Inklusion Wie in Eisenach Theater für Blinde und Sehbehinderte erlebbar wird
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20. April 2024, 18:00 Uhr
Wer nicht sehen kann, was geschieht, wird einen Theaterbesuch kaum genießen können. Dort kommt es nicht sonderlich gut an, sich vom Nachbarn erzählen zu lassen, was gerade vor sich geht. Genau das aber passiert bei der Audiodeskription - allerdings wird die Hörbeschreibung per Funk auf einen Kopfhörer geschickt - und der Erzähler sitzt gut vorbereitet in einer Sprecherkabine. Am Landestheater Eisenach wird das jetzt ausprobiert.
"Es ist auf jeden Fall eine Bereicherung", freuen sich Johanna Lang und Silke Aepfler vom Blinden- und Sehbehindertenverband auf das neue Angebot des Landestheaters Eisenach. Beide haben vor vielen Jahren in Weimar eine Oper mit Audiodeskription erlebt und erinnern sich sehr gern daran.
Jetzt soll das erstmals bei einem Schauspiel an einem Thüringer Theater angeboten werden, bei zwei Aufführungen der Komödie "Frau Müller muss weg" in Eisenach. Möglich machen es kleine technische Geräte mit Kopfhörer, ähnlich wie ein Audioguide - und ein Live-Sprecher.
Audiodeskription - das heißt, sagt Johanna Lang, die Eisenacher Kreisvorsitzenden des Verbands, "ich erfahre, was auf der Bühne passiert, wenn nicht gesprochen wird". Für Fernsehen und Kino nutzt Silke Aepfler das schon seit Jahren. "Ich kann alles mitverfolgen und weiß genau, wer ist wer, was macht der gerade."
Einst war sie eine "große Theatergängerin", erzählt sie, bis sie das Geschehen auf der Bühne nicht mehr erkannt habe. "Nun freue ich mich umso mehr, dass das wieder geht und hoffe, dass das ganz viele Theaterhäuser aufgreifen."
"Theater muss inklusiv sein"
"Theater als öffentlicher Raum muss inklusiv sein, sich öffnen für Menschen", beschreibt Chefdramaturg Moritz von Schurer das Ziel. Er hat selbst schon solche Hörbeschreibungen erarbeitet.
Nach einer Anfrage des Verbandes brachte er schnell Partner und Förderer zusammen. Bei den Finanziers, dem Freundeskreis des Theaters, der Wartburgsparkasse und der Peter-Mädler-Stiftung stieß er auf offene Ohren, der Veranstalter "Hörmal Audiodeskription" aus Leipzig sagte zu, das Vorhaben noch in dieser Spielzeit umzusetzen.
"Wir schaffen kein neues Ereignis, sondern geben Hilfestellung zu einem gegebenen Ereignis", sagt Florian Eib von Hörmal Audiodeskription. Das kann ein Fußballspiel sein - alle deutschen Bundesligaklubs bieten diesen Service nach seinen Angaben an. Unlängst wurde in Erfurt die Show "Holiday on Ice" per Audiodeskription blinden und sehbehinderten Menschen in Bildbeschreibungen übersetzt, eine Herausforderung.
Sprechpausen nutzen und improvisieren
Beim Theater ist es etwas anders. Da haben die Schauspieler auf der Bühne absolute Priorität. Wenn sie reden, muss der Bildbeschreiber schweigen. Nur die Sprechpausen werden genutzt, um das Geschehen auf der Bühne zu schildern. Da braucht es eine genaue Vorbereitung.
Gemeinsam mit einem nicht-sehenden Partner wird das Textbuch erarbeitet. Was ist wichtig, was nicht? Gleichzeitig muss der Beschreibende improvisieren können, spontan vom Textbuch abweichen, wenn ein Schauspieler beispielsweise Text vergisst oder das Bühnenbild nicht funktioniert wie geplant.
Auch die Besucher werden vorbereitet, sagt Moritz von Schurer. Für sie wird es in Eisenach eine Stunde vor der Aufführung eine "Tastführung" geben. Dabei besuchen die blinden und sehbehinderten Gäste die Bühne, können sie ablaufen, um die Größe zu erahnen, dürfen Bühnenbild, Requisiten und Kostüme anfassen und Fragen stellen.
Außerdem gibt es ein akustisches Programmheft, sagt Florian Eib. Wie in einem Radiobeitrag wird in das Stück eingeführt, werden die Stimmen der Schauspielenden vorgestellt.
Initialzündung für andere Theater?
Das Landestheater Eisenach ist das erste in Thüringen, das eine solche Audiodeskription zu einem Schauspiel anbietet. Intendant Jens Neundorff von Enzberg spricht von einem "neuen Weg". Er hofft, dass das eine Initialzündung wird und Inklusion stärker Eingang findet in der Theaterwelt.
"Das fängt schon an mit dem älter werdenden Publikum, dem es schwerer fällt, alte Bauten zu erklimmen." Juliane Stückrad vom Verein der Freunde und Förderer des Landestheaters könnte sich als nächste Aktion den Einsatz eines Gebärden-Dolmetschers vorstellen.
Nicole Briechle, die Beauftragte des Wartburgkreises für Menschen mit Behinderungen, begrüßt die Aktion des Theaters. Immerhin, sagt sie, lebt jeder fünfte Mensch im Wartburgkreis mit einer Behinderung. "Große Freude, dass der Bedarf der Menschen hier im Kreis direkt von der Institution gesehen wird - das ist super."
Ohnehin stand das Thema Audiodeskription bereits in ihrem Inklusionsplan, wo es darum geht, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Man dürfe, sagte sie, Menschen mit Behinderungen nicht mehr behindern.
Komödie "Frau Müller muss weg" am Landestheater Eisenach Am Landestheater Eisenach wird die Komödie "Frau Müller muss weg" am Sonntag, 28. April, 18 Uhr, und am Samstag, 15. Juni, 19:30 Uhr, von einer Audiodeskription und einer Tastführung (eine Stunde vorher) begleitet. Der Ticketpreis für Gäste mit ausgewiesener Sehbehinderung beträgt 16,80 Euro inklusive Begleitperson. Audiogeräte und Kopfhörer gibt es vor Ort, Kopfhörer (Miniklinke-Anschluss) können mitgebracht werden. Die Tastführung ist kostenlos. Ticketbestellungen unter veranstaltungen@hoermal-audio.org oder telefonisch: 0341 / 33 20 88 60 (bei Anrufen in das deutsche Festnetz können Kosten anfallen).
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Samstagnachmittag | 20. April 2024 | 14:42 Uhr