Bernhard Vogel (CDU), ehemaliger Ministerpräsident von Thüringen, bei der Aufzeichnung der Radio Bremen Talkshow „3nach9“.
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"Erst das Land" Was Bernhard Vogel über sein politisches Leben verrät - und was nicht

07. April 2024, 10:32 Uhr

Er gilt thüringenweit über CDU-Kreise hinaus als "Ministerpräsident der Herzen", ist Ehrenvorsitzender seiner Partei und darf auch im hohen Alter auf keinem wichtigen CDU-Parteitag fehlen: Bernhard Vogel - der einzige Politiker in Deutschland, der zwei Bundesländer regiert hat. Jetzt hat der 91-Jährige mit "Erst das Land. Mein politisches Leben zwischen West und Ost" seine Autobiografie vorgelegt.

Wenn man einen Text über Leben und Wirken von Bernhard Vogel schreibt, dann kann man sich jeden szenischen Einstieg sparen. Sämtliche Anekdoten über den Thüringer "Ministerpräsidenten der Herzen" sind bekannt und wurden schon überall, wo ältere Herrschaften zusammenkommen, tausendfach erzählt. Ob die Schnurre vom überstürzten Aufbruch nach Thüringen 1992 - "ohne Zahnbürste". Oder die bescheidenen Laster des Polit-Workaholics - "ab und zu eine gute Flasche Wein und eine Zigarre". Oder das unglaubliche Durchhaltevermögen auf Dauersitzungen, gespeist aus der Fähigkeit bei jeder Gelegenheit, in jedem noch so kleinen Zeitfenster ein Schläfchen hinzukriegen.

Auch über die sonstigen Parameter dieses reichen politischen Lebens zwischen West und Ost wurde schon oft gesprochen. Und wer das alles noch mal nachlesen will, der kann das in Vogels Autobiografie "Erst das Land. Mein Leben als Politiker in Ost und West" tun - also wie er als kleiner Bruder des späteren SPD-Politikers Hans-Jochen Vogel in Göttingen geboren wurde, sich in den Katholizismus hineinfühlte, die noch junge Wissenschaft der Politologie studierte (das war damals so eine Art Soziologie und in der frühen spießigen Bundesrepublik ziemlich wilde …) und dann mehr oder weniger in die Parteipolitik hineinrumpelte. Immer mit dabei: ein ewig pfeiferauchender CDU-Kanzler Helmut Kohl, der den jüngeren Bernhard mal förderte, mal behinderte. Mit "Gott schütze Rheinland-Pfalz" endete der West-Teil der Vogel-Vita, und ein neues Politik-Kapitel auf der anderen Seite der Bundesrepublik begann.

Wer war Bernhard Vogel wirklich?

Aber was hat Bernhard Vogel eigentlich jenseits dieses Anekdoten-Kanons für ein Leben geführt? Was hat er mit den wenigen Tagstunden angefangen, wenn er nicht in Seminargruppen saß, als Abgeordneter unterwegs war oder regiert hat? Hat er sich - nie verheiratet und ohne Kinder - auch mal einsam gefühlt? Wie war sein Verhältnis zu Helmut Kohl wirklich? Hat es ihn verletzt, dass nicht er, sondern Angela Merkel im Jahr 2000 Parteivorsitzende seiner geliebten Union geworden ist? Wo er doch "den Karren ziehen" wollte?

Auf solche Fragen gibt Vogel in seiner Biografie keine Antwort. Das gilt auch für den Ost-Teil seiner politischen Vita - sein Engagement in Thüringen. Wie hat es der Mann aus dem Westen eigentlich geschafft, die neuen Parteifreunde aus dem Osten aus ihrer murkeligen Zerstrittenheit herauszuholen und zu einer Art CSU von Thüringen zu formen? Wie hat er seine neuen Mitstreiter wahrgenommen, mitsamt "Blockflöten" und Erfahrungen in der Nationalen Front? Was ging in diesem Homo Politicus vor, wenn er auf CDU-Landesparteitagen im durchgeschwitzten Hemd ohne Jackett am Saalmikrofon die Versammlung dirigierte - mit wehender Stirnlocke? Appelle zur Geschlossenheit und das ewige Mantra "Erst das Land, dann die Partei" sind ja nicht alles gewesen.

Bernhard Vogel (CDU/Ministerpräsident Thüringen) vor einem Schild mit dem Schriftzug - Top, Thüringen! CDU
Bernhard Vogel während der Landtagswahl 1999 Bildrechte: imago images / photo2000

Gerne mehr zu Tricks und Finten

Ein paar seiner professionellen Finten und Tricks waren nicht zu übersehen - etwa die Art und Weise, wie er seinem Wunsch-Nachfolger Dieter Althaus mit Andreas Trautvetter und Christian Köckert zwei Fake-Thronfolger an die Seite stellte, um ihn zu schützen. Der eine wurde planmäßig CDU-Fraktionschef und Landesvorsitzender. Die anderen beiden solange Innenminister, bis der Lack gründlich ab war und sie niemand mehr für staatskanzleifähig halten konnte. Mit der Versicherung aus dem Wahlkampf 1999, die komplette Amtszeit Regierungschef sein zu wollen, und dann trotzdem für Althaus abzudanken, hat Vogel seine persönliche Glaubwürdigkeit arg strapaziert.

Auch der Umgang mit Dagmar Schipanski gehört in diese Trickkiste. Die honorige Professorin mit lupenreiner Ost-Wissenschaftlerinnen-Biografie durfte genau so lange Bundespräsidenten-Kandidatin sein, wie CDU und CSU in der wählenden Bundesversammlung chancenlos waren. Diese Rolle nennt der Politikbetrieb "Edler Verlierer" und sie gehört zum Werkzeugkasten von Opposition. Die Reihe lässt sich fortsetzen. Dass Vogel zu seiner aktiven Zeit davon nichts hat gucken lassen, ist geschenkt. Dass er in seiner Autobiografie so wenig auf seine Überlegungen eingeht, so wenig von seinem Leben hinter dem offiziellen preisgibt, ist schade.

Und überhaupt: Viele Hundert Seiten wartet der Leser vergeblich auf den Moment, indem Vogel endlich einmal näher auf die Protagonisten eingeht, die heute oder bis vor Kurzem die Thüringer CDU prägen oder prägten: Mike Mohring und Mario Voigt. Immerhin mühten oder mühen sich ja beide redlich, der heimischen CDU den Job wiederzuholen, der nach Ansicht des gemeinen Christdemokraten in Deutschland der einzig Passende ist: zu regieren.

Bernhard Vogel (Deutschland/CDU/Ministerpräsident Thüringen) während einer Pressekonferenz in Bonn
Bernhard Vogel im Jahr 1995 Bildrechte: imago/sepp spiegl

Verstörende Fehler

Und dann sind da noch einige Fehler oder Wort-Neuschöpfungen, die man nicht leicht mit dem gediegen gebildeten Vogel zusammenbringt: In Bad Kleinen gab es keinen Terroranschlag. Die kleine Zeitung aus Weimar nebst Chef mit dem großen Ego (Hans Hoffmeister) heißt nicht "Thüringer Landeszeitung". Einen Flugplatz Altenburg-Lobitz gibt es in Thüringen nicht. Die Nachvollziehung der Thüringer Wahlergebnisse anhand des Buches ist schwierig, weil Vogel die Stimmen-Veränderungen notorisch in Prozent angibt, wo eigentlich Prozentpunkte gemeint sind.

Was bleibt? Die Thüringer CDU hat jetzt ein Buch zur Verfügung, das sie prima und zu allen möglichen Anlässen an Parteifreunde verschenken kann. Wer aber mehr über den durch und durch politischen Menschen Bernhard Vogel erfahren will, der bekommt ein seltsam minimalinvasives Werk in die Hand, das zu viele Fragen offenlässt. Leider.

Informationen zum Buch Bernhard Vogel: "Erst das Land -
Mein Leben als Politiker in West und Ost"
erschienen beim Verlag Herder
1. Auflage 2024, 416 Seiten
ISBN: 978-3-451-39545-1

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MDR (usb/sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 07. April 2024 | 18:00 Uhr

24 Kommentare

martin vor 3 Wochen

@camper21: Gern geschehen. Allerdings gab es selbst in den Thüringer Bezirken des sog. "Arbeiter- und Bauernstaats" eine Menge vernünftig ausgebildeter Menschen, die hier nach der Wende keine Perspektive mehr erkennen konnten und abgewandert sind.

martin vor 3 Wochen

@quantix: Ihrer Beschreibung der DDR stimme ich völlig zu. Allerdings trifft dies auf alle der sog. "neuen Bundesländer" - wenn auch mit Nuancen - zu.

Hier geht es allerdings um das Wirken von Vogel als Thüringer MP. Und da hätte es m.M.n. durchaus Alternativen zur angeblich alternativlosen Förderung des Niedriglohngebiets Thüringen gegeben. Wir leiden doch heute noch darunter, dass viele vernünftig ausgebildeten Leute mangels hiesiger Perspektive in den Westen abgewandert sind - auch wenn etliche von ihnen dort auch nicht recht glücklich waren.

martin vor 3 Wochen

@der matthias: In wieweit er Thüringen auf Dauer wirklich gut getan hat, werden m.M.n. die Historiker (vermutlich im Streit) klären müssen. Ob die "Beförderung als Niedriglohngebiet" wirklich so "alternativlos" wie behauptet war, wage ich zu bezweifeln.

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