Vierte Welle voraus - Symbolbild zum Thema 4. Corona-Welle.
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Covid-19 Dynamik der vierten Corona-Welle – wann kommt der Scheitelpunkt?

23. November 2021, 17:10 Uhr

Lässt sich die aktuelle Corona-Welle mit einer der vorherigen vergleichen? Und kann man daraus vielleicht ableiten, wie lange sie dauern wird?

Der nächste Corona-Winter könnte genauso zäh und lang werden wie der vorige. Oder gar noch schlimmer. Oder doch besser? Niemand kann das genau wissen.
Es gibt Epidemiologen, die erwarten den Höhe- und damit Scheitelpunkt der vierten Welle Ende Dezember. Andere Modellierungen gehen, je nach Szenario, eher von Januar aus. Aber kein Modell kann vorhersagen, welche Maßnahmen getroffen werden. 3G, 2G, 2G+, Lockdown für alle, Lockdown für Ungeimpfte, Schulen und Kindergärten auf oder zu, bundesweit oder nur in einzelnen Ländern – die möglichen Kombinationen sind unüberschaubar in ihren konkreten Auswirkungen.

Was man aber tun kann, ist, auf die zurückliegenden drei Wellen zu schauen und zu prüfen, was sie zum Abebben gebracht hat und wie schnell das ging. Dann bekommt man vielleicht eine Ahnung davon, in welchem Stadium der vierten Welle wir aktuell sind.

Erste Welle

Verlauf Lockdown erste Welle
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Man könnte es den "idealen Lockdown" nennen, der die erste Welle im Frühjahr 2020 beendet hat. Wenige Wochen genügten, um Neuinfektionen und mit etwas zeitlichem Verzug auch Erkrankungen auf ein Minimum zu reduzieren.

Aber das Virus war damals noch nicht mutiert und nur etwa halb so ansteckend wie die Delta-Variante. Der Lockdown wurde von einer großen Mehrheit mitgetragen. Die Saisonalität des Virus kam dazu, also der Fakt, dass mit mehr UV-Strahlung und höheren Temperaturen weniger Ansteckungen geschehen. Vergleichbar ist dieses Szenario mit dem aktuellen also kaum.

Zweite und dritte Welle

Verlauf Lockdowns zweite und dritte Welle
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Die nächsten beiden Wellen gingen ineinander über. Die politischen Maßnahmen begannen mit dem "Lockdown light" im November vor einem Jahr. Aber das brachte nur wenig, die Infektionszahlen stiegen weiter statt zu fallen, die Patientenzahlen in Krankenhäusern und Intensivstationen ebenfalls.

Verschärfungen ab 16. Dezember und der harte Lockdown ab 6. Januar brachten dann die gewünschten Erfolge. Von da an gingen die Infektionszahlen (und mit zeitlichem Verzug auch die Patientenzahlen) nach unten, bis die mutierte Alpha-Variante des Virus die Oberhand gewann und die dritte Welle auslöste, die erst im Mai vorüber war.

Dieses Szenario, vor allem die Welle im November, ist schon eher mit der jetzigen Situation vergleichbar: Gleiche Jahreszeit, ähnliche Sorglosigkeit im Sommer zuvor, ein paar Einschränkungen – aber nicht so viele, dass die Infektionszahlen runtergehen.

Vierte Welle

Im Gegensatz zur zweiten Welle ist nun die Mehrheit der Deutschen geimpft. Aber um die Ansteckungskraft der Delta-Variante auszugleichen, reicht die Impfquote offenbar nicht. Das wäre nicht weiter wild, wenn aus den Infektionen keine schweren Erkrankungen erwüchsen. Aber das tun sie weiterhin.
Die Zahl der Covid-19-Intensivpatienten ist Stand heute (23. November) höher als vor einem Jahr, und sie steigt aktuell auch schneller als vor einem Jahr.

Und siehe da, die Zahl der Neuinfektionen ist eben doch nicht plötzlich egal geworden, wie manche noch im September gehofft haben. Nein, weiterhin muss ein gewisser Anteil der Infizierten auf die Intensivstation. Ein geringerer zwar als vor einem Jahr. Aber wenn die Infektionszahlen extrem viel höher sind als damals, nützt das offensichtlich wenig.

Eine Überlastung ist in einigen Intensivstationen schon eingetreten und steht in anderen unmittelbar bevor, zumal es nun etwas weniger Pflegekräfte gibt als vor Jahresfrist.

Nowcasting

Man sollte also dringend weiterhin sehr stark auf die Infektionszahlen achten. Daraus kann man dann abschätzen, wann sich ein Steigen oder Fallen auf die Patientenzahlen auswirkt. Weil es bei den Infektionszahlen Meldeverzüge gibt, hat das RKI schon in den ersten Phasen der Pandemie das sogenannte Nowcasting entwickelt.

Dieses rechnet per sinnvoller Schätzung die zeitlichen Diagnose-, Melde- und Übermittlungsverzüge aus den gemeldeten Zahlen heraus. Die daraus entstandenen Zahlen spiegeln besser wider, wann sich Menschen wirklich infiziert haben. Einziger Nachteil: Die Zahlen enden vier bis fünf Tage in der Vergangenheit.

Das folgende Diagramm zeigt in der zweiten, dritten und vierten Welle den Unterschied zwischen gemeldeten Zahlen (schwarz) und Nowcasting-Zahlen (weiß). Man sieht, die Nowcasting-Zahlen zeigen Infektionen etwas früher und bilden auch eine gewisse Dunkelziffer mit ab, deshalb sind sie leicht höher.

Wenn man diese Kurve der Nowcasting-Zahlen dann als Grundlage für den tatsächlichen Infektionszeitpunkt nimmt, kann man mehrere Dinge besser abschätzen: 1. Wie schnell und gut wirken Maßnahmen? 2. Wie schnell wirkt sich ein Steigen oder Fallen auf Patientenzahlen aus?

Im folgenden Diagramm haben wir deshalb die Nowcasting-Zahlen mit den Zahlen der Intensivpatienten verknüpft. Wieder werden zweite, dritte und vierte Welle gezeigt. Um die Kurven vergleichbarer zu machen, haben wir ihren Höhenmaßstab angepasst.
Sie können im Diagramm auch noch die Kurve der Hospitalisierungen hinzuschalten. Aber diese Werte sind oft zu niedrig, vor allem in der Aktualität.

Deutlich wird aus diesem Diagramm, dass jetzt in der vierten Welle der prozentuale Anteil der Infizierten, die auf der Intensivstation landen, tatsächlich geringer geworden ist. Das liegt daran, dass auch viele Geimpfte unter den Infizierten sind, die sehr gut vor einem schweren Verlauf geschützt sind.
Deutlich wird außerdem, dass man einen Scheitelpunkt bei den Infektionszahlen immer erst mit zwei bis drei Wochen Verzögerung als Scheitelpunkt bei den Intensivpatientenzahlen sieht. Im Diagramm können Sie auf alle Kurvenpunkte klicken und sehen dadurch das jeweilige Datum.

Das heißt aber eben auch, dass selbst wenn jetzt augenblicklich (Stand 23. November) die Infektionszahlen sinken würden, die Intensivstationen sich noch zwei bis drei Wochen weiter füllen. Beim derzeit herrschenden Tempo würde das noch höhere Zahlen als zum Jahreswechsel 2020/21 bedeuten.

R-Wert

Beim Nowcasting schätzt das RKI nicht nur die tatsächlichen Infektionszahlen, sondern auch den R-Wert, also jene Zahl, die angibt, wie viele weitere Menschen eine infizierte Person im Durchschnitt angesteckt hat.
Dieses R war schon in der ersten Welle in aller Munde. Und man sollte wieder mehr darauf achten. Denn eines ist in allen Wellen gleich: Man kommt von hohen Infektionszahlen nur herunter, wenn R dauerhaft recht deutlich unter 1 liegt.

Auch diesen R-Wert kann das RKI nur bis vier oder fünf Tage in die Vergangenheit schätzen. Derzeit (Stand 23. November) nähert er sich der 1.

Er sollte aber über mehrere Wochen bei 0,9 oder sogar 0,8 liegen, damit sich die Lage entspannt.

(rr)

17 Kommentare

Denkschnecke am 25.11.2021

Na, Sie sind ja ein medizinischer Experte. Im Ernst:
a) Kein Impfstoff kann vollständig zu 100% immunisieren. (und glücklicher Weise sterilisiert er nicht, das fürchten ja auch manche Facebook-Konsumenten ^^) Komplett falsch ist, dass sich das Virus unter Geimpften ungestört ausbreiten könne.
Beide Faktoren haben sehr wohl etwas mit der "Ansteckungskraft" zu tun, was man allein daran sieht, wie die Delta-Variante alle anderen Varianten auf der ganzen Welt verdrängt hat. Gegen den "Wildtyp" immunisieren die mRNA-Vakzinen nämlich noch viel besser.
Wer das mit einer komplett anderen Virusklasse wie Pockenviren vergleicht, hat mit Velaub keine besonders tiefgehenden Kenntnisse der Immunologie.

Hajo aus NRW am 24.11.2021

Liebe(r) Moria,
ein interessanter Aspekt stand in der Tagesschau.de:

Beim Impfschutz muss allerdings zweifach differenziert werden - zwischen dem Schutz vor einer Infektion und dem vor einer schweren Erkrankung sowie zwischen dem individuellen und dem Gemeinschaftsschutz. So ist eine Infektion für eine gesunde Person kein großes Risiko, wenn sie durch eine Impfung vor einem schweren Verlauf geschützt ist. Das ist die individuelle Ebene.

Doch dann gibt es noch die Verantwortung für andere und den Gemeinschaftsschutz. So könnten jüngere Personen zwar vor einem schweren Verlauf geschützt sein, doch gleichzeitig das Virus weiter übertragen - und damit wiederum andere gefährden, die entweder nicht geimpft sind oder keinen ausreichenden Impfschutz (mehr) haben.

Beim "individuellen Impfschutz" ist eben wichtig, daß man vor einem schweren Verlauf geschützt ist und das Gesundheitssystem für schwere Fälle Ressourcen hat. So pauschal hat die Impfung nicht versagt.

Hajo aus NRW am 24.11.2021

Liebe(r) Moria,
sie fordern Test für Geimpfte. Sie wissen schon, daß die PCR-Testungen auf ihre zahlenmäßige Grenze zusteuern und wir Kapazitätsengpässe haben. Man muß sich entscheiden, wer getestet wird und da ist es sinnvoller Ungeimpfte generell und Geimpfte mit Symptomen zu testen. Mehr wäre sinnvoll, geht aber nicht. Und wenn alle Geimpft wären, hätten wir bei jüngeren/mittelalten weit weniger schwere Fälle und könnten uns krankenhaustechnisch auf schwere Fälle bei den Alten konzentrieren. Schnelltests haben in der symptomlosen Anfangsphase ihre deutlichen Schwächen, bei Geimpften ist die Sicherheit noch gar nicht erwiesen. Die Geimpften kann man zwar zusätzlich schnelltesten, aber es bringt wenig zusätzliche Sicherheit. Und bei den begrenzten Ressourcen muß man priorisieren. Ich bin übrigens gegen eine gesetzl. Impfpflicht obwohl ich freiwillig geimpft/geboostert bin. Die Politik soll sich konzentrieren die Boosterwilligen schnell zu schützen, denn da hapert es massiv.