Windkraftanlage in einem Waldgebiet. Der obere Teil der Anlage ist durch Baumkronen hindurch zu sehen.
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Fragen und Antworten Neues Thüringer Waldgesetz: Nicht nur Windräder sind betroffen

18. Februar 2024, 06:58 Uhr

Windräder im Allgemeinen und Windräder in Wäldern im Besonderen sind ein hochumstrittenes Thema. An einigen Standorten kämpfen seit Jahren Bürgerinitiativen gegen geplante Windräder. Auch die Thüringer Politik kämpft seit Jahren mit dem Thema. Ende 2023 hat der Landtag ein neu gefasstes Waldgesetz beschlossen. Das war bis zuletzt umstritten. Wir beantworten dazu wichtige Fragen.

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Was regelt die Neuerung des Thüringer Waldgesetzes genau?

Das Thüringer Waldgesetz wird an drei Stellen wesentlich verändert.

  • Zum Ersten wird die Definition von Wald ausgedehnt. Neben dem Wald selbst, Waldwegen, Wiesen und anderen Flächen, die klar dazu gehören, erweitert das Gesetz den Begriff und bezieht kahlgeschlagene oder verlichtete Grundflächen ausdrücklich mit ein.
  • Zum Zweiten sollen bei Änderungen der Nutzungsart des Waldes Aufforstungen stärker in den Fokus rücken und es soll stärker geprüft werden, ob für die fragliche Nutzung nicht andere Flächen besser in Betracht kommen.
  • Zum Dritten verbietet das neue Gesetz die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für Ausgleichsmaßnahmen. Denn wer im Wald etwas baut, muss Ausgleich schaffen - ob es um Windräder oder Straßen geht. Für diesen Ausgleich sind Felder oder Grünland nun ausgeschlossen - zumindest in Thüringen.

Welches Ziel haben die Neuregelungen?

Für die Neufassung haben CDU, FDP und AfD und fraktionslose Abgeordnete gestimmt. Sie haben in der Landtagsdebatte deutlich gemacht, dass es ihnen in erster Linie darum geht, dass in Thüringen keine Windräder im Wald gebaut werden, keine Bäume dafür geschlagen werden sollen und auch geschädigte Flächen dafür nicht zur Verfügung stehen sollen.

Das findet sich auch in den Vorbemerkungen, im Gesetzestext selbst allerdings nicht. Denn da hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2022 gesagt: Bezüglich einer bestimmten Technologie darf Thüringen das nicht regeln, weil es unter Bodenrecht fällt. Darüber darf nur der Bundestag Regelungen treffen. Die Gesetzesänderung zielt jetzt darauf ab, den Bau von Windenergieanlagen in den Wäldern stark zu erschweren.

Rot-Rot-Grün äußerte im Vorfeld verfassungsrechtliche Bedenken, ob das Land auch beim neuen Gesetz überhaupt zuständig sei. Der Landtag hatte die Gesetzesänderung aber schon mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD beschlossen, bevor der wissenschaftliche Dienst des Landtags die Ergebnisse der Prüfung überhaupt vorgelegt hatte. Landtagspräsidentin Birgit Pommer zögerte deshalb die Ausfertigung des Gesetzes bis zum Abschluss der Prüfung hinaus. Es soll nun im nächsten Gesetz- und Verordnungsblatt am 22. Februar 2024 verkündet werden.

Welche Auswirkungen hat die Neuregelung?

Vier Windräder im Wald gibt es in Thüringen. Nach Angaben der Thüringer Energie- und Greentech-Agentur sind es im Saale-Orla-Kreis zwei bei Gefell und eines in Triptis sowie eines in Auma-Weidatal im Kreis Greiz. Derzeit laufen einige Genehmigungsverfahren für neue Windräder, zum Beispiel bei Sankt Gangloff am Hermsdorfer Kreuz. Auch hier wäre eine Waldfläche betroffen - seit Jahren protestieren Bürgerinitiativen gegen die Pläne.

Die Servicestelle Windenergie bei der Agentur erwartet einen deutlich steigenden Prüfungsaufwand. Die Verfahren werden also wohl länger dauern als jetzt. Projekte würden aber wohl nicht immer verhindert. Für neue Windräder im Wald werde es schwierig, wenn auch nicht unmöglich. Mehrere Juristen, die sich mit Energierecht befassen, zweifeln die Regelung zumindest an. Auch weil das Gesetz seine Wirkung nicht auf den Wald beschränkt, sondern mittelbar auch die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen beschränkt - die als Ausgleich nicht mehr aufgeforstet werden dürfen.

"Die Norm ist in Teilen unklar, die Anwendung wird schwierig werden", sagt Christoph Rheinschmitt, der sich am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung um Umwelt- und Planungsrecht kümmert und zu planungsrechtlichen Grundlagen der Windenergienutzung an Land promoviert. Und während Felder oder Grünland nicht als Ausgleichsflächen aufgeforstet werden dürfen, ist eine Umnutzung genau dieser landwirtschaftlichen Flächen für Windkraft weiterhin erlaubt.

Helga Jakobi von der Rechtsanwaltsgesellschaft "prometheus" aus Leipzig, die unter anderem Windkraft-Projekte betreuen, geht davon aus, dass Projekte scheitern, wenn erhebliche Teile potenzieller Ausgleichsflächen von vornherein wegfallen. Allerdings sei die Regelung mit den landwirtschaftlichen Flächen als "Soll-Regelung" formuliert. Das könne ein Türöffner für Einzelfälle sein. Genau könne das aber ohne praktische Erfahrungen mit dem neuen Gesetz nicht gesagt werden.

Weil das Gesetz tunlichst vermeidet, ausdrücklich von Windrädern zu sprechen, sondern sich generell auf die Nutzung von Waldflächen bezieht, wirkt es sich wohl auch auf andere Vorhaben aus. Das Landesamt für Bau und Verkehr erwartet auch Auswirkungen auf den Bau von Straßen, Gewerbegebieten, Siedlungen, aber auch Stromleitungen oder Eisenbahnlinien. "Bei Vorhaben, die sich noch in einer früheren Phase der Planung befinden und für die Waldflächen in Anspruch genommen werden müssten, kann es durchaus sein, dass Ausgleichs- und Ersatz-Flächen nicht mehr oder nicht mehr vollständig zur Verfügung stehen werden. Damit würde die ohnehin nicht einfache Suche nach Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen entsprechend erschwert", heißt es aus dem Amt auf Anfrage von MDR THÜRINGEN.

Welche Alternativen werden für den Windkraft-Ausbau aufgezeigt?

Der CDU-Abgeordnete Marcus Malsch etwa hatte in der Landtagsdebatte vor dem Beschluss gesagt, der Freistaat müsse erst einmal andere Möglichkeiten ausschöpfen, um die Windkraft voranzubringen. Der Freistaat sei Schlusslicht beim sogenannten Repowering - also der Aufwertung bestehender Windkraftstandorte mit leistungsstärkeren Windrädern. So könnte die Gesamtleistung der Windkraft in Thüringen steigen, ohne dass neue Flächen dafür genutzt werden müssen. Dass Thüringen hier Schlusslicht sei, bestreitet jedoch die Thüringer Energie- und Greentech-Agentur (Thega).

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Der CDU-Abgeordnete Marcus Malsch Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Die Stadtstaaten Berlin, Bremen, Hamburg und Berlin liegen nach deren Daten im Jahr 2023 hinter Thüringen, genau wie der Freistaat Bayern und Baden-Württemberg. In Thüringen sind aber trotzdem nur drei Standorte mit zwölf Megawatt Leistung erneuert worden. Den Spitzenwert verbucht Schleswig-Holstein mit 87 Anlagen, danach folgt Nordrhein-Westfalen mit 52. In Thüringen sind die drei Anlagen trotzdem für etwa ein Drittel der neu installierten Leistung verantwortlich.

Wie handeln andere deutsche Bundesländer?

Nach Angaben des Leipziger Forschers Christoph Rheinschmitt reagieren die meisten Bundesländer mit ihrer Gesetzgebung eher positiv auf die Anforderungen des Bundes, mehr Flächen für Windkraft auszuweisen. Sachsen und Bayern setzten auf Regelungen mit Mindestabstand zu Siedlungen, wie die sogenannte 10H-Regelung. Sie besagt, dass Windräder zehnmal so weit von der nächsten Siedlung entfernt sein müssen, wie sie hoch sind. Es gebe natürlich auch Bundesländer, in denen Waldflächen gar nicht genutzt werden müssen, etwa in Schleswig-Holstein.

Der Anteil der Waldflächen ist dort aber deutlich niedriger als in Thüringen. Interessanterweise verfolgen Parteien in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Kurse. Der CDU-Forstminister von Sachsen-Anhalt etwa hatte noch im Januar gesagt, man wolle Klagen gegen die eigenen Gesetze vermeiden. In Einzelfällen könnten deshalb durchaus vom Borkenkäfer oder Stürmen zerstörte Flächen für Windräder genutzt werden. Grüne Wälder aber sollten ausdrücklich nicht abgeholzt werden.

Eine Alternative für den Schutz der Wälder ist nach Angaben von Christoph Rheinschmitt, einfach mehr Schutzgebiete auszuweisen. "Dafür gibt es zahlreiche Instrumente im Landeswaldgesetz und im Bundesnaturschutzgesetz."

Gibt es Bedarf für Strom von Windrädern im Wald?

Einige Unternehmen, besonders in Südthüringen, wollen damit ihre Stromversorgung unabhängiger und günstiger machen. Heinz Glas etwa an der Grenze zwischen Bayern und Thüringen setzt auf eine solche Lösung mit mehreren Windrädern. Teilweise sollen bei den Vorhaben in manchen Fällen auch öffentliche Stromnetze umgangen werden, um die teuren Netzentgelte für den erzeugten Strom zu vermeiden. Auch Papierhersteller und Unternehmen aus der Automobilzuliefererbranche haben nach Angaben von Branchenverbänden Interesse an eigener Stromerzeugung. Solche Vorhaben dürften jetzt erschwert werden.

Die Bundesregierung will ab 2035 Strom in Deutschland fast vollständig durch erneuerbare Energien erzeugen lassen. Sie gibt vor, dass in Thüringen und anderen Bundesländern 2,2 Prozent der Landesfläche für Windkraft zur Verfügung stehen sollen. Für Ende 2026 sieht das Regelwerk ein Zwischenziel von 1,4 Prozent der Bundesfläche vor. Bisher sind in Thüringen 0,4 Prozent ausgewiesen. Faktisch genutzt werden zumeist wegen Widerstands betroffener Anwohner noch weniger. Denn beliebt sind die Windräder bei Anliegern fast nie.

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MDR (flog/sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 07. Februar 2024 | 19:00 Uhr

44 Kommentare

Eddi58 vor 10 Wochen

@oleg 40
"Dann nennen sie mir bitte die diversen Möglichkeiten, da sitzt einer auf dem Flügel und Jagd die Milane weg . Bitte Fakten, danke."

@astrodon und @martin waren schneller...
Sie wollten die Debatte sicher mit ein wenig Humor auflockern? Oder war Ihre Frage tatsächlich ernst gemeint?

martin vor 10 Wochen

@oleg40: Einen Teil der Antwort hat "astrodon" bereits geschrieben. Hinzu kommt, dass gerade Milane die Windräder eher um- oder durchfliegen. Es reicht also meist schon aus, die Flügel aus dem Wind zu drehen, damit sie langsamer laufen. Und das schafft eine WKA in wenigen Sekunden.

Einzig wenn Brutplätze in geringer Nähe sind, bleibt es für die Jungvögel ein Risiko. Aber so viele Brutplätze von Milanen haben wir in Thüringen leider gar nicht mehr.

martin vor 10 Wochen

@steffen b: Vielleicht findet die Diskussion über SF6 nicht statt, weil das kein Windrad-Thema ist. Das - in der Tat sehr klimaschädliche - Gas findet sich in sehr vielen / fast allen Hoch- und Mittelspannungsschaltern - entweicht dort aber nicht. Das meiste entwichene SF6 stammt aus alter Wärmeschutzverglasung, die in den meisten Fällen bzgl. SF6 nicht ordentlich entsorgt werden. Wobei die meisten Gebäudeeigentümer werden gar nicht wissen, dass sie SF6 zwischen den Scheiben haben ...

Die Netzstabilität hängt nicht von der Generatorengröße ab. Auch Großturbinen sinkt auf eine "Taktgebung" angewiesen (Stichwort auch "Schwarzstartfähigkeit"). Früher war die Regelung auch nicht trivial, da man zwar weniger Schwankungen in der Erzeugung hatte, aber durchaus deutliche Schwankungen bei den Verbrauchern. Da WKA sehr gut regelbar sind, können sie diese Aufgabe gut übernehmen - im Gegensatz zu AKW oder Kohlekraftwerke, die eigentlich nur Grundlast vernünftig können.

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