Biodiversität Adieu, Borkenkäfer: Mischwald fördert Insektenreichtum und Resistenz gegen Schädlinge
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28. April 2023, 10:46 Uhr
Insektenvielfalt in Wäldern ist bisher kaum ein Thema. Dabei könnten sie eine zentrale Rolle bei der Stärke und Gesundheit eines Waldes spielen, zeigt ein mehrjähriges Experiment in China, an dem auch Forschende aus Mitteldeutschland beteiligt sind.
Der Welt tut's gut, wenn es kreucht und fleucht – nicht nur auf den Wiesen und Feldern, sondern auch in den Wäldern. Und während das Insektensterben und landwirtschaftliche Monokulturen mittlerweile Themen am gewöhnlichen Abendbrottisch sein dürften, sind forstwirtschaftlich bedrohte Tierchen noch kein allzu populäres Gesprächsthema. Wissenschaftliche Pionierarbeit aus China unter Beteiligung von deutschen und Schweizer Forschenden könnte das ändern – und nebenbei dem Borkenkäfer den Garaus machen. An der vorliegenden Studie beteiligt waren auch zwei Forschende des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig.
Das Team konnte zeigen, dass mit dem Artenreichtum im Baumbestand auch der Artenreichtum beim Insektenbestand Einzug hält – und auch deren Bestand. Mehr Insekten heißt im Übrigen weniger Borkenkäfer, auch wenn das erstmal widersprüchlich klingt – dazu gleich. Die Forschenden haben für ihre Untersuchung 47 Testfelder im Osten Chinas angelegt, jeweils mit 400 Bäumen. Die Felder unterschieden sich in der Anzahl der Baumarten, die von Monokulturen mit einer Art bis Mischwälder aus 24 Arten reichten. Zwischen 2015 und 2020 wurden hier Daten zum Insektenbestand erhoben.
Bei den Untersuchungen hat sich nicht nur ein Zusammenhang der Artenvielfalt bei Baum und Tier gezeigt. Sondern auch, dass mehr Insekten zu einer höheren Primärproduktion führen – also zu mehr Biomasse im Wald. "Die Studie zeigt klar, dass artenreiche Wälder auch forstwirtschaftlich mehr Ertrag abwerfen können", so die Einschätzung von Christoph Scherber, Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels in Bonn. "Durch mehr Vielfalt im Wald ergibt sich so eine Win-win-Situation, bei der sowohl die Natur als auch die Forstwirtschaft gewinnen können." Das Papier bringe zudem auch Überraschungen mit: "Ein weiteres wesentliches Ergebnis ist, dass tatsächlich die räuberischen Insekten und Schlupfwespen, nicht aber die Prädation [also das Gefressenwerden] durch Vögel, für die beobachteten Effekte verantwortlich zu sein scheinen."
Von wegen friedliche Pflanzenfresser
Bei den Insekten gibt's aber Unterschiede: Im Gegensatz zu Parasiten und räuberischen Insekten wirken sich Pflanzenfresser negativ auf die Primärproduktion des Waldes aus. In artenreichen Wäldern, in denen Fleischfresser einen geeigneten Lebensraum finden, wird der Bestand an pflanzenfressenden Insekten aber auf natürliche Weise kontrolliert. Und das ist keine Randnotiz, sondern eine wichtige Erkenntnis.
Die Erkenntnisse lassen sich durchaus auf Deutschland und Mitteleuropa übertragen. Und damit auch auf einen gar nicht so friedlichen Pflanzenfresser, den Borkenkäfer, der hiesigen Monokulturen zu schaffen macht – oder der Klimawandel, wie man's eben dreht. Es gehe aber nicht nur um ihn und seine Hinterlassenschaften im einstigen Nadelwald, betont Wolfgang Weisser mit Blick auf das vorliegende Papier. Weisser ist Inhaber des Lehrstuhls für terrestrische Ökologie an der TU München und war auch an der Datenerhebung des iDiv-Jena-Experiments beteiligt, an der sich die neue Studie orientiert hat. Bei der klimawandelbedingten Massenvermehrung von Schadinsekten gehe es "auch beispielsweise um Schwammspinner und Eichenprozessionsspinner im Laubwald. Dies muss in einer gemeinsamen Aktion von Waldbesitzern und Wissenschaft untersucht werden".
Die vorliegenden Studiendaten bezeichnet Weisser gegenüber dem Science Media Center als "einzigartig". Gleichzeitig weist er aber auf die Schwächen der Studie hin, die zwar einen Zusammenhang zwischen Insektenarten und Biomasse herstelle, den aber nicht unumstößlich belegen kann: "Letztendlich würde ein Experiment benötigt, indem die Pflanzenfresser und die Räuber unabhängig voneinander entfernt werden müssten. Dies ist logistisch fast nicht möglich, aber zumindest könnte ein Experiment mit einem Insektizid zeigen, dass die Pflanzenfresser tatsächlich einen großen Einfluss auf die Pflanzenbiomasse haben."
Große Forschungslücke: Biodiversität in Wäldern
Weisser kritisiert, dass es derzeit fast kein Monitoring der Biodiversität in Wäldern gebe. Es fehle auch an Experimenten zur Zusammensetzung von Baumarten, Anzahl der Arten und Variation beim Waldmanagement. "Dies ist dringend, weil im Moment niemand weiß, wie der resiliente Wald der Zukunft eigentlich aussehen sollte", so Weisser. "Es werden auch fremdländische Arten diskutiert, die die Fichte ersetzen sollen – zum Beispiel die Douglasie –, aber wir wissen leider immer noch sehr wenig darüber, wie eine Beimischung solcher Arten die einheimische biologische Vielfalt beeinflusst."
Eine Forderung, bei der auch Christioph Scherber vom Leibniz-Institut in Bonn mitgeht: "Die Bundeswaldinventur sollte unbedingt um Biodiversitäts-Komponenten erweitert werden." Immerhin einen Anfang, wenn auch einen besorgniserregenden, haben Forschende der TU Darmstadt kürzlich gemacht und Anfang April ihre Ergebnisse zur Entwicklung der Insektenarten in deutschen Wäldern veröffentlicht. "Über sechzig Prozent der untersuchten Insektenarten waren rückläufig", sagt der Biologe Michael Staab, Hauptautor der Studie. Die Ergebnisse der Studie würden nahelegen, dass eine gezielte Bewirtschaftung, einschließlich der Förderung einer natürlicheren Baumartenzusammensetzung und eines reduzierten Holzeinschlags, dazu beitragen kann, das Insektensterben in unseren Wäldern abzuschwächen. Die neuen Daten aus China könnten diese Erkenntnisse abermals untermauern.
flo, SMC
Links/Studien
Die Studie Multitrophic arthropod diversity mediates tree diversity effects on primary productivity erschien am 27. April im Fachblatt Nature Ecology & Evolution.
https://doi.org/10.1038/s41559-023-02049-1
Die Studie Insect decline in forests depends on species’ traits and may be mitigated by management erschien am 4. April in Communications Biology.
DOI: 10.1038/s42003-023-04690-9
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Warum wir Artenvielfalt zum (Über)Leben brauchen | 11. April 2023 | 20:00 Uhr
THOMAS H am 29.04.2023
knarf: Meines Erachtens müssten diese Frage nach den Erkenntnissen in Bezug "Zusammensetzung von Baumarten, Anzahl der Arten und Variation beim Waldmanagement.", welche Herrn Weisser fehlen, die zwei deutschen Wissenschaftler, die an der Studie beteiligt waren beantworten können, wobei ich meinen ersten Satz im oberen Kommentar mit einem Fragezeichen hätte versehen müssen, so daß es nicht als Vermutung aufgefasst wird.
knarf am 29.04.2023
THOMAS H:Um eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten,
werden Sie sich wohl
z.B.an die Forstwirtschaft
wenden müssen.Aus der Luft gegriffene Vermutungen werden Ihnen sicher nicht helfen.
AlexLeipzig am 28.04.2023
Stimmt. Ich finde es zwar zumindest positiv, daß es einen Artikel zu dem Thema gibt und daß sich Wissenschaftler mit den tieferen Zusammenhängen beschäftigen, aber als "normaler" Mensch mit halbwegs intakten Sinnen sollte die Essenz der vorgestellten Studie eigentlich auch keine Neuigkeit oder Überraschung darstellen...