Medizininformatik Biomarker: Die Whistleblower des Körpers

24. Mai 2021, 10:00 Uhr

Gibt es Merkmale im Körper, an denen Mediziner verlässlich erkennen können, ob jemand schwer an Covid-19 erkranken wird? Was sagt die Zahl der Killer T-Zellen aus und was verraten bestimmte Eiweiße über Entzündungen?

Eine junge Frau sieht durch ein Mikroskop 5 min
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Blut, Schweiß und Urin: Biomarker finden sich in jeder Körperflüssigkeit, auch im Speichel, der Hirnflüssigkeit, sogar in den Haaren und den Tränen. Chemisch gesehen sind es meist Eiweißmoleküle, die sozusagen als die Whistleblower des Körpers fungieren. Leider sind ihre Informationen oft nicht klar und eindeutig, sagt Berend Isermann, Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik am Uniklinikum Leipzig: "Es gibt leider nur wenige Biomarker, die konkret nur eine Erkrankung anzeigen."

Biomarker für Covid-Verlauf

Die einzige Ausnahme sei Troponin T, ein Eiweiß, das bei Infarkten und ähnlichen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Herz gebildet werde. "Für andere Organe haben wir das leider nicht so spezifisch. Da ist es schwieriger mit absoluter Sicherheit zu sagen, ob die Erkrankung in einem Organ vorliegt oder nicht. Das muss man immer in Abhängigkeit von den Beschwerden, die der Patient angibt, interpretieren", sagt Isermann. Die Biomarker verraten dem Arzt zwar eindeutig, dass im Körper irgendetwas anders abläuft als normal. Aber sie sagen nicht klar, was es ist oder wo die Ursache liegt.

Die kürzlich von Aachener und Hamburger Medizinern als Marker für schwere Covid-19-Verläufe identifizierten Stoffe ADMA und SDMA kennen die Ärzte schon aus anderen Zusammenhängen. Sie zeigen Gefäßentzündungen an. Bei schwerkranken Coronapatienten fanden die Forscher aber besonders hohe Konzentrationen dieser Biomarker.

Nur noch wenige der natürlichen Killer-T-Zellen fanden Züricher Mediziner bei Menschen mit schweren Covid-19- Erkrankungen. Ein Phänomen, das auch bei bestimmten Autoimmunerkrankungen oder AIDS auftritt. Auch hier gilt: erst die konkrete Konzentration in Verbindung mit der Diagnose Covid-19 macht aus den Killer-T-Zellen einen Biomarker.

Proteine als Biomarker

Berend Isermann, Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik am Universitätsklinikum Leipzig
Berend Isermann, Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik am Universitätsklinikum Leipzig. Bildrechte: Stefan Straube / UKL.

Dass es zwei Biomarker für eine Krankheit gibt, ist nicht außergewöhnlich, erklärt Professor Isermann. "Letztendlich greifen beide Biomarker unterschiedliche Aspekte der gleichen Krankheit ab. Der eine Biomarker verweist mehr auf die Entzündungsreaktion und die Entzündungszellen und der andere mehr auf die Schädigung des Gefäßes, die gerade bei der Covid-Erkrankung eine große Rolle spielt." Je nachdem, welchen Schwerpunkt ein Mediziner setze, seien unterschiedliche Biomarker relevant. "Letztendlich muss ich dann im Verlauf sehen, welcher dieser Biomarker eine bessere Aussagekraft hat für den Patienten und für die Erkrankung."

An die 1.000 verschiedene Biomarker können Hi-Tech-Labore wie das der Leipziger Uniklinik heute schon detektieren. Wie viele es überhaupt geben kann, da zuckt auch ein Experte wie Professor Isermann nur ratlos die Schultern. In der Laboratoriumsmedizin vollzieht sich gerade eine Revolution. Vor 20 Jahren sorgte die Entzifferung des menschlichen Genoms für einen Wissensschub. Heute steht die RNA im Fokus. Die RNA übersetzt den genetischen Bauplan der Erbinformation DNA in Eiweiße. Ob und wie die RNA arbeitet, lässt Rückschlüsse auf Krankheiten zu. "Eine andere Gruppe von Biomarkern, die noch schwieriger zu erfassen sind, aber wo wir sehr, sehr gute und spezifische Methoden haben, sind die Eiweiße selber und deren Veränderungen. Eiweiße verändern sich im Laufe von Erkrankungen. Da ist dann wichtig, nicht nur das Eiweiß selber zu erfassen, sondern auch seine Veränderungen."

Grundlage für eine personalisierte Medizin ist eine personalisierende Diagnostik.

Berend Isermann, Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik

Solche Veränderungen der Eiweiße helfen, den Verlauf einer Krankheit besser vorherzusagen. Oder sie zeigen, ob eine Therapie anschlägt. Das ist beispielsweise bei der Krebsbehandlung wichtig, wo manche Medikamente nur wirken, wenn bestimmte biochemische Voraussetzungen vorliegen.

Die richtigen Biomarker zu kennen, ist die entscheidende Voraussetzung für eine auf den individuellen Patienten abgestimmte Medizin, betont Berend Isermann. "Gerade hier ist die künstliche Intelligenz in Zukunft noch mehr gefordert, weil man damit den Verlauf der Werte von Biomarkern noch besser vorhersagen kann, und so auch für das Individuum, den einzelnen Patienten eine genaue Vorhersage machen kann. Die Grundlage für eine personalisierte Medizin ist eine personalisierende Diagnostik. Wenn wir die nicht haben, dann können wir auch keine individuelle persönliche Therapie machen."

Laborwerte liefern Entscheidungshilfen

Das Faszinierende an den Biomarkern ist: sie verraten Krankheiten lange bevor Beschwerden auftauchen. Und es sind objektive Messungen, sie hängen nicht von der Erfahrung des Arztes ab. Aber ohne das ärztliche Wissen, wie sie einzuordnen sind und wie sie mit Krankheiten zusammenhängen, bleiben sie nur Laborwerte, betont Professor Isermann, der auch Facharzt für Innere Medizin ist. "Wir sind noch nicht so weit, dass wir einfach eine Maschine dahinsetzen könnten, die dann Laborwerte interpretiert und dann ein fertiges Ergebnis rausgibt. Vielleicht werden wir es auch nie schaffen."

Blut, Schweiß, Tränen und Urin können aber viele Biomarker liefern und damit Entscheidungshilfen für den Arzt. Die Medizin wird damit objektiver, weniger von den Erfahrungen des einzelnen Arztes abhängig.

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