Ausstellung in Borna: "Zerstörtes, aber unbesiegtes Irpin“ | Teil 5

12. Juli 2022, 14:02 Uhr

Kunstausstellungen beeindrucken uns meist visuell. Aber dieses Mal blieb die Ausstellung, die aus dem ukrainischen Irpin nach Borna gebracht wurde, den Besuchern auch wegen ihres besonderen Geruchs in Erinnerung. Es war der Geruch des Krieges. Im örtlichen Kulturzentrum fand die Ausstellung "Zerstörtes, aber unbesiegtes Irpin" mit Fotos und Kriegsartefakten statt.

Als ich mit meinen Kindern in den Saal kam, in dem sich die Ausstellung befand, da nahmen wir sofort einen scharfen Brandgeruch wahr. Als wir uns genauer umsahen, verstanden wir, woher der Geruch kam. Ringsherum waren verschiedene Haushaltsgegenstände aufgestellt - Tische, Stühle, eine Waschmaschine, ein Ofen, ein Schongarer, Tafelbesteck. Etwas weiter stand ein Kinderbett, in dem eine Puppe lag, daneben befand sich ein Schränkchen mit Spielzeug und auf dem Boden lagen die Überreste eines Fahrrads ... Und all diese Gegenstände waren verbrannt.

Erst vor vier Monaten hatten sie den Einwohnern von Irpin gehört. Eine Mutter hat in diesem Ofen Kuchen gebacken, ein kleines Mädchen mit dieser Puppe gespielt, eine glückliche Familie an diesem Tisch zu Abend gegessen ... Sie alle hatten ein friedliches Leben mit ihren Freuden und alltäglichen Sorgen, mit Aufregung und Träumen. All dies bis zum 24. Februar. So war es vor dem heimtückischen und brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Wir wissen nicht, was mit den Besitzern dieser Dinge geschehen ist. Offensichtlich haben diese Menschen Verschiedenes erlebt. Aber eines haben sie gemeinsam: Sie alle haben ihr Zuhause verloren. Nach Angaben der örtlichen Behörden wurden aufgrund der von der russischen Armee in Irpin entfesselten Feindseligkeiten fast 4.000 Familien obdachlos. Was von ihren Wohnungen und Häusern übrigblieb, war auf den Fotografien der Ausstellung zu sehen.

Viele Besucher hatten Tränen in den Augen. Die Bewohner von Borna waren erschüttert von dem, was sie sahen. Aber die Menschen aus Irpin, die Frauen und Kinder, die vor den Schrecken des Krieges in diese kleine, gemütliche deutsche Stadt geflohen sind, die eine Partnerstadt von Irpin ist, spürten einen ganz besonderen Schmerz. Jemand erkannte das eigene Haus auf dem Foto, eine andere sah, was mit den Straßen passiert war, auf denen sie jeden Tag gingen, jemandem anderes kam die von Kugeln durchbohrte Autotür schmerzlich bekannt vor. Mein Sohn Svjatoslav erkannte die Regale und Schränke aus dem Kindergarten „Радість“ („Freude“), in den er einst ging und der jetzt vollständig zerstört ist ...

Heute kennt man Irpin wohl auf der ganzen Welt. Dies ist die Stadt, die den Vormarsch der russischen Invasoren zurückhielt und sie dran hinderte, nach Kiew einzudringen. Darum war das Wort "Irpin" seit Kriegsbeginn auf den Titelseiten der gesamten Weltpresse. Darüber schrieben die New York Times, Washington Post, Times sowie der Guardian, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt und viele andere weltbekannte Medien.

Leider zahlte Irpin einen sehr hohen Preis für den Sieg über die russischen Invasoren. Nach offiziellen Angaben wurden in der Stadt 300 Zivilisten getötet, bei den Kämpfen fielen auch 35 ukrainische Verteidiger. Der Feind beschoss Irpin von fast allen Seiten und zerstörte mehr als die Hälfte der sozialen und Wohninfrastruktur. Das Kulturhaus, die Kinder- und Jugendsportschule wurden komplett zerstört. Das Stadtstadion, fast alle Schulen, Kindergärten und Kliniken wurden schwer beschädigt. Mehr als 800 Wohngebäude wurden beschädigt, 40 Hochhäuser können nicht mehr wiederhergestellt werden und Hunderte von Privatgebäuden wurden niedergebrannt. Und das alles sind überhaupt keine militärischen Objekte, wie dies die russische Propaganda behauptet.

Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, der italienische Premierminister Mario Draghi, der rumänische Präsident Klaus Iohannis, die slowakische und die moldauische Präsidentinnen Zuzana Caputova und Maia Sandu, der kanadische Premierminister Justin Trudeau und zahlreiche andere führende Politiker kamen nach der Befreiung von den Besatzern persönlich nach Irpin, um sich die schrecklichen Folgen der Irpin-Tragödie mit eigenen Augen anzusehen.

Das zerstörte, aber nicht eroberte Irpin beginnt jetzt ein neues Leben. Laut dem Bürgermeister von Irpin, Oleksandr Markuschyn, führen Vertreter der Stadt heute Dutzende von Verhandlungen mit internationalen Partnern und Wohltätigkeitsorganisationen, um Mittel für den Wiederaufbau der Stadt zu sammeln.

Unterdessen geht der Krieg in der Ukraine weiter. Und das, was Irpin während des Monats der Besatzung widerfahren ist, geschieht nun in Charkiw, Mykolajiw, Lysychansk, Mariupol und anderen ukrainischen Städten, die von der russischen Armee zerstört werden – und das in einem viel größeren Ausmaß. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie viele zerbrochene Träume, zerstörte Häuser, verbrannte Kinderzimmer und für immer verlorene Leben es dort gibt ...

Julia Osinska, Journalistin aus Irpin

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