Der Redakteur | 27.04.2022 Kino und Konzerte: Geht das nicht leiser?

27. April 2022, 17:51 Uhr

Gerhard Lämmchen aus Gotha fragt sich zum Tag des Lärms, warum wir mancherorts derart "beschallt" werden, dass junge Leute schon durch Krach hörgeschädigt sind. Er fragt: Gibt es keine Verordnung, die so etwas regelt?

Es gibt kein Gesetz, das in Deutschland Besucher von Veranstaltungen vor Lärm schützt, Motto: "Bis soundso viel dB darf der DJ seine Anlage aufdrehen". Gleichwohl gibt es gesetzliche Regelungen, die den Lärm an Arbeitsplätzen oder für Anwohner begrenzt. Auch Schutzmaßnahmen sind hier definiert. Und auch bei Konzerten arbeiten schließlich Menschen.

DIN-Norm soll vor Hörschäden schützen

Die Besucher überlauter Freizeitvergnügen schützt in gewissem Maße nur die DIN 15905-5, die einen Beurteilungspegel LAeq von 99 dB, bei einer Mittelung über 30/120 Minuten festlegt und einen Spitzenpegel LCpeak von 135 dB. Das ist alles immer noch viel zu laut, sagen Ohrenärzte und das Umweltbundesamt. Aber es ist durchaus etwas mehr als ein freundlicher Hinweis an den Veranstalter, der nämlich eine Verkehrssicherungspflicht hat, also seine Gäste nicht nach Belieben schädigen darf.

Ein Verstoß gegen die DIN Norm unterstellt quasi eine Verletzung dieser Verkehrssicherungspflichten und dann müsste der Veranstalter beweisen: Ich habe mich zwar nicht an die DIN-Norm gehalten, aber ich habe etwas ähnlich Gutes gemacht.“

Thomas Waetke, Anwalt für Veranstaltungsrecht

Zum Beispiel könnten Ohrstöpsel verteilt worden sein. Oder es könnte Hinweise gegeben haben, in welchen Bereichen es besonders laut oder leise ist. Abgesehen davon gibt es mittlerweile nicht nur Verstärkertechnik, die sich begrenzen lässt, es gibt auch Beschallungsmethoden, die auch letzte Ecken erreichen, ohne, dass den Besuchern in den ersten Reihen die Ohren glühen.

Party
Diskolärm kann Hörschäden verursachen. Bildrechte: colourbox

Gab es schon Versuche, die maximale Lautstärke gesetzlich zu regeln?

Gemessen an dem Aufwand, den diverse Expertengremien schon betrieben haben, ist die momentane Rechtslage ziemlich bescheiden. Die Arbeitsgruppe "Diskothekenlärm" war bereits im Jahre 2004 tätig.

Der Abschlussbericht mit fundierten Überlegungen und Empfehlungen feiert in zwei Jahren seinen 20.Geburtstag. In dieser Zeit haben sich Generationen von Diskobesucher die Ohren kaputt gemacht, übrigens nichts zwingend nur auf irgendwelchen Dancefloors, sondern auch mit den Kopfhörern, die an den Köpfen festgewachsen scheinen.

Nun gibt es dort zwar auch schon technische Möglichkeiten einer Lautstärkebegrenzung, aber erstens kann man Warnungen ignorieren und zweitens ist es mitunter auch der Dauerbetrieb, der kritisch sein kann. Neben der Frequenzen und den Lärmspitzen.

Kopfhörer schädigen schleichend - Diskolärm auch

Letztlich kann schon ein einziger Silvesterknaller, der direkt am Ohr explodiert, ausreichen. Der Kopfhörer hingegen schädigt schleichend, die Disko auch. Im Jahre 2016 war der Diskothekenlärm Thema im Petitionsausschuss des Bundestages. Laut Abschlussbegründung hatte dieser "großes Verständnis" für das vorgetragene Anliegen, auch wenn ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf nicht gesehen wurde. Dieser scheiterte schon bei der Feststellung, dass die "Kompetenz für verhaltensbezogenen Lärm, wie Diskotheken- oder Freizeitlärm, gemäß dem Grundgesetz (GG) bei den Ländern liegt."

Ein Junge mit Smartphone und Kopfhörern
Kopfhörer schädigen schleichend das Gehör. Das Problem ist der Dauerbetrieb. Bildrechte: imago images/Westend61

Was sagen denn die Länder zu dem Lärm?

Die Arbeitsgruppe "Diskothekenlärm" hat 2004 in den Bundesländern nachgefragt und vielfältige Antworten erhalten. So hat Baden-Württemberg den Vorschlag der Bundesärztekammer, durch technische Maßnahmen die Dauerschallpegel in Diskotheken auf 95 dB(A) zu begrenzen, grundsätzlich für geeignet gehalten.

Bayern hatte rechtliche Bedenken, weil sich die Besucher ja freiwillig aufhielten ("Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit").

Berlin war für Schutzmaßnahmen, Nachbar Brandenburg freute sich immerhin über die eigene Beteiligung an Arbeitsgruppen und Hamburg plädierte für festgelegte automatische Pegelbegrenzungen.

Mecklenburg-Vorpommern wollte damals die Umsetzbarkeit prüfen lassen, Niedersachsen verwies auf seinen schon existierenden Runderlass "Ruhezonen" in Diskotheken einzurichten, zum Unterhalten bei maximal 75 dB.

Der Freistaat Sachsen sah Pegelbegrenzungen allenfalls für unter 18-jährige und im Rahmen des Jugendschutzgesetzes im Bereich des Möglichen. Sachsen-Anhalt verwies auf die Kapazitätsprobleme der Vollzugsbehörden und die Akzeptanzprobleme vor Ort und Schleswig-Holstein war dafür, hätte aber gern übersichtliche Regeln mit wenig "regulatorischen Einzelheiten".

Thüringen wurde mit der knappsten aller Antworten zitiert:

Rechtliche Regelungen in Form technischer Normen im Sinne einer automatisierten Pegelbegrenzung werden als wirksamer angesehen als Informations- und Aufklärungsmaßnahmen.

Stellungnahme Thüringen gegenüber der Arbeitsgruppe „Diskothekenlärm“

Abfrage der Arbeitsgruppe fast 20 Jahre alt

Die Abfrage der Arbeitsgruppe "Diskothekenlärm" ist fast 20 Jahre her. Damals hatte gerade Dieter Althaus das Amt von Bernhard Vogel übernommen. Und die Vielfalt der Einschätzungen zeigt, von einer bundesweit einheitlichen Regelung sind wir so weit weg wie von einheitlichen Maßnahmen, falls es mal eine Pandemie geben sollte.

Mehrere Tinnitusfälle bei Jugendlichen

Mal abgesehen davon, dass jeder Vorstoß beim Landtagsabgeordneten eigener Wahl auf fruchtbaren Boden fallen könnte, sind auch schon mutige örtliche Behörden erfolgreich gewesen und hatten sogar schon Gerichte hinter sich.

Im März 2004 hatte das Verwaltungsgericht München dem Landratsamt Weilheim-Schongau zugestanden, den Pegel in einer Diskothek mittels Auflage nach § 5 GastG auf 95 dB(A) zu begrenzen. Anlass für die Auflagen waren mehrere Tinnitusfälle bei Jugendlichen nach einer Konzertveranstaltung gewesen. Allerdings befürchteten anschließend einige Diskothekenbesitzer, dass die Kundschaft ja auf Diskotheken ohne Pegelbegrenzung ausweichen könnte.

Eine Frau mit braunen Haaren fasst an ihr Ohr und verzerrt dabei das Gesicht.
Ein vorübergehender oder dauerhafter Tinnitus kann durch übermäßigen Lärm entstehen. Bildrechte: imago/Panthermedia

Nun ist es schwierig, direkte Zusammenhänge herzustellen zwischen Ursache (Konzert) und Wirkung (Tinnitus), räumt Rechtsanwalt Thomas Waetke ein, in ganz seltenen Fällen nur gelinge das. Schließlich muss die Schuld dem Veranstalter zweifelsfrei nachgewiesen werden, mögliche Hörschäden könnten ja auch durch andere Ereignisse mindestens mit verursacht worden sein.

Der Anwalt für Veranstaltungsrecht empfiehlt, sich direkt an die Betreiber und Veranstalter zu wenden und zwar am besten gemeinsam mit anderen, die ähnliche Empfindungen hatten. Das ist besonders bei wiederkehrenden Besuchen aussichtsreich - Stichwort Kino.

Lärm-App, Ohrschützer oder Papiertaschentuch

Vielleicht sind diejenigen, die gern ihre gesunden Ohren behalten möchten, ja sogar in der Mehrheit. Kurzfristig und definitiv wirksam sind Ohrschützer, so Thomas Waetke, auch ein Stückchen vom Papiertaschentuch wirkt im Notfall Wunder. Und wer einen Denkanstoß sucht oder eine Kontrollmöglichkeit: Die in Zusammenarbeit mit dem Verband der Ohrenärzte entwickelte LärmApp (verfügbar in den Stores für iOS und Android) liefert eine ganz gute erste Einschätzung, was von dem Umgebungslärm zu halten ist.

Und falls der eine oder andere Leisedreher unter den Veranstaltern Angst hat, Kunden zu verlieren: Das Nichtraucherschutzgesetz hat einst die Menschen auch nicht aus den Gaststätten vertreiben können, im Gegenteil. Wer nicht hören will, kann halt irgendwann nicht mehr richtig hören. 

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 27. April 2022 | 15:50 Uhr

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