Alexander Nachama in der Synagoge in Erfurt 3 min
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Schabbat Schalom | Wochenabschnitt: "Schemini" Schabbat Schalom mit Rabbiner Alexander Nachama: "Und Aaron schwieg"

01. März 2024, 13:48 Uhr

Menschen, die unter Schock stehen, brauchen Zeit. Ihr Schweigen sollten wir akzeptieren. Denn Leid lässt sich nicht immer in Worte fassen, meint Rabbiner Alexander Nachama in seiner Auslegung des Wochenabschnitts „Schemini“.

Zu Beginn des Wochenabschnitts Schemini befinden sich die Israeliten inmitten der Festivitäten zur Einweihung des Heiligtums. Diese Festivitäten werden durch ein furchtbares Ereignis überschattet. Nadaw und Awihu, die beiden Söhne Aarons, werden durch ein Feuer verzehrt, weil sie ein "fremdes Feuer", also ein Feuer, welches Gott nicht befohlen hatte, für Gott angezündet hatten.

Welch ein Schock für Aaron: Gerade waren - aus heiterem Himmel - seine beiden ältesten Söhne tödlich verunglückt. In dieser Situation spricht Mosche zu Aaron: "Dieses ist es, was der Ewige gesprochen hatte: Durch die welche sich mir nahen, will ich geheiligt sein."

Ein Zitat, das Fragen aufwirft. Ist das die Art und Weise, wie man mit seinem Bruder spricht, nachdem sich so ein Unglück ereignet hat? Kein Wort des Trostes oder der Annäherung, eher im Gegenteil: Die Aussage erscheint nüchtern und distanziert.

Schauen wir daher genauer auf den Inhalt dieser Worte. "Durch die welche sich mir nahen, will ich geheiligt sein". Zunächst, im einfachen Wortsinn, bedeutet dies, dass jene, die Gott nahe stehen, geheiligt sind. Heiligkeit ist ein besonderer Zustand, der eine ständige Aufmerksamkeit braucht.

Denken wir zum Beispiel an den Schabbat, den Ruhetag. Es gibt am Schabbat viele Gebote, die unter der Woche nicht beachtet werden müssen. Das begründet (unter anderem) die Heiligkeit des Schabbats. So ist es auch mit jenen, die Gott heiligen. Sie müssen dabei viele Gebote beachten. Der antike Opferdienst war mit vielen Geboten versehen, jedes Detail musste stimmen.

Mosche zitiert hier Gottes Worte, die seinen Bruder Aaron in diesem Schock tatsächlich beruhigt haben könnten. Denn angewandt auf Nadaw und Awihu besagen sie, dass sie Gott nahe sind, dass sie also nicht wegen Gottlosigkeit gestorben sind.

Wie reagiert Aaron auf Mosches Worte? Es heißt: "Und Aaron schwieg." Wir wissen nicht, was Aaron in diesem Moment gedacht haben mag. Es wird uns nicht berichtet. Aber wir sehen, wie er sich verhält.

In schwierigen Situationen ist es meist nicht leicht zu wissen, wie man sich verhalten soll. Manche überspielen solche Situationen mit unpassenden Witzen oder ähnlichem. Mosche tut dies nicht. Er spricht zwar mit seinem Bruder, tut dies aber, anders als anfangs angenommen, durchaus bedacht.

Und Aaron schweigt. Dieses Schweigen wird von den anderen akzeptiert, Mosche versucht nicht Aaron zum Reden zu bringen. Er gibt ihm die Zeit, die er braucht.

Diese Zeit sollten wir stets Menschen geben, die sich in einem Schock befinden - aus welchem Grund auch immer. Wir sollten nicht gleich eine Reaktion erwarten – auch ein Schweigen akzeptieren, das Ausdruck dafür sein kann, dass sich Leid nicht in Worte fassen lässt. Mögen wir stets die Besonnenheit haben, dies zu respektieren.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Alexander Nachama Geboren 1983 in Frankfurt am Main. 2005 erhielt er von Rabbiner Zalman Schachter-Shalomi, dem Gründer der Rabbiner- und Kantorenschule "Aleph", eine Urkunde als Kantor. 2008 erhielt er einen Bachelor in Judaistik (Freie Universität Berlin), 2013 einen Master (Universität Potsdam).

Ab 2007 absolvierte er eine Ausbildung am Abraham Geiger Kolleg mit Studienaufenthalten in Israel, die er 2013 mit der Ordination zum Rabbiner abschloss. 1998 - 2011 amtierte Alexander Nachama zunächst als ehrenamtlicher Vorbeter, später als Kantor in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

In den Jahren 2012 - 2018 war er Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, bis August 2023 Landesrabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Inzwischen ist Alexander Nachama der zuständige Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 05. April 2024 | 15:45 Uhr