Jetzt in der Mediathek Reportage: Was Juden und Christen verbindet
Hauptinhalt
05. März 2023, 13:30 Uhr
In Erfurt wurde die Woche der Brüderlichkeit am Sonntagvormittag feierlich eröffnet. Verliehen wurde dabei auch die Buber-Rosenzweig-Medaille an die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum. Dabei handelt es sich um einen der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland. Die Reportage "Was Juden und Christen verbindet" stellt die Arbeit der Stiftung vor und porträtiert Menschen, die sich für einen christlich-jüdischen Dialog in Deutschland stark machen.
Es ist ein Bau der auffällt, weithin sichtbar mit seinen teilvergoldet leuchtenden Kuppeln, gelegen an der Oranienburger Straße, mitten in Berlin. Die Neue Synagoge, einst mit 3.200 Sitzplätzen größte Synagoge Deutschlands, steht exemplarisch für die deutsch-jüdische Geschichte Berlins. 1866 wurde sie zum jüdischen Neujahrsfest eingeweiht.
Hort des liberalen Judentums mitten in Berlin
Religiöse Auslegung und Praxis in der Neuen Synagoge orientierten sich am liberalen Judentum, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland zur dominierenden Richtung wurde: Gottesdienste feierte man auf Deutsch, es gab Orgelmusik und einen gemischten Chor.
Während der Novemberpogrome (1938) und der Bombardierung Berlins 1945 wurde die Synagoge stark zerstört. Nach dem Krieg – nun in der sowjetischen Verwaltungszone gelegen – wurde sie zur Anlaufstelle der sich neu konstituierenden jüdischen Gemeinde. Hier trafen sich auch die wenigen Überlebenden der Shoah.
Bis kurz vor Ende der DDR blieb die Ruine der Synagoge weitestgehend sich selbst überlassen. Erst ab 1988 begann der Wiederaufbau des erhalten gebliebenen Teils durch die noch in der DDR gegründeten Stiftung Neue Synagoge Berlin. Initiator und Gründungsdirektor war Dr. Hermann Simon. Nach und nach bezog die Jüdische Gemeinde Anfang der 1990er-Jahre Teile des Gebäudes.
Neue Synagoge: Museum und Dialograum für die Stadtgesellschaft
1995 wurde die Neue Synagoge als Museum eröffnet, es versteht sich als Brücke zwischen Historie und Gegenwart, zwischen jüdischer und nichtjüdischer Stadtgesellschaft. Mit seinen Ausstellungen und weiteren Kulturangeboten ist es einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland.
Für dieses Engagement erhält die Träger-Institution, die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum 2023 die Buber-Rosenzweig-Medaille, die traditionell beim Festakt zur Eröffnung der "Woche der Brüderlichkeit" verliehen wird. Seit 1968 werden damit Personen und Institutionen geehrt, die sich im christlich-jüdischen Dialog außerordentliche Verdienste erworben haben.
Die schon 1988 in der DDR gegründete Stiftung "vermittelt mit ihrem Bildungsprogramm jüdische Kultur und Identität und greift immer wieder gesellschaftliche Debatten auf, die mit universellen Fragen verknüpft werden", so begründet der Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit die Vergabe an die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum.
Direktorin Siegemund: Akzeptanz als Voraussetzung für Dialog
Anja Siegemund ist seit 2015 Direktorin des Zentrums. Sie erklärt, dass durch die Arbeit der Stiftung schon einiges erreicht wurde. Jüdische Kultur und Identität seien in die Gegenwart getragen, die Akzeptanz des Judentums in der Gesellschaft gestärkt worden. Doch noch immer gebe es Jüdinnen und Juden, die sich nicht vollständig angenommen fühlten. Sie betont:
Dass sich eine gesellschaftliche Gruppe öffnet, setzt voraus, dass diese gesellschaftliche Gruppe akzeptiert wird. Genauer gesagt, dass diese Differenz akzeptiert wird, ist wichtig für die Gesellschaft.
Ein Beispiel aus Bayern: Freiräume schaffen und Ängste nehmen
Ein Beispiel aus Bayern zeigt, wie Akzeptanz und Dialog einander bedingen. Die evangelische Gesamtschule "Wilhelm Löhe" in Nürnberg ist eine von zwei Schulen im Freistaat, die es jüdischen Grundschülern ermöglichen, Religions-Unterricht direkt an der Schule zu erhalten. Den Unterricht vor Ort anzubieten, bedeute weit mehr, als nur jüdischen Kindern einen Weg zu ersparen, betont Mark Meinhard, Pfarrer und Direktor der Gesamtschule "Wilhelm Löhe" in Nürnberg:
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich jüdische Kinder oft versuchen zu verstecken und so ihre Religion nicht ausleben können. Wir versuchen einen Raum zu schaffen, der frei und nicht mit Angst besetzt ist.
Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Franken fand dieses Engagement preiswürdig und verlieh der Schule den "Etz-Chaim-Pokal". Seitdem gibt es dort weitere Projekte, die sich gegen Ausgrenzung und Antisemitismus richten.
GCJZ Thüringen: Gemeinsamkeiten betonen und Zusammenleben kritisch aufarbeiten
Christlich-jüdische Zusammenarbeit gibt es auch in Thüringen. Erst im März 2022 wurde dort die GCJZ Thüringen durch die Jüdische Landesgemeinde Thüringen, das Bistum Erfurt und die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland gegründet.
Ein interkonfessioneller Dialog in einem Bundesland, in dem nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung einer der beiden Religionen angehört, ist kein leichtes Unterfangen. Das wissen auch die Mitglieder der Thüringer GCJZ. Kunsthistorikerin Maria Stürzebecher, Kuratorin an der Alten Synagoge Erfurt, verweist auf die vergessenen Gemeinsamkeiten der Religionen, auf die Spuren im Alltäglichen. Immerhin lebten Juden und Christen viele Jahrhunderte friedlich miteinander, gewissermaßen als Nachbarn, Tür an Tür, betont sie: "Nach den Jahren des Lernens, des Verstehens und des Forschens ist es spannend zu sehen, welche Gemeinsamkeiten schon seit dem Mittelalter da waren." Julia Braband und Eckehardt Schmidt von der GCJZ Thüringen kennen diese Gemeinsamkeiten.
Sie planen einen Rundgang durch Erfurt, der Spuren jüdischer Geschichte zeigen soll, sich aber auch mit antijüdischen Zeichen und Symbolen in und an christlichen Kirchen auseinandersetzt. Ein kritischer Dialog, ganz im Sinne des Mottos der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit: "Öffnet Tore der Gerechtigkeit - Freiheit Macht Verantwortung".
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 09. März 2023 | 22:40 Uhr