Mittwoch, 12.05.2021: Katzenweg

Sie geht jeden Tag denselben Weg. Sommer wie Winter, bei jedem Wetter, immer wieder dieselbe Route. Quer über unsere Terrasse. Ich beobachte das seit Jahren und wundere mich über sie, die Katze aus der Nachbarschaft. Eigentlich unbeabsichtigt schnitt ich ihr eines Tages den Weg ab. Habe unsere Terrasse überdacht und eingezäunt. Aber was soll ich sagen: Das hält die Katze nicht ab, ihrem Weg nahezu unverändert treu zu bleiben. Nur wenige Zentimeterbreit auf dem Vorsprung der Stützmauer sind ihr geblieben, aber sie balanciert stoisch darüber und folgt ihrem Pfad.

Selbst der Wein, der sich inzwischen entlang dieser Stützmauer rankt und ihren Weg noch mehr behindert, hält sie nicht ab. Geschickt hebt sie ihre Pfötchen und bewältigt den Hindernisparcours. Ich bin kein Katzenexperte, aber ich frage mich, was in ihrem Kopf vorgeht. Warum wählt sie nicht einfach eine bequeme Ausweichroute? Aber nein, sie hält an ihrem Weg fest.

Soll ich sie dafür bewundern oder für verrückt halten? Aber gibt es sowas nicht unter uns Menschen auch? Da bleibt jemand seiner Überzeugung treu, da kann kommen, was will. Lässt sich durch nichts erschüttern. Davor ziehe ich den Hut. Andererseits kann solche Beharrlichkeit auch in Starrsinn ausarten. Einen Kompromiss schließen würde eine Situation erleichtern und entspannen, aber nein, das geht nur so! Das Gegenteil gibt es freilich auch: Von jeder anderen Meinung verunsichert werden, oder immer den Weg des geringsten Widerstandes wählen. Es ist ja gar nicht so einfach, den richtigen Weg zu finden und den dann auch stringent zu verfolgen, ohne unverbesserlich zu werden.

Das empfinde ich zum Beispiel bei der polarisierten Meinungsmache in der Pandemie so. Aber auch in Glaubensfragen. Da bin ich dankbar, dass mein Glaube kein starres System ist, in das ich mich füge, sondern dass Gott eine Person ist, an der ich mich orientieren darf. Orientierung finden heißt dann manchmal, einem Weg treu bleiben. Dann aber auch, mich auf ein neues Denken einlassen.

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