Mutter hilft Tochter, die zu Hause Schularbeiten macht
Homeschooling - Leipziger Forscher untersuchten die Chancen und Risiken. Bildrechte: Colourbox.de

Corona und Homeschooling Lernen ohne Lehrer – Risiko oder Chance?

22. Januar 2022, 05:00 Uhr

Als im ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 die Schulen geschlossen wurden, hatten weder Lehrer noch Schüler eine Ahnung, was Homeschooling ist und wie es funktioniert. Für die meisten Grundschüler hieß das: Lernen ohne Lehrer. War das eine Chance, eigene Lernstrategien zu entwickeln oder ein Risiko, auf der Strecke zu bleiben?

Dieser Frage gingen Wissenschaftler aus Leipzig, Freiburg und Landau nach. Dazu untersuchten sie die tatsächliche Leistungsentwicklung von 63 Jungen und Mädchen über einen Zeitraum, der den Frühjahrslockdown 2020 einschloss. In bereits vorliegenden Studien waren Eltern und Lehrer befragt worden, von denen etwa ein Fünftel bis zwei Drittel erwarteten, dass sich die Schulschließungen negativ auf den Lernerfolg auswirken würden.

Keine generellen Lerndefizite nachgewiesen

Das Forscherteam um Prof. Henrik Saalbach und Susanne Enke von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät sowie dem Leipziger Forschungszentrum für frühkindliche Entwicklung der Universität Leipzig konnte jedoch keine substanziellen Lerndefizite durch die Pandemie nachweisen. Dieser Befund decke sich auch mit Ergebnissen anderer Studien, so Saalbach. Diese zeigten darüber hinaus, dass die Kinder sich hinsichtlich ihrer Leistungen sehr unterschiedlich entwickelten.

Manche Kinder zeigten tatsächlich große Rückstände, während einige sogar zu profitieren schienen.

Prof. Henrik Saalbach, Erziehungswissenschaftler

Haben die Eltern vieles abgefangen?

Diese Frage können die Studienergebnisse nicht eindeutig beantworten, da hier mehrere Faktoren eine Rolle spielen: Wächst das Kind in einer bildungsfernen oder bildungsnahen Familie auf? Hatten die Eltern überhaupt die Möglichkeit und die Ressourcen, den neuen Alltag im Lockdown zu bewältigen? Mit Homeoffice, mit der Versorgung der Kinder und des Haushalts? Mit dem Unterricht zu Hause? Hatten Sie Unterstützung durch Verwandte und Freunde? War all das gegeben, waren die Eltern durchaus die wichtigste Stütze für ihr Kind. Denn zwei Drittel der Studienteilnehmer hatten während der Schulschließung überhaupt keinen oder kaum Kontakt zu ihren Lehrern.

Das ist ein Armutszeugnis für das Bildungssystem, beziehungsweise für die Umsetzung des Fernunterrichts.

Prof. Henrik Saalbach

Dabei zeigte die Studie, wie wichtig die Rückmeldungen von den Lehrern für die Kinder waren: 70 Prozent des Feedbacks auf Mathematik- und 77 Prozent des Feedbacks auf Deutschaufgaben schätzten sie als hilfreich ein.

Es kommt auch aufs Kind an

Was die Studie zeigt, ist, dass vor allem die Kinder auch ohne Unterstützung gut vorankamen, die sich grundsätzlich weniger ablenken lassen und an Aufgaben konsequent dran bleiben – gut ausgeprägte selbstregulatorische Fähigkeiten nennen es die Psychologen und Erziehungswissenschaftler. Allerdings ist diese Kompetenz bei Grundschülern meist noch nicht so stark ausgeprägt.

Welche Folgen wird das Homeschooling langfristig haben?

Darüber können Saalbach und Enke nur spekulieren. Ohne weitere Längsschnittstudien ist dazu keine Aussage möglich. Zumindest konnten sie aber dokumentieren, dass die Schüler der Grundschulen in den Kernfächern Mathematik und Deutsch ausreichend mit Arbeitsmaterial und Aufgaben versorgt waren. Wieviel sie davon verinnerlicht haben, wird sich auf lange Sicht zeigen müssen.

Schon jetzt sollten Maßnahmen erarbeitet werden, wie mögliche Lernrückstände aufgeholt werden können, so die Wissenschaftler. Da die Unterschiede zwischen den Kindern sehr groß sein können, wie ihre Studie zeigte, müssen dafür passgenaue Konzepte entwickelt werden. Ob die Kompensationsangebote wirken und bei welchen Kindern weiterhin Förderungsbedarf bestehen wird, kann aus ihrer Sicht etwa durch regelmäßige Lernstandserfassung über die kommenden Schuljahre hinweg bewertet werden. Welche Folgen das Homeschooling konkret für die Psyche der Kinder hat oder haben wird, wurde in der Studie nicht untersucht.

Soziale Kontakte sind für die Entwicklung und das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen sehr relevant.

Susanne Enke, Erziehungswissenschaftlerin

Virtuelle Kontakte könnten das nicht kompensieren, so Enke. Erste Studien zeigten tatsächlich, dass das Risiko von psychischen Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie substantiell angestiegen und deutlich ausgeprägter als bei Erwachsenen ist.

Catherine Gunzenhauser, Susanne E. Enke, Verena E. Johann, Julia Karbach, Henrik Saalbach "Parent and Teacher Support of Elementary Students’ Remote Learning During the COVID-19 Pandemic in Germany"

krm

4 Kommentare

Reuter4774 am 23.01.2022

Es geht garnicht um private Abende. In der ganzen Zeit waren die Tagesstätten für Senioren offen die Leute wurden in Taxen von daheim abgeholt und saßen ohne Maske zusammen ( in unserer Straße sind 2 Tagesstätten Awo und Volkssolidarität). Und die Kinder sehen das und haben natürlich nicht verstanden, warum Kinder was aushalten müssen was Erwachsene nicht schaffen.

Reuter4774 am 23.01.2022

Kinder brauchen genauso soziale Interaktion wie alle anderen Menschen! Warum wird das hier generell in Frage gestellt. Bei Senioren, Heimbewohnern, Klinikpatienten gilt das als wichtig und normal?
Aber ein Land das als Erstes Bildung und Kultur schließt, als einziges europäisches Land. Aus den ( offenbar noch sehr gegenwärtigen) dunklen Zeiten Deutschlands garnichts gelernt?

Demokrat am 22.01.2022

Bedingt haben Kinder und Jugendliche sicherlich die Möglichkeit, selbst zu lernen. Sonst gäbe es keine Hausaufgaben, nur Frontalunterricht.
Nur fehlte eben im Lockdown vor allem der Kontakt zu Gleichaltrigen. Die psycho-soziale Entwicklung ist wichtiger als Wissensstände, aber schwieriger zu erfassen.
Selbst in bildungsnahen Familien ging der Heimunterricht voll zu Lasten der Mütter, die eine Doppel- bis Dreifachbelastung zu bewältigen hatten.
"Gut ausgeprägte selbstregulatorische Fähigkeiten" sind überall wichtig, und Jüngere, sozial integrierte am besten zu in der Lage. Das darf nur eben über den grundsätzlichen Mangel und letztlich dem Vernachlässigen, dem Traumatischen nicht hinwegtäuschen, schon gar nicht Unrecht zu Recht werden lassen. Und das stellte monatelange Schulschließungen mit dem Unwillen sie wieder zu öffnen, eine jugendfeindliche Politik auf dem Rücken anderer zweifellos dar!
Pärchenabende ohne Einschränkung für Situierte, keine Freizeit und Entwicklung für die Jugend.