Diskussion in Polen Wie deutsche Schrift an Häusern in Polen die Gemüter erhitzt
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08. November 2024, 18:49 Uhr
In Polen stoßen Passanten immer wieder auf deutsche Schriftzüge an Häuserfassaden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Spuren deutschen Lebens systematisch entfernt. In den vergangenen Jahren allerdings wurden viele davon in schlesischen Städten erneuert. Von Manchen werden sie dort als ein Stück Geschichte geschätzt. Bei Anderen stoßen sie auf Widerstand.
Über dem Geschäft von Karolina Jakoweńko und Monika Urzoń prangt groß der Schriftzug "Bäckerei und Konditorei". Drinnen gibt es allerdings Mode. Der Schriftzug über dem Schaufenster kam hinter dem Plastikschild des Vorgängergeschäfts zum Vorschein, als die beiden Designerinnen vor sechs Jahren ihren Modeladen in der Innenstadt von Beuthen (polnisch: Bytom) eröffneten. In der oberschlesischen Stadt, die bis 1945 zum Deutschen Reich gehörte, ist das nichts Ungewöhnliches: Ein Stück vom Laden entfernt informiert an einem Gründerzeithaus eine Inschrift, dass sich in dem Laden im Erdgeschoss eine "Elektrische Drehrolle" befände, mit der man Wäsche glätten kann. Etwa 150 Meter weiter liest man an einer frisch gestrichenen Fassade "Butter – Eier – Käse – Sahne".
Deutscher Schriftzug als Markenzeichen
Designerin Jakoweńko sagt, für sie und ihre Geschäftspartnerin war die Schrift über dem Schaufenster eine schöne Überraschung. "Wir entdeckten ein Überbleibsel aus der Zeit des deutschen Beuthen, das für uns zu einer Inspiration wurde. Wir dachten uns, das ist doch eine Art 'Genius Loci'. Wenn wir schon so etwas Einmaliges haben, dann sollten wir das auch nutzen. Und so beschlossen wir, unsere Firma 'Bäckerei' zu nennen".
Die beiden Frauen ließen das historische deutsche Schild restaurieren und die Reaktionen darauf fielen recht unterschiedlich aus: "Viele Einwohner waren begeistert, dass das alte Schild mehrere Jahrzehnte in einem relativ guten Zustand überdauert hat", erinnert sich Jakoweńko. "Manche haben sich gewundert, Andere demonstrierten wiederum ihre Unzufriedenheit, dass wir an eine Vergangenheit erinnern, die sie lieber vergessen möchten. Wir dagegen wollen sie auf keinen Fall vergessen", so die Unternehmerin.
Deutsche Spuren in Polen lange unerwünscht
Mehr als vier Jahrzehnte lang kämpften die Behörden der kommunistisch geführten Volksrepublik Polen mit großem Eifer gegen jegliche Spuren deutscher Präsenz. Der Kampf war nicht leicht, denn das Land bestand nach den Grenzen, auf die sich 1945 die Siegermächte geeinigt hatten, fast zu einem Drittel aus ehemaligen Provinzen des Deutschen Reiches. Direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatten viele Polen die lange und brutale deutsche Besatzung noch frisch in Erinnerung und wollten aus nachvollziehbaren Gründen im öffentlichen Raum tatsächlich nicht mit deutschen Relikten konfrontiert werden.
Mit der Zeit erschien aber die von den kommunistischen Behörden betriebene sogenannte "Entdeutschungsaktion" als immer kuriosere Maßnahme. Ihr fielen auch Wegweiser, Ladenschilder und sogar einfache Informationstafeln wie "Rauchen verboten" zum Opfer. Dennoch zielte sie darauf ab, jeglichen Zweifel am angeblich "ewig polnischen" Charakter der neu angegliederten Gebiete zu zerstreuen.
Seit den frühen 1980er Jahren konnte man vor allem in den weniger noblen Gegenden der schlesischen Städte unter bröckelndem Putz immer häufiger alte deutsche Schriftzüge entdecken. Von deren Restaurierung durfte damals allerdings noch keine Rede sein. Erst in den Jahrzehnten nach der Wende stellten einige Polen im Westen und Norden des Landes fest, dass die deutsche Vergangenheit im Grunde auch Teil ihres eigenen Erbes ist.
Deutscher Schriftzug: Fotomagnet in Gleiwitz
Im knapp 20 Kilometer von Beuthen entfernten Gleiwitz (polnisch: Gliwice) überrascht Reisende, die mit dem Zug in die Stadt kommen, auch ein deutscher Schriftzug. In direkter Nähe des Bahnhofs prangt an einem Wohnhaus der vor wenigen Jahren erneuerte deutsche Schriftzug "Möbel und Waren-Credit-Haus". "Der Putz bröckelte seit Langem, so dass alle Einwohner wussten, dass an der Fassade eine alte Inschrift ist. Und obwohl wir unterschiedliche politische Ansichten haben, waren wir uns einig, dass sie bei der Sanierung unseres Hauses erhalten bleiben musste", sagt Sebastian Borecki.
Architekt Borecki wohnt in Gleiwitz, hat die Erneuerung des Schriftzuges mitinitiiert und verzeichnet zumeist positive Reaktionen darauf. Er selbst findet, die deutsche Inschrift gebe dem architektonisch gesehen eher uninteressanten Haus seinen Charakter. "Der Schriftzug macht auf das Haus aufmerksam. Viele Passanten machen Fotos." Manchmal beobachtet Borecki überrascht, dass sogar stündlich jemand stehen bleibt und das Haus fotografiert. "Kritische Stimmen gab es aber auch. Zum Beispiel regte sich bei der Abnahme ein Mann von einer Behörde sehr über die Inschrift auf. Solche Reaktionen sind aber wirklich selten", sagt der Architekt.
Grenze überschritten? Deutsche Aufschrift an einem ehemaligen Bahnhof
Zumindest ein Teil der polnischen Bevölkerung will die optischen Relikte deutscher Vergangenheit nicht akzeptieren. Das zeigt der Fall des niederschlesischen Dorfes Ober-Schmottseiffen (polnisch: Pławna Górna). Dort wurde vor Kurzem der ehemalige Bahnhof saniert, in dem heute das Gemeinschaftshaus untergebracht ist. Über der Eingangstür hat man die Inschrift mit der deutschen Variante des Ortsnamens wiederhergestellt.
Erst als die Inschrift erneuert wurde, ließen sich viele kritische Stimmen vernehmen. Manche Einwohner haben sich gefragt, ob hier noch Polen sei.
"Den originalen deutschen Schriftzug konnte man bereits vor der Sanierung sehen, er fiel aber nicht auf und verursachte keine großen Kontroversen", berichtet Stanisław Jakubowski, Dorfvorsteher in dem Nachbarort Nieder-Schmottseiffen (polnisch: Pławna Dolna), der das ehemalige Bahnhofsgebäude mitverwaltet. "Erst als die Inschrift erneuert wurde, ließen sich viele kritische Stimmen vernehmen. Manche Einwohner haben sich gefragt, ob hier noch Polen sei", argumentiert Jakubowski. Er findet auch, dass der deutsche Ortsname hier, etwa 50 Kilometer östlich von Görlitz, nicht so sehr hervorgehoben werden sollte. Schließlich war der Druck der Kritiker so groß, dass der Gemeinderat beschloss, die deutsche Aufschrift durch eine Tafel mit dem polnischen Schriftzug "Gemeinschaftshaus des Dorfes Pławna" zu überdecken.
Keine Einwände gegen die Erinnerung an den historischen Namen, den der Ort ja sieben Jahrhunderte lang trug, hat wiederum Jakubowskis Amtskollege aus Ober-Schmottseiffen Marcjan Majer. Lange bemühte er sich um eine für alle einigermaßen akzeptable Lösung und hofft, sie nun endlich gefunden zu haben. Vor dem deutschen Schriftzug hängt jetzt zwar weiterhin eine polnischsprachige Tafel, aber die Entfernung zur Fassade ist so groß, dass man auch die deutsche Inschrift sehen kann. Außerdem wählte man für den polnischen Text eine Schriftart, die an alte deutsche Texte erinnert – die Frakturschrift. Ob diese Variante tatsächlich alle akzeptieren können, wird sich noch herausstellen, denn noch haben nicht alle Einwohner der beiden Zwillingsorte die neue Variante gesehen.
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 02. November 2024 | 07:22 Uhr