Der Redakteur | 15.06.2023 Warum spreizen wir beim Trinken aus der Tasse den kleinen Finger ab?
Hauptinhalt
15. Juni 2023, 19:15 Uhr
Der Alltag wirft manchmal die skurrilsten Fragen auf. Tina Weichberger aus Erfurt wollte wissen: Warum spreizen wir den kleinen Finger ab, wenn wir aus einer Tasse trinken? Redakteur Thomas Becker ist dem nachgegangen.
Der kleine Finger, der sich beim Trinken von der Tasse abspreizt - das ist die ganz feine englische Art. Oder etwa doch nicht? Fabrizio Baron Galli Zugaro ist Experte für internationale Umgangsformen beim Knigge-Rat. Dort kann man sich Rat von verschiedenen Experten holen, wenn man zum Beispiel von König Charles III. eingeladen wird - oder als Firma mit den Mitarbeitern ins Ausland geht. Nicht, dass die Kollegen da jedes Fettnäpfchen mitnehmen. Denn Fingergesten sind nicht international und wenn der falsche Finger abgespreizt wird, kann das zu erheblichen Missverständnissen führen.
Wieso spreizt sich der Kleine?
Einiges ist anatomisch vorgegeben. Es passen auch nicht alle Finger in den Henkel und die anderen müssen irgendwohin. Das Abspreizen gilt als fein, ist aber aus der Zeit gefallen. Denn es ist ein bisschen wie angeben oder protzen. Wer wirklich fein ist, der muss das nicht zusätzlich unterstreichen.
Da Spreizen bedeutet auch, ich zeige, dass ich eine Dame oder ein Herr bin. Wer das nötig hat, der ist nicht fein.
Über die Ursprünge der Spreizung liegen die Nebel der Vergangenheit. Deswegen gibt es mehrere Theorien. So wie diese: Bei den alten Römern wurde noch zünftig getafelt, der Saft lief an den Armen herunter, die Hände des Volkes gruben sich zupackend tief ins Wildbret. Die etwas feineren Leute hingegen aßen mit spitzen Fingern, benutzten so wenige wie möglich, der Rest wurde schützend weggespreizt. Zupacken war nicht so ihr's.
Man wollte nicht zeigen, dass man die Hände zum Arbeiten braucht. Arbeiten ist heute cool, früher war es das nicht unbedingt.
Eine andere These nimmt die Tasse ins Visier, die früher ein Teeschälchen war. Bis der Henkel erfunden wurde, musste sie mit beiden Händen zum Mund geführt werden. Wer es probiert, der wird feststellen, es geht einfacher und unfallfreier, wenn nicht alle Finger das Schälchen berühren. Und der kleine Finger ist … abgespreizt.
Die Geschichte mit den falschen Gesten
Daumen hoch und alles ist gut? Nicht unbedingt! Das, was bei uns ein Zeichen guten Willens ist, kann in anderen Ländern eine obszöne Geste sein. Daumen hoch gehört dazu. Der erhobene kleine Finger mag der Gruß der Aachener sein, genannt Klenkes, der sogar ein Denkmal hat. Aber im flämischen Teil Belgiens bekommt man damit ein Bier und in Japan vielleicht eins aufs Dach. Dort bedeutet das Abspreizen des gekrümmten kleinen Fingers: Da hat sich jemand einer Sache bemächtigt, die nicht die seine war. Und sei es eine Frau gewesen. Auf Sizilien muss hierfür zusätzlich der Zeigefinger erhoben werden.
Die 'Hörner' bedeuten, wenn ich einem anderen Mann das Zeichen mache, heißt das, dass seine Frau fremdgeht. Das ist eine ganz schlimme Beleidigung!
Also immer schön vorsichtig mit den Fingern umgehen und auch sonst Respekt walten lassen. Baron Galli Zugaro empfiehlt zudem, es mit Komplimenten nicht zu übertreiben. Die kommen auch nicht überall gut an. Zumal dann, wenn es einem am nötigen Feingefühl fehlt. Es kommt auf die Situation an, in der man sich befindet. Wenn man unsicher ist: fragen. Es ist nicht schlimm, sich bei einem ungewöhnlichen Namen höflich zu erkundigen, wie dieser korrekt ausgesprochen wird, statt den ganzen Abend einen peinlichen Phantasienamen zu verwenden.
MDR (ask, mw)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 15. Juni 2023 | 16:40 Uhr