Ein Mann steht in einem Archiv und blättert in einem Album.
Tausende Bilderrätsel warten noch in Schubern, Ordnern und Regalen, für deren Digitalisierung Paul Perschke sorgt. Bildrechte: IRS Erkner

Citizen Science Wo war das? Als Hobby-Forscher DDR-Geschichte entschlüsseln

15. Juni 2023, 05:00 Uhr

Genau wie Ölgemälde aus früheren Tagen verraten Fotos viel über die Zeit, in der sie gemacht wurden. Um Fotos aus der DDR zu entschlüsseln, sind Freiwillige gesucht – für ein Wissenschaftsprojekt.

Digitale Fotos, die wir heute machen, verraten selbst, wo sie gemacht wurden und wann. Fotos, die wir in Kartons finden, oder in Aktenordnern, wenn wir zum Beispiel den Haushalt Verstorbener auflösen, werfen oft Fragen auf: Wo war das denn und wann? Ein Citizen-Science-Projekt des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung schaut sich genau solche Fotos an und setzt auf das Wissen der Allgemeinheit und kann so rückblickend Stadtplanung, Architekturentwicklung sowie Alltag entschlüsseln.

Geschichtsforschung: Wer was weiß, erhält Wissen für andere

Und wie sieht nun diese Geschichtsforschung per Foto-Analyse konkret aus? Das Institut stellt auf der Onlineplattform Zooniverse historische Fotos ein. Wer die Seite besucht, bekommt dann zufällig Fotos gezeigt, zu denen abgefragt wird, was das Bild zeigt. Als Nutzer kann man einfach eine Bildbeschreibung abgeben mit den Stichworten, die man selbst zur Suche benutzen würde. Aber es können auch Gebäudetypen identifiziert werden, Landschaften, etc. Man kann aber das Bildrätsel auch "lösen" wie bei einem Quiz und unter der Rubrik "identifizieren" den Ort benennen, der auf dem Bild zu sehen ist.

DDR-Fotos: Was zeigen Bilder und wo wurden sie gemacht?

Die Bilder stammen aus verschiedenen Quellen, erzählt Stadthistoriker Paul Perschke, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts. Zum einen wurde 1992 der Foto-Bestand des Instituts für Städtebau und Architektur (ISA) der Bauakademie der DDR übernommen. Im Laufe der Jahre kamen mehr als 150 private Nachlässe von Architektinnen und Planern der DDR dazu. Dabei handelt es sich Perschke zufolge um 200.000 Fotos in Form von Abzügen, Negativen und Dias aus der ganzen DDR. Waren anfangs hauptsächlich Bilder aus Ost-Berlin eingestellt, werden nach und nach auch Fotos aus Städten und Dörfern aus der ganzen DDR zur Bearbeitung freigegeben.

Aber was macht man mit den ganzen Daten? Zum einen lässt sich aus Bildern viel über die die Entwicklung der Architektur und der Stadtplanung ablesen, sagt Paul Perschke. Die Bilder geben aber auch Einblicke in die Alltagsgeschichte.

Der Vorgänger der DHL-Box: Schließfach mit Schlüsselzulieferung

Eine Frau geht an einer HAuswand entlang, davor hängt ein gelber Postkasten und dahinter gibt es eine Reihe von Schließfächern
Paketschließfächer in der DDR, in Berlin Marzahn. Bildrechte: IRS Erkner/Wiss. Samml., Bestand Rietdorf, Sig. C105-01684

Ein Beispiel dafür ist ein Foto, das Schließfächer in einem Wohngebiet zeigt. "Das war ein spannendes Aha-Erlebnis", sagt Perschke. "Wir konnten das erst mal nicht zuordnen, dachten, es wären vielleicht Paketboxen. Dann schrieb ein Nutzer, das seien Paketboxen, in die von der Post Pakete in Boxen ausgeliefert wurden." Der Beschreibung nach wurden die Schlüssel dem Empfänger in den Briefkasten geworfen. Der holte dann seine Sendung aus der Paketbox, der Schlüssel blieb über einen Mechanismus dann in der Box stecken, bis der Postbote das nächste Päckchen lieferte und den Schlüssel wieder in den Briefkasten des nächsten Empfängers steckte. "Sozusagen eine ältere Form unserer heutigen DHL-Zustellboxen," sagt Forscher Perschke. Das Projekt scheint auf Zooniverse gut anzukommen, vermutlich ist es die Mischung aus Überraschungsmoment, denn man weiß nicht, welches Foto als nächstes ausgespielt wird, zum anderen, dass hier Fotos gezeigt werden, die mit der persönlichen Geschichte der Betrachtenden zusammenhängen können. Spannend sind aus seiner Sicht auch die Hinweise zu Bildern, die manche Nutzer unter dem Button "Diskutieren" auf der Projektseite hinterlassen.

Archivschätze heben: Projekt will Plattform entwickeln

Allerdings ist es nicht allein die Analyse des Bildmaterials, an der Paul Perschke arbeitet. Ziel des Projektes ist es, eine Plattform zu entwickeln, die auch anderen, kleineren Archiven zur Verfügung gestellt werden kann. Oft lagern in kleineren Häusern und Archiven ungehobene historische Schätze, weil Geldmittel zur Erschließung und Einordnung von Dokumenten, Bildern etc. fehlen. Eine entsprechende Plattform, die bei Sichtung und Analyse unterstützt, hilft dabei, das kulturelle Gedächtnis zu bewahren.

Blick in eine ausgezogene Archivschublade mit einem Bild das Hochhäuser zeigt.
Bilder ohne Beschriftung verbergen Wissen Bildrechte: IRS Erkner

Links/Studien

Hier geht es zur Seite, auf der man Bilder zur Architektur und Alltag der DDR sichten, bschreiben und entschlüsseln kann.

lfw

Illustration zur Magnetosphäre der Erde
Die Magnetosphäre der Erde ist eine magnetische Blase, die unseren Planeten umhüllt und vor den meisten geladenen Teilchen schützt, die von unserer Sonne kommen. Wenn jedoch solare Teilchen auf die Magnetosphäre treffen, können sie die Magnetfeldlinien und das Plasma um die Erde wie die gezupften Saiten einer Harfe in Schwingung versetzen und Wellen mit sehr niedrigen Frequenzen erzeugen. Bildrechte: Martin Archer (Imperial College London), Emmanuel Masongsong (UCLA), NASA

Wissen

Ein wildlebender Schimpanse 4 min
Bildrechte: Colourbox.de

0 Kommentare