Ein Mann steht auf einer Bühne, neben ihm sitzt eine Person hinter einem Flügel.
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Jubiläum Wie in Leipzig jüdische Kantoren ausgebildet werden

03. März 2024, 04:00 Uhr

Die Gebete der Menschen zu Gott bringen, in Wort und Gesang, so beschreibt Joseph Malovany die Rolle des Kantors im jüdischen Gottesdienst. Vor rund zehn Jahren war er der Gründungsrektor des Instituts für Traditionelle Jüdische Liturgie (ITJL) in Leipzig. Seitdem werden hier Kantoren für ganz Deutschland ausgebildet. Wichtig sind sie vor allem für kleinere Gemeinden, die keine eigenen Rabbiner haben. Während das liberale Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam auch Kantorinnen ausbildet, werden am ITJL in Leipzig nur orthodoxe Männer aufgenommen. Zur Jubiläumsfeier im Ariowitschhaus reiste auch Malovany, der aus New York stammende "Pavarotti der Synagogalmusik" an.

Mindestens drei bis vier Jahre dauert die Ausbildung am Institut für Traditionelle Jüdische Liturgie (ITJL) in Leipzig. Die Kursteilnehmer kommen in der Regel direkt aus den Gemeinden, wo sie bereits Erfahrungen als Vorbeter gesammelt haben, wie Rabbiner Zsolt Balla erklärt.

"Das Gebet ist eine Kunst im Judentum"

Jubiläumsfeier im Ariowitschhaus in Leipzig
Rabbiner Zsolt Balla und Daniel Fabian bei der Jubiläumsfeier im Ariowitschhaus Bildrechte: MDR / Wolfram Nagel

Balla ist Direktor des Instituts, angesiedelt im Ariowitsch-Haus der jüdischen Gemeinde in Leipzig. Balla sieht "ein großes Bedürfnis bei kleineren Gemeinden für Vorbeter in der jüdischen Tradition". Zentral seien natürlich die hebräischen Texte: "Ein Vorbeter muss verstehen, warum er diese Texte spricht, wie sie wirken. Gebet ist eine richtige Kunst im Judentum."

Kantoren sollten obendrein musikalisches Talent und eine gute Stimme haben, wie Baruch Chauskin von der jüdischen Gemeinde Osnabrück erläutert. Der jüdische Musiker kam 1998 aus Riga nach Deutschland. Zwar habe er immer musiziert, aber im Leben nicht daran gedacht, dass er irgendwann Kantor werde: "Jüdische Musik, israelische Musik, das war klar. Das war dann ein Lernprozess."

Bis Chauskin als einer der ersten Studierenden am Institut in Leipzig aufgenommen wurde. Der 55 Jahre alte orthodoxe Kantor ist auch einer der ersten fünf Absolventen: "Ich bin wirklich sehr dankbar. Neben den Fachkenntnissen geht es ja auch um die ganze Stimmung. Kantor zu sein bedeutet nicht nur, dass alle melodisch richtig singen. Man muss auch ein Gefühl dafür haben, was braucht die Gemeinde, was braucht jeder einzelne, um es zu verstehen."

Leipziger Institut bildet derzeit 20 Kantoren aus

Jubiläumsfeier im Ariowitschhaus in Leipzig
Im Ariowitsch-Haus hat das Institut für Traditionelle Jüdische Liturgie (ITJL) seinen Sitz. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Derzeit studieren mehr als 20 Kandidaten am Leipziger Institut. Ausgebildet werden sie in der Liturgie aller jüdischen Gottesdienste, einschließlich der Hohen jüdischen Feiertage wie Rosch Haschana und Jom Kippur. Aber auch das Lesen der Tora und anderer Bibeltexte gehört dazu. Ein sehr anspruchsvolles Programm, das nicht jeder bewältigt. Deshalb hätten bisher so wenige Kantoren das Institut mit einem Diplom verlassen, bedauert Daniel Fabian als orthodoxer Landesrabbiner von Sachsen-Anhalt. Leider sei derzeit niemand aus seinem Bundesland am Institut, das aber grundsätzlich eine "tolle Sache" sei: "Denn wir brauchen natürlich Leute, die vorbeten können, die musikalisch sind und Gottesdienste mitgestalten, vor allen Dingen schön mitgestalten können." Fabian hofft, künftig noch mehr Interessenten für die Ausbildung gewinnen zu können.

Zusammen mit seinem Rabbinerkollegen Balla unterrichtet Daniel Fabian auch Halacha, die jüdischen Religionsgesetze. Dennoch sollte ein Kantor nicht den Rabbiner ersetzen, stellt Fabian klar: "Ein Rabbiner hat nicht die Aufgabe vorzubeten. Klassischerweise war der Rabbiner eher die Person, die das jüdische Gesetz kannte, anwenden und Fragen dazu beantworten konnte. Damit übernahm er die geistige Führerschaft der Gemeinde. Der Vorbeter gestaltete den Gottesdienst."

Gründungsrektor und "Pavarotti der Synagogalmusik" zu Gast in Leipzig

Jubiläumsfeier im Ariowitschhaus in Leipzig
Gründungsrektor war im August 2013 der Kantor Joseph Malovany, zur Nachfeier des Jubiläums reiste er an aus New York. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gründungsrektor des Instituts für Traditionelle Jüdische Liturgie ist der berühmte Kantor Joseph Malovany aus New York, auch "Pavarotti der Synagogalmusik" genannt. Mehrmals im Jahr kommt der 82jährige nach Leipzig, um Liturgie und Gesang zu unterrichten. Er betont, wie wichtig die Interpretation sei. Auf jedes Wort, jede Silbe, jedes Zeichen und jeden Ton komme es dabei an, sagt der jüdische Musik-Professor und erklärt: "Der Kantor bringt die Gebete der Menschen zu Gott. Der Rabbiner bringt die Worte Gottes zu den Menschen."  

Der Kantor bringt die Gebete der Menschen zu Gott.

Kantor Joseph Malovany Gründungsrektor des Instituts für Traditionelle Jüdische Liturgie in Leipzig

Genau das lernten seine Schüler, ob vor Ort in Leipzig oder bei Online-Seminaren.

Stichwort: Institut für Traditionelle Jüdische Liturgie in Leipzig (ITJL)

  • Im August 2013 wurde in Leipzig das Institut für Traditionelle Jüdische Liturgie (ITJL) gegründet, mit direktem Anschluss an die jüdische Gemeinde.
  • Seitdem werden hier Kantoren aus ganz Deutschland ausgebildet, Vorbeter für den Gottesdienst. Gebraucht werden sie vor allem in kleineren Gemeinden, die keine eigenen Rabbiner haben. Oft sind sie auch Religionslehrer, führen Beerdigungen durch, übernehmen andere gemeindliche Aufgaben.
  • Während das liberale Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam auch Kantorinnen ausbildet, werden am ITJL in Leipzig nur orthodoxe Männer aufgenommen
  • In Zusammenarbeit mit der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Jüdischen Gemeinden, ZWST, bietet das Leipziger Institut auch Vorbeter-Seminare an. Daran können auch Mitglieder liberaler Gemeinden teilnehmen.

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 03. März 2024 | 04:00 Uhr