Covid-19 Rumänien: Orthodoxe Gottesdienste als Gefahr in Corona-Zeiten

17. September 2020, 05:00 Uhr

Rund 87 Prozent der Bevölkerung Rumäniens bekennen sich zur rumänisch-orthodoxen Kirche. Das Land gilt als eines der religiösesten in Europa. Und das erweist sich als großes Problem beim Kampf gegen die Corona-Pandemie - denn viele Menschen glauben, dass Beten mehr hilft als Hygieneregeln.

Wallfahrtsgottesdienst im Kloster "Die Geburt der Gottesmutter" in Hadâmbu
Dicht an dicht stehen die Gläubigen beim Gottesdient an, um hintereinander die "wundertätige" Ikone zu küssen - viele ohne Mundschutz. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Das Virus ist eine Strafe - damit beweist Gott seine Existenz", ist Vasile fest überzeugt. Der 70-Jährige lebt im Dorf Hadâmbu bei Iaşi, in einer ländlichen Region, die traditionell sehr religiös geprägt ist. Hier gibt es etliche Klöster, Kirchen, Wallfahrtswege und an ungefähr jeder dritten Straße steht eine so genannte "Troitsa" - eine kleine Kapelle am Wegesrand, die von der jeweiligen Gemeinde gepflegt wird.

Der Rumäne Vasile C. Jigolea vor einem Kreuz auf dem Wallfahrtsweg zum berühmten Hadâmbu-Kloster
Vasile ist sehr religiös. Er glaubt, dass das Coronavirus eine "Strafe Gottes" sei. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Vasile und seine Lebensgefährtin Lidia leben von ihren Renten, ihren Tieren und davon, was der Garten hergibt: Mais, Kartoffeln, Kürbisse, Tomaten - und selbstgebrannten Schnaps, den sie aus Pflaumen und Weintrauben brennen und dann und wann verkaufen.

"Wir trinken ihn nur zu den Feiertagen", erklärt Vasile verschmitzt - wohl wissend, dass die orthodoxen Christen nicht gerade wenige Feiertage zelebrieren. "Heute zum Beispiel gedenken wir der Geburt der Heiligen Jungfrau Maria, der Gottesmutter", sagt seine Freundin Lidia und nimmt einen kräftigen Schluck im schattigen Hinterhof.

Während Vasile das Corona-Virus ernst nimmt, hat Lidia keine Angst davor: "Ich trinke ein Glas Schnaps und gut ist es. Ich ziehe nie eine Maske an, wenn ich in die Kirche gehe." Auch Vasiles Cousine Elena hat sich an den Tisch dazugesellt. "Wir haben kein Vertrauen zur Maske", stimmt sie Lidia zu, "ein Gebet hilft viel mehr als eine Maske."

Gebet besser als Mundschutz

So genannte Troitza (Wegkreuz/Kapelle) im rumänischen Dorf Hadâmbu
Kleine Kapellen am Wegesrand zeugen von der Religiosität der Landbevölkerung. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

So denken viele Rumänen, vor allem in der Provinz. Und das ist ein Problem, denn religiöse Feste in Rumänien bieten dem Corona-Virus beste Verbreitungschancen. Zwar waren während des rumänischen Lockdowns im April und Mai Kirchen und Klöster geschlossen und Gottesdienste sollten nur unter freiem Himmel stattfinden, Mundschutz und Abstandsregeln inklusive, doch daran wurde sich nicht immer gehalten. So entstand der erste Corona-Herd des Landes auch infolge eines orthodoxen Feiertages, den Tausende Rumänen mit einer Wallfahrt begingen: Die Stadt Suceava wurde im April und Mai unter Quarantäne gestellt.

Wallfahrtsgottesdienst im Kloster "Die Geburt der Gottesmutter" in Hadâmbu
Polizisten überwachen in Gottesdiensten die Einhaltung der Maskenpflicht. Ein ausreichender Abstand kann aber nicht eingehalten werden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Seit dem Ende des Lockdowns ist das Problem nicht kleiner geworden, denn durch die Pandemie ist die Sehnsucht der gläubigen Rumänen nach religiösen Erlebnissen und geistlichem Beistand eher noch gewachsen. Immer wieder sind orthodoxe Feiertage Anlass Gottesdienste, bei denen sich Tausende an einem Ort versammeln - so auch am 8. September, an dem die Geburt der Jungfrau Maria gefeiert wird - ein Hochfest im altehrwürdigen Kloster Hadâmbu, das sich nur einen Kilometer von Vasiles Dorf entfernt befindet und eine "wundertätige" Gottesmutterikone besitzt.

Ein tödlicher Ikonen-Kuss

Wallfahrtsgottesdienst im Kloster "Die Geburt der Gottesmutter" in Hadâmbu
Mehrere Münder hintereinander küssen ohne Mundschutz die Ikone - der Priester kommt mit dem Desinfizieren nicht nach. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehrere hundert Menschen stehen während des zweistündigen Gottesdienstes im alten Klosterhof. Eineinhalb bis zwei Meter Abstand halten - unmöglich. Neuerdings sind zwar Polizisten bei solchen religiösen Festen anwesend - ihnen ist wohl zu verdanken, dass die meisten Gläubigen wenigstens eine Maske tragen, wenn auch längst nicht alle. Doch am Ende des Gottesdienstes wird der "Leib Christi" ausgeteilt - ein Stück Brot von Hand zu Hand an die Erwachsenen, an die Kinder ein Schluck Wein mit ein und demselben Löffel, ideale Bedingungen, um das Corona-Virus zu verbreiten. Doch bei diesem Ritual schreitet die Polizei nicht ein. Zu groß wäre wohl das Risiko, Ärger bei den Gläubigen zu provozieren und ihre religiösen Gefühle zu verletzen.

Wallfahrtsgottesdienst im Kloster "Die Geburt der Gottesmutter" in Hadâmbu
Die Kommunion wird von Hand ausgeteilt - eine ideale Verbreitungsmöglichkeit für das Coronavirus. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Weitere ein bis zwei Stunden stehen die Pilger relativ dicht gedrängt in einer langen Schlange, um die "wundertätige" Ikone zu küssen. Eigentlich soll auch dies nur noch mit Maske geschehen, doch für viele ist das keine Option. Der Priester, der daneben steht, gibt sich zwar leidlich Mühe, die Ikone regelmäßig zu desinfizieren, aber immer wieder berühren mehrere Münder hintereinander direkt die Ikone. Denn nur so, sind viele Gläubige überzeugt, können ihnen die heilenden Wunderkräfte der Ikone überhaupt zuteil werden.

Christen fühlen sich eingeschränkt

Viele Rumänen fühlen sich durch die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung in ihrem Glauben eingeschränkt - auch Vasile: "Unser Premierminister hat Gesetze gegen die Pandemie verordnet, aber unsere Religion schützt uns viel besser. In erster Linie hilft unser Gebet. Andernfalls wären wir sicher schon tot."

Reality-TV von der Corona-Station Rumänien verzeichnet derzeit einen rasanten Anstieg von Corona-Erkrankungen. Dennoch zweifeln viele Rumänen Umfragen zufolge an der Existenz des Virus. Eine Fernsehjournalistin will ihre Landsleute daher wachrütteln - mit einer Art "Reality-TV" von der Corona-Station - mit herzzerreißenden und schockierenden Szenen, mit Tränen, Erstickungsanfällen und plötzlichem Tod. Mehr dazu lesen Sie im zweiten Teil unserer Reportage am Freitag.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. September 2020 | 06:00 Uhr

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