen es europa- und weltweit, wie die Rechtspopulisten aus der Zukunftsangst Kapital schlagen – es ist keine ausschließlich deutsche oder gar ostdeutsche Dynamik.
Demokratie ist anstrengend. Sie ist kleinteilig, mühsam, sie hat nicht sofort die einfache Antwort – sie hat aber die Kraft des Kompromisses und des konstruktiven Streits auf den Grundwerten unserer Gesellschaft von Freiheit und Gleichheit. Es ist die beste der möglichen Staatsformen.
Die Antwort der anderen Parteien auf eine radikale AfD darf nicht noch mehr Radikalität sein, sondern muss demokratisch sein: Mehrheiten und Kompromisse finden für alle, nicht nur die eigene Klientel. Gesprächsbereit sein – und Zuhören. Mit dem Mut, die eigene Meinung zu korrigieren – und das auch zuzugeben. Auch wenn die politischen Herausforderungen komplex sind, dürfen die Menschen nicht das Gefühl haben, die Regierenden verstünden sie nicht und seien handlungsunfähig. Oder noch schlimmer: handlungsunwillig.
Das eigene Handeln hinterfragen
Die offene, liberale Demokratie wie die unsere bekommt ein Akzeptanzproblem, wenn Frust und Sorgen und eine Rhetorik der Polarisierung die Oberhand gewinnen: Im Politischen wie im gesellschaftlichen Privatraum. Auch hier sollten wir uns ehrlich fragen: Hören wir einander wirklich zu? Lassen wir uns auf Argumente ein, die nicht die eigenen sind? Denken wir weiter bis zu den anderen, die nicht in unserer Lebenswirklichkeit sind? Pflegen wir einen Ton, der das Gegenüber respektiert?
Wir sollten uns mehr ein Beispiel an Altbundespräsident Joachim Gauck nehmen, der sagt: "Wir schenken der AfD nicht unsere Angst."
Redaktioneller Hinweis Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des Autors oder der Autorin wieder und nicht die der Redaktion.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 17. Dezember 2023 | 09:35 Uhr