Frauen mit Lipödem , Stand mit Info-Material
Regelmäßig treffen die Frauen sich mit Landespolitikern, um gemeinsam Lösungen zu finden. Hier mit Ralf Plötner von der Linken und Christoph Zippel von der CDU. Bildrechte: MDR/SHG Lily

Chronische Krankheit "Sind nicht dick, sondern unheilbar krank": Wie Thüringerinnen mit Lipödem leben

05. November 2024, 11:44 Uhr

In Deutschland gibt es rund 3,8 Millionen Menschen, die von Lipödemen betroffen sind, meist Frauen. Obwohl die Erkrankung schmerzhaft ist und typische Symptome verursacht, wird sie oft erst spät erkannt. Eine Thüringer Selbsthilfegruppe ist für die Betroffenen da.

Die drei Frauen waren schon ziemlich aufgeregt, als sie eingeladen wurden, ihre Selbsthilfegruppe bei einem Termin mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Erfurt zu vertreten. Lange hatten sie überlegt, was sie ihn konkret fragen würden.

Frauen mit Lipödem , Stand mit Info-Material
Babett B,. Ute Rath und Josephine L. hatten sich sehr auf die Diskussion mit Minister Lauterbach gefreut. (von links) Bildrechte: MDR/SHG Lily

Die Krankheit, die die Frauen quält, ist das Lipödem. Ein Lipödem ist eine chronische Krankheit, die durch eine ungleichmäßige Fettverteilung im Körper gekennzeichnet ist. Dies führt zu einer übermäßigen Ansammlung von Unterhautfettgewebe, insbesondere an den Hüften, Oberschenkeln, Knien und Unterschenkeln.

Die Symptome können sich mit der Zeit verschlimmern und dazu führen, dass die betroffenen Körperbereiche schmerzhaft und empfindlich werden. Es ist nicht heilbar, extrem schmerzhaft und auch psychisch sehr belastend.

Zu wenig Erkenntnisse, zu wenig Fachärzte

Ute Rath beispielsweise leidet seit ihrem 30. Lebensjahr darunter, auf eine Diagnose musste sie allerdings bis 2022 warten. Denn über die Krankheit und ihre Ursachen ist wenig bekannt. "Weil es fast nur Frauen betrifft, wird halt weniger geforscht", sagt Ute Rath. "Deshalb wissen die Ärzte auch zu wenig. Sie schicken dich weg mit dem Rat, weniger zu essen. Das tut schon weh."

Deshalb wollten die Thüringerinnen auch von Lauterbach wissen, wie es aussieht mit mehr Fachärzten für Lipödem-Betroffene, erzählt Babette B. und war sehr enttäuscht, dass der Minister auswich. Das Thema gehöre auf die Landesebene. Dort liegen aber laut Thüringer Gesundheitsministerium nicht einmal Betroffenen-Zahlen vor, "da eine detaillierte Datenanalyse mit einem erheblichen technischen und zeitlichen Aufwand verbunden wäre".

Eine Frau mit Brille schaut in die Kamera. 5 min
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Seit ihrem 30. Lebensjahr kämpft Ute Rath mit ihrem Lipödem. Zu Beginn gab es nicht einmal eine Diagnose. Doch die Thüringerin lässt sich nicht unterkriegen.

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Babett selbst hat nach vielen vergeblichen Versuchen schließlich einen Arzt in Düsseldorf gefunden, der sich mit dem Lipödem auskennt und bei dem sie jetzt in Behandlung ist.

Leben mit ständigen Schmerzen

Fast vier Millionen Menschen in Deutschland teilen das Schicksal der beiden Frauen. "Man steckt jahrelang ständig in irgendwelchen Diäten, macht Sport und nichts hilft. Und niemand weiß, dass man eigentlich eine unheilbare Krankheit hat", sagt Babette.

Wir sitzen hier nicht im Kreis und jammern. Wir sind nämlich nicht nur krank, wir sind auch ganz besondere Frauen.

Babett B. Gründerin der Selbsthilfegruppe

Der Schmerz, so sagen die Frauen, sei ständig da. "Das ist ein Schmerz, wie wenn Ameisen langsam an dir hochkrabbeln, oder als wenn du dich in ein Brennnesselfeld setzt." Dazu kommen nicht nur die abschätzigen Blicke aus dem Umfeld und die kränkenden Sprüche. Denn das Lipödem hat auch gesundheitliche Folgen. Ute Rath hat beispielsweise inzwischen zwei Knie-OPs hinter sich.

Begegnet sind die beiden sich in einer ganz besonderen Selbsthilfegruppe in Erfurt. Babett hat sie gegründet und "Lebe Liebe Lache" genannt. Das Besondere beschreibt sie so: "Wir sitzen hier nicht im Kreis und jammern. Wir sind nämlich nicht nur krank, wir sind auch ganz besondere Frauen."

Ein Pulli auf dem u. a. "Lebe Liebe Lache" steht
Der Name ihrer Gruppe steht inzwischen auch auf Pullis. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Ihr Ziel ist es, einander zu helfen, Aufklärung zu leisten und in der Politik das Bewusstsein für das Lipödem zu stärken. "Aber es gehört auch dazu, dass man auch mal sich in den Arm nimmt und füreinander da ist" ergänzt Ute Rath.

Alltag als dauernder Kampf

Denn der Alltag mit dieser Krankheit sei schwer genug, erzählen Ute und Babett. "Es ist ein ständiger Kampf." Beispiel Kompressionsstrümpfe. Einmal im halben Jahr bekommen die Betroffenen diese verschrieben. "Wenn man ganz viel Glück hat, verschreibt der Arzt noch eine Wechselversorgung“", erzählt Ute. "Das ist natürlich unwahrscheinlich unhygienisch!"

Und auch, wenn die inzwischen schön aussehen und in allen möglichen Farben erhältlich sind, trägt niemand sie gern. "Sie sind mühsam anzuziehen, man schwitzt, es reibt und das ist nicht lustig. Nichts an dieser Krankheit ist lustig."

Frauen mit Lipödem , Stand mit Info-Material
Wenn die Gruppe sich in der "Brennnessel" trifft, werden auch die neuesten Kompressions-Produkte präsentiert. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Auch bei der Arbeit ist es schwer. Die Kolleginnen und Kollegen wissen zwar Bescheid und haben viel Verständnis. Trotzdem kann niemand sich vorstellen, wie es ist, ständig Schmerzen zu haben. Babett erzählt: "Ich hatte in meinem Arm mehrere Wochen lang solche Krämpfe, dass ich ihn am liebsten abgehackt hätte. Ich konnte nicht schlafen und gar nichts."

Vorurteile bei vielen Ärzten beobachtet

Linderung verschafft auch die Lymphrainage. Doch auch die darf nur sechsmal verschrieben werden. Außer, es gibt eine gute Begründung für häufigere Anwendungen. Und genau deshalb, so Babett, brauche es Aufklärung bei den Ärzten. "Das Lipödem kommt im Medizin-Studium so kurz vor, dass viele Ärzte sich nicht genug damit auskennen."

Jede 10. Frau leidet unter der Krankheit Lipödem
Die Haut muss besonders gut gepflegt werden, wenn dauerhaft Kompressionsstrümpfe getragen werden. Bildrechte: imago images / brennweiteffm

Die Adressen der Ärzte, mit denen die Frauen gute Erfahrungen gemacht haben, werden in der Gruppe ausgetauscht. Ebenso wie die schlechten Erfahrungen. "Wir brauchen mehr Verständnis, dass wir nicht abgestempelt werden. Wenn in deiner Krankenakte einmal Adipositas steht, gucken ganz viele Ärzte nicht weiter", berichten beide Frauen.

Fettabsaugung - Kassenleistung mit Hindernissen

Wirklich Abhilfe gibt es erst durch eine Fettabsaugung. Der Berufsverband der Frauenärzte unterstreicht, Fettabsaugung bei Lipödem sei kein kosmetischer Eingriff, sondern medizinisch notwendig.

Bis 2024 wird die Fettabsaugung bei Lipödemen in der schwersten Stufe, dem Stadium III, unter bestimmten Voraussetzungen von den Krankenkassen gezahlt. Parallel läuft eine Studie des Gemeinsamen Bundesausschusses, der über verpflichtende Kassenleistungen entscheidet, zu dieser Behandlungsmethode auch für die Stadien I und II.

Immerhin: Die Kosten für das Absaugen krankhafter Fettablagerungen können von den Frauen steuerlich geltend gemacht werden, wenn es sich dabei nicht um einen kosmetischen Eingriff handelt. Das hat der Bundesfinanzhof 2023 entschieden.

Ursachen der Krankheit kaum erforscht

Die Ursachen für das Krankheitsbild Lipödem sind noch nicht abschließend geklärt. Experten vermuten den Einfluss von Hormonen als Ursache, da sich die Symptome in Phasen hormoneller Umstellung manifestieren oder verschlimmern.

Wir wollen füreinander da sein, denn niemand hat es verdient, alleine zu sein.

Babett B.

Meist treten erste Anzeichen der Krankheit nach der Pubertät auf, weniger häufig nach Schwangerschaften und in den Wechseljahren. Eine genetische Vorbelastung der Patientinnen ist sehr wahrscheinlich.

Selbsthilfegruppe steht erst am Anfang

Die Gruppe feiere bald ihren Jahrestag, erzählt Babett. "Wir sind noch in den Kinderschuhen und wir wachsen auch. Wir freuen uns immer über neue Mitglieder." Einige Seminare sind auch schon geplant fürs nächste Jahr. Weitere Treffen mit Politikern soll es geben und jede Menge Aufklärung. "Und wir wollen füreinander da sein, denn niemand hat es verdient, alleine zu sein."

Frauen mit Lipödem , Stand mit Info-Material
Babett (rechts) und Ute (Mitte) haben inzwischen viel Fachwissen zum Lipödem und können andere beraten. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Die restlichen Fragen der Frauen an Karl Lauterbach sollen übrigens schriftlich beantwortet werden, hieß es. Bisher kam noch nichts. Und auf ein Foto mit dem Gesundheitsminister, das die Gäste bei dem Termin im August machen konnten, hatten die drei Frauen dann auch keine Lust mehr.

Ihr Vertrauen in die Politik und die Hoffnung auf Unterstützung jedenfalls sind mächtig geschrumpft. Aufgeben wollen und können sie trotzdem nicht, der Leidensdruck ist einfach zu groß.

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4 Kommentare

Mediator vor 21 Wochen

Mal abgesehen dass alleine diese Kompressionsstrümpfe kein Spaß sind, handelt es sich hier um eine ernste Krankheit, die leider von vielen Außenstehenden nicht als Krankheit gesehen wird, weil man ja erst einmal nur einen "kräftigen" Meschen sieht, der sich mit bestimmten Dingen schwer tut.

Wa sich nicht verstehe ist, dass lindernde Maßnahmen wie die Lympfdrainage hier erst einmal grundsätzlich begrenzt sind von den Krankenkassen. Das macht ja auch keiner zum Spaß.

Allen Betroffenen wünsche ich, dass sie so gut es geht mit dieser Erkrankung klar kommen und die notwendigen Hilfen erhalten.

Rita vor 21 Wochen

Als ich vor ein paar Jahr von einem Arzt die Diagnose Lipödem erhielt , wollte ich mir einige Monate später bei einer Ärztin in Erfurt eine zweite Meinung einholen. Als ich ihr erklärte, wie ich mich mit den Kompressionstrümpfen fühle, sagte sie " Sie haben doch eine Macke".
Ich habe weder etwas vorgejammert noch viele Worte gewechselt. Aber diese Aussage war einfach frech arrogant, überheblich. Ich werde keinen Fuss mehr in dieses Praxis setzen.
Zum Glück hat sich die erste Diagnose in dieser Form nicht bestätigt.

HerrFrodo vor 21 Wochen

ich wünsche allen betroffenen Frauen von Herzen alles Gute und finde es gut und richtig, dass darüber berichtet wird. Naja und das Herr Lauterbach keine Antworten hatte.....man hat hoffentlich nicht allzuviel Hoffnung in dieses Treffen gesetzt. Politiker haben doch sehr selten konkrete Antworten auf konkrete Fragen !

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