Rabbiner Elischa M. Portnoy 4 min
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MDR Kultur | 29.03.2024 | Wochenabschnitt "Tzaw" Schabbat Schalom mit Rabbiner Elischa Portnoy: Die väterliche Sorge

15. Dezember 2023, 10:29 Uhr

Vernunft und Verstand sind nicht alles. Ganz gleich, wie klug ein Mensch ist, er wird sich doch immer auch von seinem Herz und seinen Gefühlen leiten lassen. Das zeigt der Wochenabschnitt "Tzaw", meint der Hallenser Rabbiner Elischa Portnoy.

Der Wochenabschnitt "Tzaw" ("Gebiete") setzt die Lehre über die verschiedensten Opferungen fort. Am Ende des Wochenabschnittes jedoch kommt ein anderes Thema auf, und zwar wird von der Amtseinführung der ersten jüdischen Priester erzählt. Der Bruder von Mosche, Aharon, und seine vier Söhne wurden von G’tt zu Priestern ernannt, und Mosche hat sie bei einer anspruchsvollen und feierlichen Zeremonie ins Amt eingeführt. Ab diesem Zeitpunkt waren Aharon und seine Söhne diejenigen, die nicht nur für alle Opferungen in mobilem Heiligtum zuständig waren, sondern auch für das geistige Wachstum des jüdischen Volkes.  

Die Amtseinführung von Aharon

Das war eine unvorstellbare, eine außerordentliche Ehre für Aharon. Schließlich durfte nur er, der Hohepriester, als einzige Mensch der Welt am heiligsten Tag Jom Kippur den heiligsten Ort der Welt, das Heiligtum, betreten und dort zu G’tt sprechen. Auch seine hohepriesterlichen Kleider, die nach G’ttes genauen Anweisungen angefertigt wurden, waren beeindruckend schön und prächtig.  

Diese Amtseinführung dauerte acht Tage. Sieben Tage fungierte als Priester der Anführer des jüdischen Volkes Mosche und führte alle vorgeschriebenen Handlungen durch, damit Aharon und seine Söhne ihre Positionen einnehmen konnten. Und erst am achten Tag übernahmen die neu eingeführten Priester ihre Aufgaben im Heiligtum.

Es stellt sich die Frage, was sich Mosche dachte, als er seinen Bruder zum Hohepriester und damit zum heiligsten Mann auf der Erde machte? War Mosche vielleicht ein wenig eifersüchtig? Beneidete er vielleicht Aharon? Das sollte natürlich nicht der Fall sein. Mosche, als der größte Prophet aller Zeiten, verstand ganz klar, dass die weltliche und die geistige Führung getrennt sein sollen. Der König, der für das leibliche Wohl seines Volkes sorgen, die Infrastruktur bauen, sich mit den Nachbarländern verständigen muss, hat einfach keine Kapazitäten, im Tempel zu dienen und für das spirituelle Wachstum des Volkes zu sorgen. Und natürlich war Mosche hocherfreut, dass gerade seinem älteren Bruder diese Ehre zuteilwurde.

Welchen Grund gab es für Mosche, gespalten zu sein ?

Doch die Tora weist sanft darauf hin, dass Mosche ganz tief im Herzen doch ein kleines Unbehagen hatte. Die Tora wird bei der öffentlichen Lesung in der Synagoge mit dem Kantillation-Zeichen "Teamim" vorgelesen. Alle Vokal-Zeichen in der Tora sind nicht dafür da, die Lesung zu verschönern, sondern geben dem Text zusätzliche Bedeutung. Und in der Erzählung über die Amtseinführung von Priestern kommt ein seltenes Kantillation-Zeichen namens "Schalschelet" vor.

Das Zeichen Schalschelet weist auf die innere Dualität und Zerrissenheit des handelnden Subjekts in der Erzählung hin. Welchen Grund aber gab es für Mosche, innerlich gespalten zu sein?! Unsere Weisen erklären, dass sein Problem nicht Aharon selbst war, sondern die Söhne von Aharon. Mosche war auch ein Vater, und wie jeder gute Vater wünschte auch er seinen Kindern eine ehrenhafte und bedeutungsvolle Zukunft.

Mit der Amtseinführung von Aharon und seinen Söhnen verlieren die Söhne von Mosche jegliche Chance, irgendwann Priester zu werden. Auch wenn Mosche ganz klar verstanden hat, dass es der Wille G’ttes ist, und auch wenn er sich aufrichtig für seinen Bruder und seine Söhne, die alle würdige Menschen waren, gefreut hat, so dachte er trotzdem ganz tief in seinem Inneren an seine Söhne.

Aus dieser Erzählung wird sehr deutlich, dass ganz gleich, wie groß ein Mensch ist, und ganz gleich, wie richtig er Dinge intellektuell einordnen kann, sein Herz und seine Gefühle vor allem bei seiner Familie sein werden. Es ist auch schön, dass die Tora uns die Einblicke in die Gefühle solcher Menschen wie Mosche gibt. Und dafür braucht die Tora keine großen Texte, nicht mal einen Satz. Manchmal reicht dafür einfach nur die Melodie des Lesens.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Rabbiner Elischa M. Portnoy Rabbiner Elischa M. Portnoy wurde 1977 in Nikolaew in der Ukraine geboren. Seit 1997 lebt er in Deutschland. 2007 erwarb er sein Diplom als Ingenieur für Elektrotechnik an der TU Berlin. 2012 schloss er seine Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin ab und erhielt die Smicha.

Elischa M. Portnoy arbeitet als Militärrabbiner der Bundeswehr am Standort Leipzig und betreut die Jüdische Gemeinde in Halle / Saale. Er ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD). Er ist verheiratet mit Rebbetzin Katia Novominski und Vater von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 16. Februar 2024 | 15:45 Uhr

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