Bandfoto von Acoustica. Fünf Herren in Weihnachtspullis. (v.li.n.re.: Tommy Feiler, Roman Pastuschka, Lin Dittmann, Stefan Morgenstern, Erbse)
Videokonzert zu Weihnachten: Wenn die Fans nicht zu Acoustica kommen, kommt Acoustica zumindest zu den Fans. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Thüringer Musikradar Heiligabend ohne Acoustica: Wie Corona Weihnachten gestohlen hat

23. Dezember 2021, 08:30 Uhr

Weihnachten ohne Acoustica ist für viele Fans der Erfurter Kultband eigentlich undenkbar. Seit Jahren und Jahrzehnten pilgern sie - teilweise schon in dritter Generation - zu den Weihnachtskonzerten der anarchistischen Comedy-Coverband. Doch statt "Bahnfrei Kartoffelbrei" heißt es auch dieses Jahr wieder nur Weihnachten zu Hause vor Youtube.

Am Heiligabend 2020 kam sich Roman Pastuschka seltsam hilflos vor. Allein saß der 53-Jährige zu Hause und hantierte mit einer Bastelschere. "Letztes Jahr war mir so stinklangweilig, weil: Ich weiß ja nicht, was man dann macht." Nicht zu wissen, wie man Weihnachten feiert, diese Päckchen hatte auch Stefan Morgenstern am Heiligabend 2020 zu tragen. Ein Abend, der ihm lediglich als große Leere in Erinnerung geblieben ist.

Pastuschka - alias King Roman - und Morgenstern - alias Morgan Star - sind die Leadsänger der Erfurter Kultband Acoustica. Ihre Heiligabende waren bis dahin immer rauschende Feste gewesen, an denen sie als Patronengurt tragende Weihnachtsmänner auf der Bühne standen und zu verzerrten Gitarren und gewitternden Bühnenlichtern einen glühweintrunkenen Mob dirigierten, der aus voller Kehle mit ihnen "Wir wollen ro-, wir wollen rodeln geh'n" sang.

So - und nicht anders - feiert man Weihnachten, nur eben 2020 nicht. Und leider auch 2021…

Acoustica-Konzerte sind Weihnachtstradition in Thüringen und Sachsen-Anhalt

Die Advents- und Weihnachtszeit ohne Acoustica ist in Erfurt, Halle und vielen anderen Orten in Thüringen und Sachsen-Anhalt eigentlich undenkbar. Seit 1998 spielen Acoustica jedes Jahr zu Weihnachten Konzerte. Seit Mitte der 2000er-Jahre sind es ganze Weihnachtstourneen, mit Konzerten in den immer gleichen Clubs. "Das sind feste Spielorte, wo du mittlerweile siehst, dass da jetzt schon die dritte Generation kommt. Wo Kinder mal ihre Eltern mitgebracht haben und jetzt selbst Kinder haben", sagt Pastuschka.

Mit ihren anarchistischen Auftritten und umgetexteten Coversongs hat sich die Band vielerorts selbst als Weihnachtstradition etabliert. Da tanzen die Großeltern Pogo, wenn aus Petula Clarks Pop-Klassiker "Downtown" die Punkrock-Nummer "Baum klaun" wird und da bouncen die Kids zu "In der Weihnachtsbäckerei", einer Coverversion vom Eminem-Hit "Without Me". Denn das muss man Acoustica lassen: Trotz des Klamauks, der ausgefallenen Kostüme und irrwitzigen Geschichten über Maik Baier vom Erfurter Johannesplatz, schafft es die Band nie ganz, davon abzulenken, dass sie musikalisch höchstversiert ist. Das wird nicht zuletzt bei Eigenkompositionen wie "Rück das Zeug raus, du rote Sau!" deutlich, die nicht weniger Ohrwurm-Charakter haben als die Coversongs.

Von Maik Baier und dem Erfurter Johannesplatz

Wenn Sie sich beim Lesen jetzt gefragt haben, wer Maik Baier ist; er ist eine Reminiszenz an die frühen 80er-Jahre am Erfurter Johannesplatz, einem Plattenbaugebiet im Erfurter Norden, wo sich Pastuschka und Morgenstern kennenlernten. Eine Zeit, an die sich King Roman so erinnert: "Also, es war alles schwarz-weiß, 256 Graustufen, wir schreiben die DDR. Das war 'ne coole Zeit. Kindheit, Jugend ist eben immer cool, da ist es scheißegal, was du für ein System drumherum hast. Wir haben uns kennengelernt, haben Musik gemacht draußen in der Saline."

"Das war auch 'ne Zeit in der Musikmachen und in einer Band zu spielen auch eine total coole Sache war", nimmt Morgenstern den Faden auf. "Ich komm' aus einer Familie, wo das schon immer an der Tagesordnung war. Ich hab dann schon mit neun angefangen, Gitarre zu spielen. Roman war der coole Dude, schon mit Vollbart in der achten Klasse. Immer einen Witz nach dem anderen auf der Pfanne, wo du gedacht hast, was für ein Entertainment." Zusammen mit Stefan Kerth - alias Maria Kerthy -, dem langjährigen Bassisten von Acoustica, gründeten sie damals eine Schülerband und blödelten nach Herzenslust rum. In dieser Zeit entstanden auch die ersten Hörspiele in Thüringer Mundart, die oft Romans Klassenkameraden Maik Baier - "mit A-I" - zum Thema hatten. In liebevollen Moderationen, Songs und Radioshows begleitet Maik die Band bis heute auf den Bühnen dieser Welt.

Anarchie bei den Olympischen Spielen

1993 schließlich gründen King Roman, Morgan Star, Maria Kerthy und der damalige Drummer Ringo Fire Acoustica. Sie spielen kleine Clubkonzerte, schlagen sich mit Straßenmusiken durch und entwickeln in den folgenden Jahren ein sagenhaftes Improvisationstalent, "einen Faible für Verkleidungen, Tanzeinlagen und jede Art theatralischen Entertainments", wie es auf der Website heißt. Parodierende Coversongs und anarchistische Bühnenshows gehören schon damals zum festen Repertoire.

Ab 1998 werden größere Radiosender wie MDR Jump aufmerksam und laden die Band zur Zusammenarbeit ein. Radioshows, Festivals und Konzerttouren machen die Band in den 2000er-Jahren weit über Thüringen hinaus bekannt. Sie spielen zur Fußball-WM 2006 regelmäßig auf der Leipziger Fanmeile und geben Konzerte bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City, Turin und Vancouver vor zehntausenden Zuschauern.

Last Christmas

Im Vergleich dazu tritt die Band heute deutlich kürzer. Immer wieder nimmt sich die Band längere Auszeiten, die inzwischen fünf Bandmitglieder gehen eigene berufliche Wege. So ist Pastuschka in der Jugendsozialarbeit tätig und Stefan Morgenstern ist freiberuflicher Produzent und Geschäftsführer im "Ground Control" Studio in Erfurt. Was trotz der Bandpausen immer bleibt, das sind die regelmäßigen Konzerte am 1. Mai, zum traditionellen Fahnenappell, und zu Weihnachten, die zu einer Art Familientreffen werden.

Und weil man Familientreffen nicht absagt, begeistern Acoustica seit Jahren und Jahrzehnten ihre Fans zu Weihnachten. Neun Weihnachtsalben, weit über 100 Songs zum Fest und Hunderte Konzerte sprechen für sich. Ihre Touren haben so klingenden Namen wie "Habt euch lieb ihr Assis!" 2014, "Er ist wieder da" 2015, "Wir schaffen das" 2016, "X-Mas First" 2017 und "Spuk untern Highnachtsbaum" 2018. Dass sich ausgerechnet der Titel der Tour 2019 als Prophezeiung entpuppen sollte, ahnte jedoch niemand: "Last Christmas."

Querdenker sabotieren die Gesellschaft

Inzwischen hat Corona der Band schon zwei Weihnachten gestohlen. Nach der Tour letztes Jahr musste Acoustica auch dieses Jahr schweren Herzens canceln. In der Facebook-Absage formulierte die Band ihren Frust darüber zurückhaltend:

Wir werden für euch live und in echt da sein, sobald alles wieder gut ist. Bitte bleibt gesund und vor allem bei Trost!

Acoustica Facebook

Da Acoustica aber schon immer auch eine Band mit klaren politischen Überzeugungen war, die Konzerte für das Bleiberecht von Migranten, für Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben und andere humanistische Initiativen spielte, ist es nicht verwunderlich, dass Morgenstern und Pastuschka im Interview etwas anders klingen.

"Das ist ein Albtraum", sagt Morgenstern und holt weit aus: "Wenn vor fünf Jahren einer mir das als Geschichte erzählt hätte: Pass mal auf, es wird ein Virus ausbrechen, das kennste aus dem Film, so auf der ganzen Welt. Du als Musiker, du wirst nicht mehr spielen können. Das läuft dann 'ne ganze Weile und es ist auch ziemlich schlimm, denn alle Läden machen zu. Nach einem Jahr dann kommt ein Impfstoff raus und alle freuen sich, weil's jetzt wieder losgehen kann. Aber da gibt es echt viele Menschen, die das komplett boykottieren und total wirres Zeug reden. Und dann geht es ins zweite Jahr, nur deswegen und dann geht’s ins dritte Jahr… Spätestens da hätte ich gesagt: Was redest du für einen Quatsch, das ist ja totale Endzeitstimmung. So ist es aber", Morgenstern kennt aus seinem Studio den Leidensweg vieler Musiker, die ihren Beruf an den Nagel hängen mussten.

Auch Pastuschka hält mit seinen Gefühlen bei dem Thema nicht hinterm Berg: "Es gibt da einige wenige, die immer lauter und aggressiver werden. Wenn man ganz hart wäre, würde man sagen, die sabotieren quasi 'ne Gesellschaft. Und das wahrscheinlich noch in einem nationalen Gedanken bei einigen, die gar nicht mitkriegen, wie sie dadurch internationale Konzerne fördern. Das ist völlig krasser Wahnsinn."

Youtube-Konzert statt "Bahnfrei Kartoffelbrei!"

Weil Corona und Corona-Leugner aber nun mal eine gesellschaftliche Realität sind und die Band - ihre Bühnenshow mal ausgeklammert - zum vernünftigen Teil der Gesellschaft gehört, gibt es die "Bahnfrei Kartoffelbrei"-Tour auch dieses Jahr nur in der Light-Version. Die Band hat ein Konzert in Morgensterns Studio aufgenommen, um ihren Fans doch noch ein Weihnachten zu schenken.

Veröffentlicht wird das Video am Heiligabend um 21 Uhr hier:

Zur gleichen Zeit, wenn King Roman sich vermutlich gerade mit der Bastelschere verletzt und Morgan Star apathisch Löcher in Wand starrt. Frohe Weihnachten!

Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. Dezember 2021 | 05:00 Uhr

2 Kommentare

Lotrecht am 24.12.2021

Und was soll daran jetzt "anarchistisch" sein?

Stefan Der am 23.12.2021

Danke MDR für den Artikel. Weihnachten ohne „Rück das Zeug raus, Du rote Sau…“ sind keine richtigen Weihnachten. 1,2,3,4….

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