Schwarz-weiß Bild Fenster von Albrecht-Lebensmittel Aldi-Vorgänger 1950er Jahre, Bananen 500g
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MDR KLIMA-UPDATE | 4. August 2023 Die hundsgemeinen Machenschaften der kleinen Schattenpreise

Ausgabe #100 vom Freitag, 4. August 2023

04. August 2023, 11:53 Uhr

Lebensmittel sind teurer als wir denken. Der Aufschlag kommt an anderer Stelle. Ein Forschungsprojekt und eine Aktion von Penny wollen das durch satte Aufschläge zeigen – was steckt dahinter? Und ist das der Weg?

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Guten Tag zusammen,

(ooh … die hundertste Ausgabe des MDR Klima-Update. Egal. Danke für alles. Weitermachen.)

Der sächsische Belehrungs-Eifer ist nicht ganz so aus mir herauszubekommen, wie man es sich wünschte. Und so werde ich nicht müde, ungefragt den Menschen in meinem Umfeld vorzurechnen, dass hochwertige Lebensmittel gut angelegtes Geld im Vergleich zur Discount-Ware sind und zum Beispiel ein Laib Bio-Vollkornbrot für sechs Euro einfach mehr sättigt als das Tütenbrot für die Hälfte und man eben entsprechend weniger davon essen muss.

Das verhält sich bei Kalamata-Oliven und Bergkäse und Nuss-Nugat-Creme dann aber blöderweise in die entgegengesetzte Richtung – verdammte Völlerei. Und überhaupt sind Lebensmittelpreise eine soziale Frage. Wenn's hinten und vorn nicht reicht, werden die elitären Rufe nach höheren Werten und höherer Wertschätzung im Kühlregal nur zum Salz in der Wunde.

Die ebenfalls versalzene Tatsache ist, dass wir hierzulande in einer Gesellschaft leben, die sich komplett auf Billig-Essen eingeschossen hat und deren Mindestlöhne und Sozialleistungen sich an den durch Aldi und Konsorten standardisierten Lebensmittelpreisen orientieren. Das ist eine Gesellschaft, die vergessen hat, dass Mutter Natur ihre Ressourcen leider nicht zum Discount-Tarif erneuern kann – ob nun bio oder nicht. Darum geht’s diese Woche.


#️⃣ Zahl der Woche:

25

… Prozent mehr Fahrgäste als im April seien im Juni im Nahverkehr mit DB Regio unterwegs gewesen, das gab die Deutsche Bahn-Tochter bekannt. Hintergrund sei die Einführung des 49-Euro-Deutschlandtickets. Die Fahrgäste hätten zudem weitere Strecken zurückgelegt. DB Regio betreibt vielerorts Regionalbahn- und Expresslinien, aber auch S-Bahnen und Busse. Indes sollen in Sachsen-Anhalt für die Abellio-Verbindung zwischen Halle und Kassel schon mal neue Züge bestellt werden. Die Zunahme von Zugfahrten legen auch Bewegungsdaten des Mobilfunkanbieters Telefónica nahe. Pro Bahn kritisiert derweil, dass bisher wenig Menschen umsteigen würden, die nicht ohnehin mindestens gelegentlich im ÖPNV unterwegs seien.

Die kleinen Preise sind zurück – und kommen einfach oben drauf!

Penny, das ist die Discount-Linie der Rewe. Die Märkte stehen im gleichen Verhältnis wie Netto (ohne Hund) zur Edeka und wetteifern im Niedrigpreis-Segment ansonsten noch mit Lidl, den Aldis, Norma sowie Netto (mit Hund). Die bunte Auswahl an Lebensmittel-Billigmärkten gehört inzwischen quasi zum deutschen Kulturgut. Im Gegensatz zur Mitbewerber-Riege ist Penny in dieser Woche ein glanzvoller PR-Coup gelungen: Der Händler hat im Marktregal Preise aufgerufen, die die wahren, versteckten Kosten des Lebensmittels enthalten, was den Käse dann in etwa doppelt so teuer macht. Nicht Pi mal Daumen, sondern mit wissenschaftlicher Begleitung – allerdings nur bei einer Handvoll Produkten. Alle, die das Thema interessiert, haben diese Woche mehr oder weniger wertschätzend aufgehorcht. Und alle, die es eher nicht so interessiert, haben die wenigen Artikel wahrscheinlich sowieso übersehen. Penny, der die Mehreinnahmen spenden wird, ist jetzt in der öffentlichen Wahrnehmung eine Art selbstkritischer Wohltäter, ohne dabei nennenswerten wirtschaftlichen Schaden erlitten zu haben. So geht Reklame.

Für Forschende der Technischen Hochschule Nürnberg und der Uni Greifswald war die Geschäftstüchtigkeit des Discounters hingegen ein nützlicher Forschungsumstand. Sie haben die Zahlen geliefert und mittels einer True Cost Accounting genannten Methode ausgerechnet, dass die Wurst zwei Enden hat. Den regulären Verkaufspreis zum einen und die aufaddierten Schäden zum anderen. Diese Schäden werden vom Produkt in den Bereichen Gesundheit, Böden, Wasser und Klima verursacht und müssen von allen Menschen indirekt finanziell ausgeglichen werden. Deshalb kostet das 400-Gramm-Pack Wiener-Würstel in dieser Woche symbolische sechs Euro und einen Cent, statt 3,19 Euro. Ein unterer Näherungswert, wohlgemerkt, weil unmöglich alle versteckten Kosten berücksichtigt werden können.

Eine stilisierte Wurst zeigt, dass auf den Ladenpreis zum Beispiel 1,17 Euro für Bodenschäden und 94 Cent für Klimaschäden aufgeschlagen werden müssen, insgesamt mehr als 88 Prozent
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Bei den Gesundheitskosten etwa geht es vor allem um gesundheitliche Schäden aufgrund von ökologischen Emissionen. "Zum Beispiel wirken einige Stoffe in Pestiziden toxisch auf den Menschen, oder Ammoniak aus Exkrementen von Nutztieren fördert Feinstaubbildung, was krebserregend und schädlich für Atemwege ist", erklärt die Nachhaltigkeitsforscherin Amelie Michalke von der Uni Greifswald, eine der beiden Projektverantwortlichen. Die Lebensmittel haben aber auch nachweisbare Klimaeffekte, die ebenfalls nicht kostenfrei bleiben. "Weil aufgrund des Klimawandels vermehrt Extremwetterereignisse auftreten und diese natürlich Schäden an Infrastruktur ausrichten, welche dann wieder über Versicherungsgelder et cetera teuer aufgebaut werden muss." Und Wasser? Damit durch Dünger belastetes Wasser zu Trinkwasser wird, muss es aufbereitet werden. Die Rechnung schicken die Wasserwerke.

Das Preisschild im Markt ist also nicht der Preis, den das Lebensmittel tatsächlich kostet, wenn man bedenkt, welche Kosten Verbrauchende an derer Stelle zu tragen haben. Michalke und Team sind zwar grundsätzlich daran interessiert, eine große Produktpalette zu untersuchen, der Partner Penny wollte es aber erstmal bei einer überschaubaren Gruppe belassen: je einmal Hartkäse, Mozzarella, Früchtejoghurt, Würstel – diese Produkte jeweils in einer konventionellen und einer Bio-Variante. Hinzu kam noch ein verganes Schnitzel.

Zwei stilisierte Diagramme als Käsestücken zeigen, dass bei konventionellen Käse 95,94 Prozent und bei Bio-Käse 69 Prozent aufgeschlagen werden müssen. Damit kosten 100 Gramm Maasdamer 1,61 statt 83 Cent. Bei Bio sind es 1,85 statt 1,10 Euro.
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Die Aufschläge bei letzterem – einem pflanzlichen Produkt – fielen mit sieben Cent pro hundert Gramm sehr überschaubar aus. Beim Rest reden wir vom bis zu doppelten Preis. Im Fall von Käse lässt sich zum Beispiel ableiten: Je härter, desto mehr Milch ist drin – und desto höher der Schaden. Erwartungsgemäß fielen die Preisaufschläge bei Bioprodukten teils deutlich geringer aus, weil die Folgekosten ökologischer Lebensmittel geringer sind. Durch den höheren Verkaufspreis ähneln sich die Preise von konventionellen und Bio-Produkten unterm Strich. Das Argument, ökologische Lebensmittel mit ihren zusätzlichen Vorteilen seien deutlich teurer als konventionelle, ist also rechnerisch falsch.

Im derzeitigen System sind solche Preisaufschläge allerdings kaum eine Lösung, außer die Mehreinnahmen würden eins zu eins in die Verhinderung der potenziellen Schäden fließen. Amelie Michalke gesteht, dass sie sich nicht sicher ist, ob der Preis der richtige Hebel ist: "Denn so wird der Schaden eben weiterhin von jenen verursacht, die ihn sich leisten können." (Denken Sie jetzt auch gerade an Privatjets?) Kosten müssten vielmehr schon von vornherein vermieden werden, fordert sie. "Nachhaltige Produktionsweisen und Produkte sollten lukrativ sein, für Konsumten:innen und Landwirt:innen. Steuersätze sollten die ökologische Sinnhaftigkeit der Produkte widerspiegeln." Und Subventionen sollten nicht flächen-, sondern nachhaltigkeitsbezogen ausgezahlt werden.

Ist es richtig, für diese Botschaft einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, also mit Penny, einem Fehler im ökologischen System? Während Greenpeace in diesen Tagen zur gelungenen Aktion gratulierte, musste das Team aus Greifswald und Nürnberg auch Kritik einstecken, von Foodwatch etwa: Das Ganze sei einfach Greenwashing für den Discounter. "Zunächst mal haben wir Penny nicht ausgewählt, das war anders herum. Von einem Bio-Laden oder anderem Nicht-Discounter haben wir bis dato noch keine Anfrage erhalten", so die Wissenschaftlerin, die eben nicht erst seit dieser Woche zu der Thematik forscht. "Ich kann die Kritik absolut nachvollziehen und bin ebenso kein Fan von dem extremen Preisgegaukel, was im Discounter-Land Deutschland von den marktmächtigen Ketten ausgeht. Dennoch: einer muss anfangen." Richtig ist auch, dass der Effekt bei einer Bio-Supermarktkette, deren Verbrauchende höhere Preise ohnehin gewohnt sind, möglicherweise verpuffen würde. 

Und jetzt?

"Wir denken, dass die Produkte – auch wegen der kurzen Zeit – vermutlich sehr wenig nachgefragt werden." Aber das sei eben auch eine Erkenntnis: "Stellschraube kann nicht primär der Preis für Verbraucher:innen sein, sondern es sollte früh entlang der Wertschöpfungskette angesetzt werden, damit Umweltfolgekosten erst gar nicht entstehen." Nach der Woche wertet das Team Umfrageergebnisse und Absatzzahlen aus, um zu sehen, ob Schlüsse für sinnvolle politische Maßnahmen gezogen werden können. "Auch erhoffen wir uns, dass solche Kalkulationen vermehrt Eingang in das interne Rechnungswesen von Unternehmen finden."

Reden ist Silber, Taten sind Gold – oder so. Wäre Amelie Michalke eigentlich selbst bereit, die wahren Kosten für Lebensmittel direkt statt indirekt zu tragen? "Wenn es keine Kompensation wäre, sondern das Geld so eingesetzt würde, dass Schäden entlang der Produktionskette von Lebensmitteln vermieden werden können, dann auf jeden Fall!" Bei einer pflanzlichen Ernährung, in die mehr Getreide, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse einfließen, wird's ja auch nicht mal so teuer mit den wahren Kosten.

Und da war ja noch die Kritik vom Landwirtschaftsverband – Hintergründe dazu lesen Sie im kompletten Gespräch mit Amelie Michalke:


🗓 Klima-Termine

5. bis 12. August – Titschendorf

Der BUND lädt ins Ferienhaus Zum Echo zum Workcamp am grünen Band. Dabei: Angeleitete Mahd mit der Sense, Schmetterlingsbeobachtung, Wanderungen. Teilnahme kostenlos, hier Infos und Anmeldung.

Sonntag, 13. August – Magdeburg

Im BUND-Ökogarten gibt es gleichermaßen zu lernen und zu tun: gießen, Ernte von Früchten und deren Nutzung, Verarbeitung und Lagerung, allgemeine Gartenpflege. Und Lagerfeuerromantik obendrein. Infos

Sonnabend, 26. August – Torgau, Oschatz, Dahlen

Das Projekt Netzstelle Natura 2000 lädt zur Busexkursion, in der Waldflächen erlebt werden können, die integrativ und naturgemäß bewirtschaftet werden. Was ist ein Habitatbaum? Wie funktioniert Naturverjüngung? Und warum fühlt sich der Hirschkäfer in der Dahlener Heide wohler als im Wermsdorfer Wald? Es führen zwei Revierförster. Anmeldung und Infos


📰 Klimaforschung und Menschheit

Rekordtemperatur im Nordatlantik

Das Oberflächenwasser im Nordatlantik ist so warm wie noch nie seit Beginn der Messungen im Jahr 1981. Die Durchschnittstemperatur lag nach vorläufigen Daten der Universität Maine (USA) am letzten Sonnabend im Juli bei 25 Grad. Der bisherige Rekord beträgt 24,9 Grad und wurde Anfang September 2022 gemessen. Die Wassertemperatur könnte Auswirkungen auf die Lufttemperatur haben. Für den August wird ein weiterer Anstieg erwartet. Zum Nordatlantik zählt der Ozean zwischen London und Florida sowie Schottland und dem Äquator. Mehr bei der tagesschau

Rekordstrafe für Klimaaktivisten

In Großbritannien sind zwei Klimaaktivisten, darunter ein Deutscher, zu einer Gefängnisstrafe von drei beziehungsweise gut zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Die Männer der Organisation Just Stop Oil sind im Oktober 2022 auf die Queen Elizabeth II-Brücke in sechzig Metern Höhe geklettert, was zu einer Sperrung der Brücke für vierzig Stunden führte. Das britische Berufungsgericht räumte ein, dass es eine "lange und ehrenwerte Tradition des zivilen Ungehorsams aus Gewissensgründen" gebe und dass das Urteil härter ausfiele als Strafen für ähnliche Tatbestände in der Vergangenheit. Allerdings sei sie angesichts einer neuen Gesetzeslage angemessen und diene der Abschreckung. Die Aktion hätte „extreme Folgen“ für zahlreiche Menschen gehabt. Mehr bei der Berliner Zeitung

Rekordkompensation von CO2 durch Osteuropäische Landschaften

Gegenden Osteuropas und des östlichen Mitteleuropas sind die größten Kohlenstoffsenken des Kontinents. Das haben Forschende am Karlsruher Institut für Technologie und anderen Forschungseinrichtungen herausgefunden. So würden insbesondere die osteuropäischen Wälder ein großes Potenzial besitzen, langfristig Kohlenstoff aufzunehmen. Der Vergleich der Kohlenstoffbilanz hätte ergeben, dass die Landoberfläche Osteuropas pro Jahr rund 410 Millionen Tonnen Kohlenstoff in Biomasse gebunden hat. Das entspreche etwa 78 Prozent der Kohlenstoffsenken von ganz Europa. Die größten Speicher konnten vor allem im Grenzgebiet zwischen Ukraine, Belarus und Russland, im südlichen Uralgebirge und auf der Kola-Halbinsel im äußersten Nordwesten Russlands ausgemacht werden. Die Kohlenstoffaufnahme sei jedoch rückläufig. Als Grund nennen die Forschenden vor allem einen Anstieg der Holzentnahme im westlichen Russland sowie eine Verminderung des Waldaufwuchses auf ehemaligen landwirtschaftlichen Flächen. Zudem wirke sich der Klimawandel zunehmend auf die Wälder aus.

Keine Rekordwärme im Mittelalter?

Die mittelalterliche Warmzeit war möglicherweise kühler als gedacht, das legt ein internationales Forschungsteam im Fachblatt Nature nahe. Die Forschenden haben dazu Baumringe auf der skandinavischen Halbinsel detailliert analysiert. Die Ergebnisse widerlegen die Annahme, während der sogenannten mittelalterlichen Klimaanomalie von etwa 950 bis 1250 sei es in Europa ähnlich warm oder sogar wärmer gewesen als während des 20. Jahrhunderts. Das unterstreiche die Abweichung der derzeitigen Temperaturen von natürlichen Schwankungen. Hintergründe haben Geo und n-tv.


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Der Kollege Clemens Haug lässt ausrichten, dass in Anhalt ein Elch gesichtet wurde. Kollege Haug interessiert sich derzeit sehr für Elche, weil er bald in Skandinavien urlaubt. Trotzdem verrückt: Angesichts des Klimawandels müssten die Tiere eher von Nord nach Nord wandern, statt von Nord nach Süd. Vielleicht haben’s ihm die hiesigen kühl-nassen Hundstage 2023 angetan, richtige Elchstage sozusagen.

Ein Elch ist aber kein Einhorn. Sichtungen hat es in Mitteldeutschland, gerade in Sachsen, immer mal gegeben. Kein Wunder, schließlich zählen Polen und Tschechien zum erweiterten Lebensraum. Elche gelten im Übrigen als konfliktscheu – ein Knutscher ist beim nächsten Spaziergang durch die Dübener Heide also bedauerlicherweise nicht zu erwarten.

Ta hand om dig själv och världen! Und die Elche. 龜

Herzlichst
Florian Zinner


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