Akademik Lomonossow Russlands schwimmendes AKW: Strompreise jenseits von Gut und Böse

05. September 2020, 07:28 Uhr

Vor einem Jahr war die "Akademik Lomonossow" – das erste schwimmende AKW der Welt – mit großem Pomp im nördlichen Hafen Murmansk in See gestochen. Seit Ende 2019 liefert es Strom in der entlegenen Region Tschukotka. Doch der ist extrem teuer. Um den Betrieb wirtschaftlich zu machen, bedarf es staatlicher Subventionen und einer höheren Auslastung.

Das Schiff Akademik Lomonossow im Hafen
Vor Anker: Die "Akademik Lomonossow" im Hafen von Pewek Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

Tschukotka im fernen Osten Russlands: Atemberaubende Landschaften jenseits des Polarkreises. Hier, auf einer Fläche doppelt so groß wie Deutschland, leben gerade einmal 50.000 Menschen. Die Ureinwohner treiben ihre Rentierherden auf die Weiden. Straßen gibt es kaum, und Transportunternehmen sind stolz darauf, wenn sie eine schwere Ladung über eine Entfernung von 600 Kilometern in 12 Tagen transportiert bekommen. Hier, in der  nordöstlichsten Region der Russischen Föderation, im kleinen Örtchen Pewek mit seinen rund 4.500 Einwohnern liegt die "Akademik Lomonossow" vor Anker. Es ist das erste schwimmende Atomkraftwerk der Welt, 144 Meter lang, 30 Meter breit und ausgestattet mit zwei Reaktoren, die zusammen 70 MW Leistung liefern. Fast zehn Jahre lang wurde es in der nördlichsten Großstadt Russlands, Murmanks, gebaut. Seit Dezember 2019 liefert es Strom und könnte problemlos die gesamte Region mit Energie versorgen. Doch wozu braucht eine so dünn besiedelte Region eigentlich so viel Energie?

Eine Herde Rentiere am See
Tschukotka im fernen Osten Russlands: Die Ureinwohner der Region bestreiten ihren Lebensunterhalt als Rentierzüchter Bildrechte: imago/Danita Delimont

Im Interesse der Bergbaukonzerne

Die Region Tschukotka lebt hauptsächlich vom Bergbau. Dabei wird vor allem Gold und Kupfer gefördert. Allein 2019 haben Bergbauunternehmen 24,5 Tonnen des gelben Edelmetalls aus der Erde geholt, das waren rund sieben Prozent der gesamten in Russland geförderten Goldmenge für das Jahr.

Eines der größten Kupfervorkommen der Welt, das Fördergebiet Peschachanka, hat sich im Januar 2019 der kasachische Bergbaukonzern KAZ-Minerals gesichert. Hier werden 23 Millionen Tonnen Kupfer und 2.000 Tonnen Gold vermutet. Das Kupfer ist für den Export nach China gedacht, das Reich der Mitte gilt als der größte Verbraucher des Halbedelmetalls weltweit. Dafür soll in der Tschaunbucht, 90 Kilometer südlich von Pewek, ein neuer Hafen sowie eine etwa 600 Kilometer lange Straße gebaut werden, die diesen mit den Kupferminen verbindet.

Ein Bergbautunnelfahrzeug steht in einem Stollen im russischen Chukotka.
Die Region Tschukotka lebt hauptsächlich vom Bergbau. Bildrechte: imago stock&people

Schädliche Konkurrenz

Der geplante Energiebedarf der Region ist also enorm. Da kommt das schwimmende AKW gerade recht. Es speist seinen Strom in das örtliche autonome Netz ein. Im Augenblick allerdings trägt die "Lomonossow" nur 20 Prozent zur Stomversorgung der Region bei. Und bleibt damit weit unter seinen Möglichkeiten. Denn noch produzieren auch ein Kohlekraftwerk und das AKW Bilibino Strom. Beide Anlagen stammen aus den 1970er-Jahren, sind stark veraltet und sollen erst 2023 vom Netz genommen werden. Die geringe Auslastung der "Lomonossow" verteuert den Betrieb des schwimmenden AKW zusätzlich. Und das in einer Gegend, in der die Gewinnung eines Megawatts Strom rund 90 Mal so teuer ist wie im Westen des Landes.

Berichten der russischen Tageszeitung Kommersant zufolge hat die russische Atomenergiebehörde Rosatomatom für das Jahr 2021 einen durchschnittlichen Preis von umgerechnet 140.000 Euro für 1 MW Strom pro Monat aus dem AKW Biblino und 82.500 Euro für dieselbe Menge aus dem schwimmenden AKW "Akademik Lomonossow" aufgerufen. Zum Vergleich: Im europäischen Teil Russlands kostet ein Megawatt Atomstrom rund 1.500 Euro.     

Teure Solidarität

Auf dieses Problem machte auch der russische Premierminister Michail Mischustin zu Beginn seiner Fernosttour am 13. August in Anadyr, der Hauptstadt der Region Tschukotka, aufmerksam."So geht das nicht", wird der Regierungschef von der Nachrichtenagentur RIA Novosti zitiert. "Wir können die Energiekosten für die Unternehmen und die Menschen, die hier leben, nicht erhöhen." Darauf hätte er sich vor der Reise mit Alexei Lichatschow, dem Chef von Rosatom, verständigt. Dieser hätte auch zugesagt, dass das staatliche Atomunternehmen alle anfallenden Mehrkosten übernehmen würde, so Mischustin weiter. Mit der vollen Auslastung in Zukunft sollen die Tarife "annehmbar" werden, versprach daraufhin ein Vertreter von Rosatom.

Ein gelber Bus fährt auf einer weiten, schneebedeckten Straße am Gebäude des Bilibino Atomkraftwerks vorbei.
Soll 2023 vom Netz gehen: Das Atomkraftwerk Bilibino Bildrechte: imago stock&people

37 Milliarden für Stromsubventionen

Die Sorge des Regierungschefs ist durchaus nachvollziehbar. Denn seit 2017 werden die Energiepreise im Fernen Osten vom Kreml subventioniert, damit sie für den Endverbraucher dort erschwimglich werden. Dafür werden die Energiekosten auf die übrigen Regionen Russlands verteilt. Kommersant zufolge dürften die Verbraucher von Smolensk bis Sibirien in diesem Jahr die fernöstlichen Regionen mit insgesamt 37,6 Milliarden Rubel unterstützen. 8,85 Milliarden Rubel davon gehen an Tschukotka, das sind umgerechnet rund 103 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr war die Subvention noch etwa halb so groß.    

Dass der Preissprung mit der Inbetriebnahme der "Akademik Lomonossow" Ende Dezember 2019 zu tun hat, bestätigt auch die russische Antimonopolbehörde. Man werde die Preisgestaltung von Rosatom eingehend prüfen. Andererseits sei das eben der Preis, der gezahlt werden müsse, wenn man eine Technologie für abgeschiedene Regionen wie Tschukotka entwickelt und diese perspektivisch exportieren möchte, meint Wladimir Skljar, ein Experte der Investmentbank VTB Capital, in der Tageszeitung Kommersant. Ob dafür jedoch der Verbraucher aufkommen muss, bleibt auch für ihn fraglich.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 02. August 2019 | 17:45 Uhr

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