Parteiausschlussverfahren AfD wirft eigenen Mitgliedern parteischädigendes Verhalten und Wahlfälschung vor
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16. Mai 2024, 09:47 Uhr
Die AfD im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt kommt nicht zur Ruhe. Die Kandidatenaufstellung zur Kreistagswahl hat einen Machtkampf ausgelöst, der auch die Thüringer Parteispitze erreicht hat. Welche Vorwürfe sich die Beteiligten machen und was in internen Protokollen steht.
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- Die Thüringer AfD wirft dem Landtagsabgeordneten Karlheinz Frosch und acht weiteren Mitgliedern parteischädigendes Verhalten vor - und droht mit Ausschluss.
- Der Hauptvorwurf gegen die neun Parteimitglieder geht darauf zurück, wie die Kandidatenliste für die Kreistagswahl im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt zustande gekommen ist.
- Bei den Vorwürfen geht es auch um Wahlfälschung - dem widerspricht das betroffene AfD-Mitglied. Der Machtkampf scheint noch nicht beendet.
Gegen wen sich das Ausschlussverfahren richtet
Im Parteiausschlussverfahren gegen neun AfD-Mitglieder aus dem Kreis Saalfeld-Rudolstadt sind neue Details bekannt geworden. So wirft die vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD Thüringen nicht nur dem Landtagsabgeordneten Karlheinz Frosch und acht weiteren Parteimitgliedern parteischädigendes Verhalten vor. Ein Mitglied soll sich auch der Wahlfälschung schuldig gemacht haben. Das geht aus dem 96-seitigen Antrag auf Parteiausschluss vom 3. Mai hervor, der MDR THÜRINGEN vorliegt.
Wörtlich heißt es darin: "Die Antragsgegner haben in besonders schwerwiegender Weise erheblich gegen die Ordnung der Partei verstoßen und ihr dadurch schweren Schaden zugefügt." Zu den neun Parteimitgliedern zählen alle sieben auf der AfD-Kreistagswahlliste aufgeführten Mitglieder sowie die Parteimitglieder Andreas Groß und Klaus Wiesel. Der Antrag umfasst eine Reihe von Verfehlungen, die den neun Mitgliedern gemeinschaftlich oder in Einzelfällen zur Last gelegt werden.
Schluss mit lustig nach Listenschluss
Der Hauptvorwurf gegen die neun Parteimitglieder geht auf die Aufstellung der 15 Personen umfassenden Kreistagswahlliste am 21. Oktober 2023 in Zeigerheim zurück, die nach Ansicht der Landespartei zu kurz für die zu erwartenden Mandate sei.
"Das war der Knackpunkt", sagt Verena Sigmund, die den Tag in Zeigerheim als Sprecherin der AfD im Kreis Saalfeld-Rudolstadt miterlebte. "Die Liste hätte nicht schon geschlossen werden dürfen. Es waren noch genügend Kandidaten da." So hätten beispielsweise Sigmunds Ehemann Hans, aber auch Sandra Großmann auf die Liste gewollt.
Dem widerspricht der Landtagsabgeordnete Karlheinz Frosch, dem im Antrag auf Parteiausschluss genau dieser "Abbruch der Listenaufstellung" als parteischädigendes Verhalten zur Last gelegt wird. Frosch sagt, es habe keine Kandidaten mehr gegeben, die vorher nicht schon durchgefallen waren. "Als es dann keinen mehr gab, habe ich den Antrag gestellt, die Liste zu schließen", sagt Frosch, "schließlich wollten wir nicht noch den ganzen Abend wählen".
Das Sitzungsprotokoll von Zeigerheim, das MDR THÜRINGEN ebenfalls vorliegt, belegt, dass an diesem Tag über Hans Sigmund abgestimmt worden war. Obwohl er ohne Gegenkandidat antrat, bekam er mehr Nein- als Ja-Stimmen und wurde nicht in der Liste aufgenommen. Auch Sandra Großmann wird im Protokoll erwähnt. Sie war gegen Daniella Gasda um Listenplatz 13 angetreten und unterlag. Für einen späteren Listenplatz konnte oder wollte sie sich nicht mehr bewerben.
Offenbar tumultartige Szenen auf AfD-Parteiversammlung
Nachdem Frosch den Antrag zur Schließung der Liste gestellt hatte, muss es in Zeigerheim zu tumultartigen Szenen gekommen sein. So berichtet es zumindest das prominenteste AfD-Mitglied in Zeigerheim: "Es war laut, die Stimmung war aufgeheizt, es ging gerade noch so ohne körperliche Gewalt aus", sagt der AfD-Bundestagsabgeordnete Michael Kaufmann, der an diesem Tag auf Listenplatz zwölf gewählt wurde.
Auch Sigmund spricht von einer aufgeheizten Stimmung. Sie habe einen Gegenantrag gestellt, sei aber überstimmt worden, erzählt sie. Als sie den Parteimitgliedern erklären wollte, warum eine längere Liste nötig sei, hätten sie Frosch und seine Leute niedergebrüllt.
Die Wahl der Ahnungslosen?
Später habe Sigmund erfahren, dass Parteineulingen erzählt worden sei, dass es gut wäre, wenige Listenplätze zu haben, weil die Stimme von Abgeordneten im Kreistag mehr Gewicht bekäme, wenn besonders viele Wähler diesen Abgeordneten bei der Kommunalwahl gewählt hätten. "Das ist natürlich völliger Quatsch. Aber manche von uns haben das geglaubt, und das zeigt mir, dass wir parteiintern mehr politische Bildung machen müssen."
Viele haben gar nicht verstanden, was sie da abgestimmt haben.
"Viele haben gar nicht verstanden, was sie da abgestimmt haben", sagt Sigmund. So sieht es auch die Landespartei, die im Parteiausschlussantrag minutiös ausführt, dass schon ein Wahlergebnis von 32,4 Prozent dazu führen würde, dass die Partei 15 Mandatsträger entsenden müsste und dann keine weiteren Nachrücker mehr hätte. Offenbar rechnete die AfD im Landkreis mit einem Ergebnis von 35 und mehr Prozent.
AfD wittert eine Verschwörung
Frosch wird im Antrag auf Parteiausschluss auch zur Last gelegt, gegen die eigene Partei geklagt und mehrmals eine Neuwahl der Liste verhindert zu haben. "Hier hat das Landgericht in das Parteienleben eingegriffen", meint Verena Sigmund, die die drei vorläufigen Urteile, die Frosch Recht gaben, nicht nachvollziehen kann. Nach dem dritten Gerichtsentscheid habe der Kreisverband schließlich eine zweite AfD-Liste unter dem Namen "Alternative für den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt" aufstellen müssen, sagt Sigmund. "Die alternative Liste war der letzte Ausweg, weil uns die Zeit davongelaufen ist." Auf dieser Liste 8 ist neben Sigmund inzwischen auch Michael Kaufmann zu finden.
Weiterhin wirft die AfD Frosch und seinen Getreuen eine parteischädigende Kooperation mit den Medien vor. Im Antrag führt die AfD 14 Artikel der "Ostthüringer Zeitung" und einen Beitrag von MDR THÜRINGEN als Beleg auf. Etwas später heißt es: "Die kollusive Vorgehensweise der Antragsgegner bot den politischen Gegnern unserer Partei und den Medien die Gelegenheit, […] die absurde Situation darzustellen, wonach vermeintlich zwei AfD-Listen gegeneinander antreten würden."
Die Einreichung der Liste wird drei Mitgliedern zur Last gelegt
Dass die in Zeigerheim gewählte Liste überhaupt beim Wahlleiter eingereicht worden ist, wird im Antrag auf Parteiausschluss Andreas Groß, Klaus Wiesel und Andreas Spanjer zur Last gelegt. Groß war Versammlungsleiter am 21. Oktober in Zeigerheim. Mit seiner Unterschrift unter das Versammlungsprotokoll habe er die Einreichung des von der Partei nicht gewollten Wahlvorschlags überhaupt erst ermöglicht, heißt es im Antrag.
Das Protokoll von Zeigerheim hat Groß tatsächlich unterzeichnet, die Unterschrift der Protokollführerin fehlt hingegen. Laut AfD-Kreissprecherin Verena Sigmund habe die Protokollführerin sich der Unterschrift verweigert, nachdem die Versammlung in Zeigerheim aus dem Ruder gelaufen sei.
Beim Wahlleiter eingereicht haben sollen die Liste Andreas Spanjer und Klaus Wiesel. Das wird ihnen im Parteiausschlussantrag vorgeworfen. Damit hätten sie das Mitgliedervotum bei der Kreisversammlung am 4. Februar ignoriert. "Der Beschluss vom Februar war eindeutig. 60 Mitglieder haben damals gesagt, der Beschluss vom 21. ist nichtig. Sich darüber hinwegzusetzen, ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Partei", findet auch Sigmund. Doch eben dieses Votum hatte das Landgericht Gera in seinem ersten Entscheid kassiert.
Vorwurf der Wahlfälschung
Einen der schwerwiegendsten Vorwürfe erhebt die AfD gegen das Kreistagsmitglied Jörg-Friedrich Gasda. Ihm wirft sie Wahlfälschung vor. Laut des Antrags auf Parteiausschluss soll er bei der Zusammenstellung der umstrittenen Liste am 21. Oktober in Zeigerheim den Wahlzettel für mindestens ein weiteres Parteimitglied ausgefüllt und abgegeben haben. "Dafür haben wir Zeugen", sagte AfD-Kreissprecherin Verena Sigmund MDR THÜRINGEN.
Als weiteren Beleg führt die AfD eine Sprachnachricht von Gasdas Ehefrau an Verena Sigmund an. Daniella Gasda soll Sigmund darin erklärt haben, dass ihr Mann einem Parteimitglied mit "Schwerbeschädigtenausweis" (sic), das "nichts sieht", bei der Stimmabgabe geholfen haben. Laut Sigmund gebe es aber kein blindes oder sehbeeinträchtigtes Parteimitglied.
Jörg-Friedrich Gasda widerspricht dieser Darstellung. Er habe weder zwei Stimmen abgegeben noch einem Parteimitglied geholfen. "Die Wahlkommission ist mit der Wahlurne in der Hand herumgegangen und hat uns die Zettel einwerfen lassen. Da wäre sofort aufgefallen, wenn ich zwei Zettel eingeworfen hätte." Die Sprachnachricht räumte er ein, erklärte aber, dass seine Frau an diesem Tage krank und verwirrt gewesen sei. Er habe sie am selben Abend noch ins Krankenhaus bringen müssen. "Meine Frau hat da Sachen gesagt, die so nicht richtig waren."
Fall wird die Gerichte weiter beschäftigen
Die gegenseitigen Anwürfe werden - so viel ist schon jetzt klar - auch weiterhin die Gerichte beschäftigen. Zumindest Jörg-Friedrich Gasda und Karlheinz Frosch sind nicht bereit, sich "wie ein geprügelter Hund vom Hof jagen zu lassen". Und während Frosch erklärt, weitere rechtliche Schritte gegen die eigene Partei zu prüfen, scheint die AfD Thüringen mit aller Macht unliebsame Mitglieder aus dem Kreisverband loswerden zu wollen.
Darüber hinaus könnten die beiden Listen auch ein kommunalpolitisches Nachspiel haben. Es ist gut möglich, dass die Wahl im Nachhinein angefochten wird und dann ein Gericht darüber entscheiden muss, ob die doppelte AfD-Liste überhaupt zulässig war. Im Extremfall könnte der AfD-interne Machtstreit dann dazu führen, dass die Kommunalwahl im Landkreis wiederholt werden muss.
MDR (maf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 12. Mai 2024 | 22:00 Uhr
Anita L. vor 23 Wochen
"Sage einem aus dem Osten nie, was er nicht wählen soll, denn dann wählt der genau das!"
Sie wissen schon, dass Sie damit "einem aus dem Osten" ein verdammt schlechtes Zeugnis ausstellen?
Der Sohn unserer Nachbarn ist als kleines Kind auch immer auf die Straße gerannt, obwohl ihm die Eltern gesagt haben: Tu das nicht! Zum Glück für ihn ist nie etwas passiert... Einem Kind kann man ein solches Verhalten noch nachsehen...
Anita L. vor 23 Wochen
Inzwischen fordern Thüringer AfD-Mitglieder ein Ausschlussverfahren gegen Herrn Höcke. Die Vorlagen für die nächste Szene dieser Sitcom ist somit gestellt. Also Popcorn nicht vergessen!
Harka2 vor 23 Wochen
Schlimmer noch: als er sich hätte zur Wahl stellen können, hat er es nicht getan, denn dazu hätte es etwas Mut gebraucht. Die Wahl sollte deshalb so lange wiederholt werden, bis die richtigen Kandidaten gewählt würden. Das lässt tief blicken, wie weit das Demokratieverständnis der Familie und der AfD-Oberen wirklich geht.