"Meinung zu Gast" Demokraten müssen koalitions- und kompromissfähig sein

19. Januar 2024, 05:00 Uhr

Für "Meinung zu Gast"-Autor Dirk Birgel versucht jede Partei im Wahlkampf, ihre Klientel bestmöglich anzusprechen. Aber danach sollten Demokraten aus dem Scheitern der Weimarer Republik lernen und Kompromisse eingehen.

Die Sachsen haben die Wahl. In diesem Jahr sogar gleich drei Mal. Im Juni werden sie an die Wahlurnen gerufen, um ein neues Europaparlament zu wählen. Zudem stehen die Kommunalwahlen an. Mit größter Spannung aber wird jetzt schon die Wahl des neuen Landtags im Freistaat Sachsen erwartet. Kann Ministerpräsident Michael Kretschmer weiter regieren oder verliert die CDU erstmals seit der Wende ihre Vormachtstellung?

Diese Frage kann heute niemand seriös beantworten. Aber die jüngsten Umfragen zeigen, dass es vermutlich eng wird. Die Regierung aus CDU, Grünen und SPD verfehlt bei einigen Demoskopen bei der Sonntagsfrage derzeit die nötige Mehrheit. Und alle sehen die AfD mit der Union auf Augenhöhe – mindestens!

Meinung zu Gast In der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.

Kretschmers rote Linie zu den Grünen ist verständlich

Ministerpräsident Michael Kretschmer zieht bereits rote Linien. Keine Koalition mit der AfD oder den Linken und am liebsten auch nicht mit den ungeliebten Grünen. Das ist auch verständlich. Denn die Grünen stehen für eine Politik, die vor allem ideologiegetrieben ist, mit denen man aber Kompromisse erzielen muss, die viele traditionelle CDU-Wähler abschrecken.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen und Vorsitzender der sächsischen Union, spricht auf dem Landesparteitag der CDU Sachsen in Chemnitz. 11 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Und deshalb hat Kretschmer bereits jetzt den Wahlkampfmodus eingeschaltet. Themen, mit denen man sich vom politischen Gegner abgrenzen kann, gibt es genug. Da wäre zunächst die Asylpolitik. Während die CDU immer lauter nach Einschränkungen von Leistungen für Asylsuchende ruft, stemmen sich insbesondere die Grünen dagegen, blockieren zum Beispiel die Aufnahme weiterer Staaten auf die Liste der so genannten sicheren Herkunftsländer, in die schneller abgeschoben werden kann. Ende 2023 gaben sie schließlich im Falle von Georgien und der Republik Moldau nach. Die Aufnahme der Maghreb-Staaten verweigern sie beharrlich.

Bei Asyl- und Klimapolitik spielt die Musik im Bund

Die große Mehrheit der Bürger wünscht sich aber ein Ende der unkontrollierten Einwanderung. Kretschmers Problem ist nur: als einzelnes Bundesland kann Sachsen da wenig bewirken. Da spielt die Musik im Bund. Aber allein eine Umkehr in der Asylpolitik kann der AfD den Wind aus den Segeln nehmen.

Auch in der Klimapolitik, dem zweiten großen Streitthema, gehen die Vorstellungen weit auseinander. Während die Grünen den Klimaschutz über alles stellen, will die CDU wirtschaftliche Interessen mindestens gleichberechtigt sehen. Denn letztlich bedeutet Klimaschutz immer auch einen Griff ins Portemonnaie des Bürgers. Und wie man ohne Atomkraft und fossile Brennstoffe in Deutschland eine stabile Energieversorgung gewährleisten kann, ohne sich vom Ausland abhängig zu machen, ist auch noch nicht beantwortet. Sonne und Wind allein werden definitiv nicht reichen. Aber auch das ist eher Bundes- als Landespolitik.

Dirk Birgel, Chefredakteur DNN
Bildrechte: Anja Schneider

Dirk Birgel Dirk Birgel ist der Chefredakteur der "Dresdner Neuesten Nachrichten". In der Reihe "Meinung zu Gast" kommentiert er als Gastautor Transformations- und Veränderungsthemen in Mitteldeutschland.

Zu viele Lehrer arbeiten in Teilzeit

Wo Kretschmer als Landesvater wirkliche Akzente setzen kann, sind die Bereiche Bildung und ländlicher Raum. Bei der Bildung geht es darum, den Lehrermangel in den Griff zu bekommen und den drastischen Ausfall von Unterrichtsstunden zu begrenzen. Wobei der Begriff Lehrermangel genau genommen nicht ganz zutreffend ist. Rein von der Anzahl her, gibt es genügend Lehrer im Freistaat. Aber von denen arbeiten zu viele in Teilzeit. Hier hat Kultusminister Christian Piwarz angesetzt. Der CDU-Mann genehmigt Teilzeit nur noch bei nachvollziehbaren Gründen. Wenn er wirklich einen Effekt erzielen will, muss er sich aber auch die in Vollzeit zurückbeordern, die solche Gründe ebenfalls nicht nachweisen können.

Ländlichen Raum mit Nahverkehr und medizinischer Versorgung stärken

Der ländliche Raum wiederum ist ein Thema für sich. Dort fühlen sich viele Menschen abgehängt, dort erzielt die AfD ihre besten Ergebnisse. Aber dort kann Landespolitik ebenfalls viel bewirken. Das fängt bei der Anbindung von Bus und Bahn an. Die muss attraktiv sein, damit mehr Leute aufs Land ziehen und zur Arbeit in die Städte pendeln können. Das geht bei der medizinischen Versorgung weiter. Zumindest die Versorgung mit Hausärzten muss ausgebaut werden. Und ein Krankenhaus, in dem die medizinischen Standardfälle behandelt werden, sollte auch in weniger als einer halben Stunde erreichbar sein.

Kompromisse – auch wenn es weh tut

Das alles aber kostet Geld – viel Geld – und braucht parlamentarische Mehrheiten. Welche Koalition sich nach der Wahl am 1. September in Sachsen bildet, ist offen. Bis dahin wird jede Partei versuchen, ihre Klientel bestmöglich anzusprechen. Das ist Wahlkampf. Danach aber gilt und das ist die Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik: Demokraten müssen untereinander koalitions- und kompromissfähig sein. Auch wenn es weh tut.

Redaktioneller Hinweis Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des Autors oder der Autorin wieder und nicht die der Redaktion.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 21. Januar 2024 | 09:35 Uhr

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