Neuer Seeweg Russland: Atomeisbrecher für die Arktis
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07. Juni 2019, 05:00 Uhr
Wladimir Putin will die Nordost-Passage als Seeweg etablieren und kontrollieren. Dafür investiert das Land Milliarden in eine neue Flotte von Atomeisbrechern.
Mit einem lauten Knall löst sich Russlands arktische Hoffnung vom Stapel. Zuvor hatten Arbeiter in Begleitung von Orchestermusik mit einem Schweißgerät die Haltevorrichtung zertrennt. Dann gleitet der 19 Tausend Tonnen schwere Atomeisbrecher "Ural" mit einem durchdringenden Zischen ins Wasser des Newa-Flusses. Tausende Petersburger, die zum Stapellauf auf das Gelände der Werft Baltijskij Zavod gekommen sind, klatschen Beifall und strecken ihre Smartphones zum Filmen in die Luft.
Russland demonstriert Führungsanspruch
Die staatliche Schiffsbauholding OSK und der ebenfalls staatliche Nuklearkonzern Rosatom als Auftraggeber wollten die Fertigstellung von Russlands neuem Atomeisbrecher zu einer öffentlichen Show machen und ihren Stolz präsentieren. Denn die von einem Atomreaktor angetriebene "Ural" ist mit 173 Metern Länge und 50 Metern Höhe nicht nur ob der schieren Größe spektakulär. Mit ihr und anderen Eisbrechern dieser Baureihe möchte Russland seinen Führungsanspruch in der Arktis zementieren. Popen der orthodoxen Kirche gaben dem neuen Schiff öffentlich ihren Segen, während der Petersburger Gouverneur und gar die Chefin der russischen Zentralbank kurze Ansprachen hielten.
Nicht ohne die Russen
"Unsere Nachbarn in der Arktis sind aus irgendwelchen Gründen ehrlich davon überzeugt, dass sie ohne Russland auskommen werden", sagte beim Stapellauf der Präsident der Schiffsbauholding OSK Alexej Rachmanow. "Ungeachtet dessen müssen unsere Schiffsbauer zeigen, dass Russland die Nummer eins in der Arktis ist und bleiben wird", ergänzte der Manager. Das Schiff, das bereits mit einem Reaktor bestückt ist, besteht nach Angaben des Herstellers zu 95 Prozent aus russischen Bauteilen. Dabei geht es längst nicht nur um den Stolz auf die Branche. Auch auf höchster staatlicher Ebene genießen die Projekte Priorität. "Die Serienproduktion von Eisbrechern ist der Schlüssel zur erfolgreichen Erschließung der arktischen Zone", erklärte Sergej Kirijenko, Vize-Chef von Putins Präsidialverwaltung, einem Organ, das zum informellen Eckstein im russischen Machtsystem geworden ist.
Nordost-Passage: Abkürzung von zwei Wochen
Die Rede ist nicht nur von der Nordost-Passage, einer Seeroute, die eine Abkürzung von fast zwei Wochen für den Schiffsverkehr zwischen Europa und Asien darstellt. Wladimir Putin hatte immer wieder betont, dass er eine große Zukunft für diese, größtenteils von Russland kontrollierte Seeroute sieht. Auch für die russische Energiebranche ist die Arktis als Lagerstätte von Rohstoffen von großer Bedeutung. Erst im vergangenen Jahr hatte der Gashersteller Novatek zusammen mit dem französischen Konzern Total und Investoren aus China das Riesenprojekt Jamal LNG fertiggestellt. Laut Novatek verschlang das Projekt 27 Milliarden Dollar an Investitionen.
Das dort hergestellte Flüssiggas muss mit speziellen Tankern ebenfalls über die vereisten Gewässer der Polarmeere abtransportiert werden. 20 Milliarden Dollar will Novatek in ein weiteres Gasprojekt in der Arktis investieren. Allein im vergangenen Jahr hatte sich das Güteraufkommen über diesen Seeweg auf 20,2 Millionen Tonnen verdoppelt und soll 2024 nochmals um das Viereinhalbfache, auf gut 92,6 Millionen Tonnen im Jahr anschwellen.
Russland verspricht sich von dieser neuen Seeroute nicht nur Transiteinnahmen und neue Exportwege für seine Rohstoffe, sondern auch eine größere Rolle als Partner im globalen Handel. Sollte sich die neue Route etablieren, könnte ein beträchtlicher Teil des Handels zwischen Europa und China über russische Gewässer fließen. Erst im April sprach sich Wladimir Putin in Peking dafür aus, die Nordost-Passage mit Chinas Infrastrukturprojekt der neuen Seidenstraßen zu verknüpfen. "Damit würde eine konkurrenzfähige Route geschaffen, die Ost- und Südostasien mit Europa verbindet", sagte der russische Präsident. Dabei hofft Russland, das sowjetische Know-How der Atomeisbrecher zu nutzen. Dank sowjetischer Technik bleibt Russland bis heute das einzige Land mit einer zivilen Atomflotte.
Modernisierung notwendig
Doch diese bedarf einer grundlegenden Modernisierung. Von den insgesamt zehn gebauten Atomeisbrechern sind heute nur noch fünf in Betrieb. Bis 2022 sollen die meisten außen Dienst gestellt werden. Die "Ural" soll nun Abhilfe schaffen. Insgesamt sind seit 2016 drei Eisbrecher der gleichen Klasse vom Stapel gelaufen. Der erste von ihnen, getauft auf den Namen "Arktis", soll noch dieses Jahr in Dienst gestellt werden. Just Ende des vergangenen Jahres wurde per Gesetz der Nuklearkonzern Rosatom, der eigentlich Atomkraftwerke baut und betreibt, zum Betreiber der Nordost-Passage erklärt.
Derzeit plant das Unternehmen zwei weitere Atomeisbrecher der gleichen Serie. Der Auftragswert beläuft sich auf etwa 700 Millionen Euro pro Schiff. Doch Rosatom träumt mittlerweile in größeren Dimensionen: Ab 2020 will der Konzern eine neue Eisbrecher-Generation auf den Weg bringen, die so genannte "Leader"-Klasse, zu deutsch so viel wie Anführer. Die neuen Schiffe, heißt es bei Rosatom, würden jeweils 1,7 Milliarden Euro pro Stück kosten. Insgesamt will Russland, so hatte es Wladimir Putin versprochen, bis zum Jahr 2035 dreizehn neue nuklearbetriebe Eisbrecher fertigstellen.
Dieses Thema im Programm MDR AKTUELL TV | 07. Juni 2019 | 17.45 Uhr