Diplomatie Abrüstung im Cyberspace: Russland und die USA verhandeln

27. Juli 2021, 13:24 Uhr

Es sind längst nicht mehr nur Atomwaffen, die die Welt an den Rand des Abgrundes bringen können. Cyberattacken können schnell und wirkungsvoll ganze Volkswirtschaften lahmlegen. Schon jetzt verdienen kriminelle russische Hacker Millionen mit virtueller Geiselnahme. Und die USA sind führend, was militärische Angriffe angeht. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Leider nicht. Doch Russland und die USA verhandeln eifrig, um Cyberattacken einzudämmen.

Fotomontage Mann vor Fahne
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Illustration - eine Lupe über dem Wort "Ransomware"
Hacker leben in Russland bisher weitestgehend unbehelligt und sollen gar von der Regierung für Spionageaktionen rekrutiert worden sein (Symbolbild). Bildrechte: imago images/Imilian

Noch vor einigen Wochen waren sie die Helden der russischen Unterwelt. Ein Hackerkollektiv, bekannt unter dem Namen REvil, forderte den größten Fleischhersteller der Welt, JBS, heraus und kassierte etwa zehn Millionen Euro Lösegeld für wichtige Daten des Unternehmens, die zuvor mittels einer Virensoftware verschlüsselt wurden. Wenige Wochen später infiltrierte REvil über den IT-Zulieferer Kaseya gleich Hunderte Unternehmen auf einen Schlag. Diesmal forderten die Kriminellen bereits knapp 60 Millionen Euro Lösegeld. Ein wahrer Coup, der von weiten Teilen der Hacker-Community in Russland bewundert wurde.

Wenige Tage später ist von dem kurzen Ruhm nichts mehr zu spüren. Die Server und Webseiten der Gruppe im Darknet sind abgeschaltet. Auf den einschlägigen russischen Foren wie XSS sind die Vertreter der Hackergruppe blockiert. Zuletzt verbreitete sich in der Community in Windeseile das Gerücht, die Gruppe sei untergetaucht, weil ihnen nun russische Behörden nach Gesprächen mit den USA auf der Spur sein könnten. Bestätigen lässt sich dieses Gerücht bislang nicht. Doch allein die Tatsache, dass weite Teile der russischen Hacker-Community dies für möglich halten, zeugt von Aufregung im Milieu.

Maksim Viktorovich Yakubets
Wird weltweit gesucht: Hacker Maksim Jakubetz Bildrechte: imago images/Cover-Images

Kriminelle Hacker blieben in Russland bislang unbehelligt

Dabei hatten sich Hacker in Russland eigentlich längst daran gewöhnt, unbehelligt irgendwo zwischen Kaliningrad und Wladiwostok operieren zu dürfen. Immer wieder wurde dem FSB und anderen Moskauer Geheimdiensten vorgeworfen, einzelne Gruppierungen für Spionage gegen Ziele in den USA, aber auch in Deutschland oder gegen Oppositionelle in Russland zu rekrutieren. Einige weltweit gesuchte Hacker wie Maksim Jakubetz, dem in den USA Spionage vorgeworfen wird, führen vor den Augen der Öffentlichkeit ein extravagantes Leben in der russischen Hauptstadt – samt teuren Autos und Luxusparties. Dieses komfortable Dasein könnte bald vorbei sein.

Das Ausmaß der jüngsten Angriffe hatte nämlich nicht nur die USA, sondern auch den Kreml überrascht. US-Präsident Joe Biden hat Moskau zwar nicht direkt für die Lösegeld-Attacken verantwortlich gemacht, drohte jedoch mit Vergeltungsschritten, sollte die russische Regierung die Cyberkriminellen weiter walten lassen.

Seit Wochen führen nun beide Staaten, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, Konsultationen darüber, wie Cyberkriminalität eingedämmt und bekämpft werden könnte. Erst Ende Juni hatte der Chef des russischen Geheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow, bei einer Konferenz in Moskau davor gewarnt, dass kommerzielle Cyberangriffe zwischenstaatliche Konflikte entfachen könnten. Deswegen sei man zu mehr Kooperation mit den USA bereit.

Interessen gehen auseinander

"Russland und die USA haben auf den ersten Blick unterschiedliche Interessen", sagt Oleg Schakirow, Experte des Moskauer Think Tanks Center for Advanced Governance. "Washington ist interessiert daran, die Wirtschaft und Infrastruktur vor Angriffen zu schützen. Moskau hingegen könnte die Gespräche nutzen wollen, um gegenseitige Angriffe auf militärische Ziele vertraglich auszuschließen", so der Experte. Zudem habe es Moskau satt, politisch für Angriffe kommerziell interessierter Hacker gerade stehen zu müssen.

Ähnlich sieht es auch der Moskauer Ex-Diplomat und Experte für russisch-amerikanischer Beziehungen Wladimir Frolow. "Russland möchte die Besorgnis der USA über die Ransomware-Attacken nutzen, um ihnen Verpflichtungen abzutrotzen, gegenseitige Cyberangriffe auf militärische Ziele auszuschließen", sagt der Experte. Bislang beschränkte sich das Interesse auf amerikanischer Seite jedoch vor allem auf den Schutz ziviler Infrastruktur.

Einer der Gründe für diese Differenz könnte in dem unterschiedlichen Kräfteverhältnis beider Länder liegen. Ein Mitarbeiter einer Moskauer IT-Sicherheitsfirma, die sich auf die Abwehr von Hacker-Angriffen spezialisiert, sieht die Stärke der Russen darin, kriminelle Gruppen für Spionage einzuspannen. Im Gespräch möchte er anonym bleiben, da er nicht für Pressekommentare autorisiert sei. Gleichzeitig seien die Kriminellen selbst hochkarätige Experten. "Beim Thema Verschlüsselung und Ransomware sind russische Hacker weltweit führend". Die USA hingegen hätten deutlich größere Möglichkeiten, systematische Angriffe auf jedwede IT-Infrastruktur zu fahren und könnten lebenswichtige Systeme auch im militärischen Bereich lahmlegen.

Gespräche in Zeiten der Annäherung

Die jüngsten Gespräche fallen zudem in eine Zeit der vorsichtigen Annäherung zwischen Moskau und Washington. Nach dem Treffen von Putin und Biden in Genf Mitte Juni haben sich beide Länder etwa darauf geeinigt, wie die im Syrien-Krieg umkämpfte Provinz Idlib über die Grenze der Türkei hinweg weiterhin humanitär versorgt werden kann. Kurze Zeit später reiste der US-Klimabeauftragte John Kerry gleich für mehrere Tage nach Moskau, um über Zusammenarbeit beim Klimaschutz zu diskutieren. Bis Ende des Monats wollen beide Länder zudem Gespräche über "strategische Stabilität", also die Zukunft der Atomwaffen aufnehmen. Parallel dazu haben die USA ihren Widerstand gegen das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nord Stream 2 so gut wie aufgegeben.

Wenn es beim Thema Cyberkriminalität ähnliche Fortschritte gibt, könnte das ruhige Leben zumindest für die kommerziellen Hacker-Banden aus Russland endgültig vorbei sein. In wie weit beide Länder sich tatsächlich einem Kompromiss annähern können, halten Beobachter aufgrund der sehr unterschiedlichen Interessen noch für ungewiss. Experte Oleg Schakirow rät zu bescheidenen Erwartungen, meint aber auch: "Allein der Fakt, dass nun auf hoher Ebene miteinander gesprochen wird, ist ein gutes Zeichen".

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