Silhouetten vor einer untergehenden Sonne
In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der Kinder in Vollzeitpflege um rund 450 auf 2.207 Kinder (Symbolbild). Bildrechte: picture alliance / dpa | Christian Charisius

Kinderschutz Immer mehr Kinder in Pflegefamilien - Plätze dringend gesucht

21. Mai 2023, 13:57 Uhr

Sind Eltern sehr krank, mit der Erziehung stark überfordert oder gewalttätig, können ihre Kinder in Pflegefamilien aufgenommen werden. Doch die Nachfrage übersteigt inzwischen die Zahl der freien Plätze bei Weitem. Und der Bedarf wächst.

Immer mehr Kinder werden in Thüringen in Pflegefamilien betreut. Ihre Zahl habe sich in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich erhöht, hieß es aus dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport.

Die Zahl stieg demnach um rund 450 auf 2.207 Kinder, die in Pflegefamilien aufgenommen wurden. Dabei geht es um Kinder in Vollzeitpflege, die also befristet oder dauerhaft in einer anderen Familie leben. Nicht dazu zählen Kinder, die kurzfristig in Not waren und vorübergehend in Obhut genommen werden mussten.

Die Wörter Papa, Mama und Kind liegen aus einzelnen Buchstaben auf einer Unterlage.
Dass es in Thüringen an Pflegefamilien mangelt, könnte laut Behörden auch daran liegen, dass die Anforderungen zur Aufnahme von Pflegekindern hoch erscheinen (Symbolbild). Bildrechte: picture alliance / dpa | Jens Kalaene

Gerade jüngere Kinder werden vermittelt

Die für das Thema zuständigen Jugendämter der Kommunen spiegeln den Angaben zufolge, dass es gerade für junge Kinder zu wenige Pflegefamilien gebe. "Insbesondere fehlen Bereitschaftspflegestellen, also solche Familien, welche Kinder im akuten Notfall ad hoc aufnehmen", sagte eine Ministeriumssprecherin.

In solchen Familien bleiben die Kinder, bis sich geklärt hat, wie es für sie künftig weitergeht - etwa ob sie länger in eine Pflegefamilie oder in ein Kinderheim kommen. Gerade jüngere Kinder würden in Pflegefamilien vermittelt, so die Sprecherin. Den Kleinen solle so Bindung, Geborgenheit, Vertrauen und weitestgehend ein Zuhause ermöglicht werden.

Den Mangel an Pflegefamilien führt das Ministerium unter anderem darauf zurück, dass Interessenten die Anforderungen zu hoch und die Umstände zu ungünstig erschienen. Interessierte durchlaufen demnach einen meist mehrmonatigen Prozess, bei dem ihre Eignung geprüft wird. Dazu gehören viele Unterlagen, Gespräche, Besuche der zuständigen Stellen und Schulungen für die möglichen Pflegeeltern.

Es werden immer weniger Menschen, die bereit sind für diese Aufgabe.

Vera Schade Vorsitzende des Landesverbandes der Pflege- und Adoptivfamilien

Auch beim Landesverband der Pflege- und Adoptivfamilien Thüringen heißt es, dass die Nachfrage an Pflegefamilien nicht gedeckt werden könne. "Es werden immer weniger Menschen, die bereit sind für diese Aufgabe", sagt die Verbandsvorsitzende Vera Schade.

Aber auch sie kennt die Aspekte, die abschrecken. "Hat man selbst junge Kinder und ist berufstätig, ist es erst recht herausfordernd, so eine Aufgabe zu übernehmen." Zumal es sich häufig um Kinder handle, die viele negative Dinge erlebt hätten und damit belastet seien.

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Pauschalbeträge für Pflegeeltern gestiegen

Einiges habe sich verbessert. So seien Pauschalbeträge, die Pflegeeltern erhielten, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Dennoch müsse mehr passieren, damit die Aufgabe attraktiver werde.

So plädiert Schade dafür, dass eine Art Elternzeit - mit bezahlter Auszeit vom Job - für Pflegeeltern möglich sei, wenn ein Kind neu in die Familie komme. Auch müssten Jugendämter, die die Pflegefamilien unterstützten und kontrollierten, besser ausgestattet werden. "Aber auch hier merkt man den Fachkräftemangel", so Schade.

Dabei sei bei einem 24-Stunden-Job wie dem von Pflegeeltern jede Entlastung wichtig. Bei allen Mühen gebe es aber auch Positives: "Es ist spannend mit den Kindern, die Welt aus ihrer Perspektive zu erleben, sie sind die besten Lehrer - und es gibt viel Lachen, aber eben auch Tränen."

MDR (sth/dpa/co)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 21. Mai 2023 | 12:00 Uhr

16 Kommentare

schwester65 vor 50 Wochen

Es ist traurig, daß Menschen sofort Angst haben, beim Ansprechen dieser Entwicklung in die rechte Ecke gestellt zu werden. Die Frage ist doch, wie kann hier zum Wohle der Kinder agiert werden und wie kann aus gemachten Fehlern der Vergangenheit gelernt werden? Es ist doch definitiv keine Option, so weiterzumachen. Die Plätze in Pflegefamilien fehlen und vielleicht wäre es in dem Zusammenhang auch interessant, wie es bereits jetzt in den Kinder- und Jugendpsychiatrien aussieht.
Was soll ohne Gegensteuerung aus den Kindern werden, gerade dann, wenn sie womöglich zu spät aus den Familien herauskommen und sie bereits eine gewisse Prägung an dieses Milieu von Verwahrlosung und Gewalt erfahren haben. Erzieher, Lehrer und Sozialarbeiter fehlen überall und können wahrscheinlich oft nur noch resignieren, weil sie auf verlorenem Posten kämpfen. Hier geht es auch nicht um Zwangssterilisation, aber der Staat kann halt nicht einfach seine Verantwortung mit der Zahlung des Kindergeldes beenden.

Maria A. vor 50 Wochen

Dazu müsste MDR die Angaben der anderen Bundesländer recherchieren.
Ja, selbstverständlich kommt der Staat in die Pflicht, wenn sich bei erhöhtem Bedarf nicht weitere Willige zu finden sind oder generell die Zahl der Freiwilligen schrumpft. Im konkreten Fall obliegt dem Staat ja bereits die Finanzierung. Finden sich keine Pflegefamilien, liegt aber Kindeswohlgefährdung vor, hat eine Heimunterbringung zu erfolgen.

WegWeiser vor 50 Wochen

Grundsätzlich sind die Kosten für eine Heimunterbringung derart gestiegen, dass die Jugendämter hier zuvorderst die Pflegefamilien bevorzugen. Daher rührt auch der Anstieg der Fälle.

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