Regal beim Discounter mit hervorgehobenen Bio-Würstchen mit hohem Aktionspreis von fast sechs Euro.
Bildrechte: imago/dts Nachrichtenagentur (M)

Gespräch mit Amelie Michalke Kosten für Lebensmittel: "Stellschraube kann nicht primär der Preis sein."

04. August 2023, 13:21 Uhr

Wie viel kosten Lebensmittel wirklich? Ein Forschungsprojekt der Uni Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg in Kooperation mit einem deutschen Discounter hat aufhorchen lassen. Ein paar wenige Produkte kosten plötzlich mehr – aber nur für eine Woche. Was soll das bringen? Und warum ausgerechnet "ein Pakt mit dem Teufel"? Das besprechen wir mir einer der beiden Projektverantwortlichen, Amelie Michalke.

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
Bildrechte: MDR

Frau Michalke, die Auswahl der Produkte für die in dieser Woche bei Penny "wahre Preise" veranschlagt werden, ist überschaubar. Im Grunde sind es nur je ein konventionelles und ökologisches Produkt von Hartkäse, Mozzarella, Joghurt und Würstel. Und ein einsames veganes Schnitzel. Warum so wenig?

Amelie Michalke: Aus wissenschaftlicher Perspektive möchten wir natürlich eine breite Menge an Produkten abbilden. Deshalb wären ein paar pflanzliche Produkte sowie eine Variation an tierischen eine sinnvolle Auswahl gewesen. Aufgrund von Penny-internen Diskussionen wurde es dann letztlich aber diese Auswahl.

Die neun Artikel werden von den meisten Verbrauchenden wahrscheinlich schlichtweg übersehen.

Porträt von junger Frau mit freundlichem Blick, längeren braunen Haaren und Halskette
Dr. Amelie Michalke Bildrechte: Universitäts-Bibliothek Augsburg/Anatoli Oskin (M), MDR

Michalke: Ja, ich denke auch, dass ohne eine öffentliche Kommunikation einige der Produkte leicht zu übersehen sind – schließlich gibt es mehr als 3000 Produkte in so einem Markt und viele Substitutionsprodukte [Alternativen, Anm. d. Red] für die Kampagnenprodukte. Allerdings gehe ich davon aus, aufgrund der sehr öffentlichen Diskussion und der großflächigen Berichterstattung, dass die Produkte gegebenenfalls aufgesucht oder beim Personal erfragt werden.

In der Auswahl dominieren Milchprodukte. Mal abgesehen von den Würsteln wäre der wahre Preis von anderen Fleischprodukten besonders interessant gewesen. Warum fehlen Fisch, Geflügel- und vor allem Rindersteak?

Michalke: Wie gesagt, die finale Auswahl wurde von Penny getroffen. Es ist natürlich extrem sinnvoll, zwischen verschiedenem Fleisch zu unterscheiden. Die Bio-Würstchen sind in einem Mischkarton, in dem sowohl Geflügel- als auch Schweinewiener sowie Rindsknacker drin sind. Aufgrund der selben Artikelnummer konnten wir den Preis nicht unterschiedlich ausschreiben, in unserer eigenen Kommunikation auf wahre-preise.com findet man allerdings eine aufgeschlüsselte Aufstellung.

Dr. Amelie Michalke … ist Nachhaltigkeitsforscherin an der Uni Greifswald am Institut für Geographie und Geologie. Sie forscht zu externen ökologischen und sozialen Effekten entlang landwirtschaftlicher Produktionsketten sowie zur nachhaltigen Transformation von Ernährungssystemen und Ernährungsweisen sowie dem Verhalten von Konsumentinnen und Konsumenten bei der Implementierung wahrer Kosten in Lebensmittelpreise.

Konventioneller Maasdamer wird um gut 95 Prozent teurer, Bio-Maasdamer um 69 Prozent, bei den Wienern sind es 88 und 63 Prozent. Sie haben Aufschläge für Schäden im Bereich Wasser, Gesundheit, Klima und Boden dazuaddiert. Wie kann man sich die vorstellen?

Eine stilisierte Wurst zeigt, dass auf den Ladenpreis zum Beispiel 1,17 Euro für Bodenschäden und 94 Cent für Klimaschäden aufgeschlagen werden müssen, insgesamt mehr als 88 Prozent
Bildrechte: MDR WISSEN

Michalke: Also: bei Gesundheit geht es vor allem um gesundheitliche Schäden aufgrund von ökologischen Emissionen. Zum Beispiel wirken einige Stoffe in Pestiziden toxisch auf den Menschen. Oder Ammoniak aus Exkrementen von Nutztieren fördert Feinstaubbildung, was krebserregend und schädlich für die Atemwege ist. Klimakosten entstehen uns zum Beispiel, weil aufgrund des Klimawandels vermehrt Extremwetterereignisse auftreten und diese natürlich Schaden an Infrastruktur verursachen, welche dann wieder über Versicherungsgelder et cetera teuer aufgebaut werden muss.

Diese Kritik haben sie wahrscheinlich im Vorfeld erwartet – Foodwatch bezeichnet die Aktion als Greenwashing für Penny. Sie haben kommuniziert, dass die Wirkung bei einem Discounter stärker ist als in einem Bio-Supermarkt. Trotzdem sind Penny, Aldi und Netto – ob mit oder ohne Hund – ein Fehler im System und für die Kultur der billigen Lebensmittel mitverantwortlich. Penny wirbt im FAQ auch offen damit, dass nach dem Zeitraum die Preise wieder "Penny-günstig" seien. Wie gehen Sie damit um?

Michalke: Zunächst mal haben wir Penny nicht ausgewählt, das war andersherum. Von einem Bio-Laden oder anderem Nicht-Discounter haben wir bis dato noch keine Anfrage erhalten. Ich kann die Kritik absolut nachvollziehen und bin ebenso kein Fan von dem extremen Preisgegaukel, was in Discounter-Land Deutschland von den marktmächtigen Ketten ausgeht. Dennoch: Einer muss anfangen. Wir erhoffen uns einfach einen großen Impuls in die richtige Richtung und hoffen ebenso, dass diese Überlegungen mittelfristig Eingang in Geschäftsmodelle finden – ob Penny diesen Weg mit uns weitergeht, bleibt abzuwarten.

Der Deutsche Bauernverband hält das Projekt für auf Kosten der Landwirtinnen und Landwirte ausgetragenes Greenwashing. Sie wahrscheinlich nicht?

Zwei stilisierte Diagramme als Käsestücken zeigen, dass bei konventionellen Käse 95,94 Prozent und bei Bio-Käse 69 Prozent aufgeschlagen werden müssen. Damit kosten 100 Gramm Maasdamer 1,61 statt 83 Cent. Bei Bio sind es 1,85 statt 1,10 Euro.
Bildrechte: MDR WISSEN

Michalke: Zu keinem Zeitpunkt haben wir unsere Berechnungen als Kritik an Landwirt:innen instrumentalisiert. Wir veröffentlichen schlicht und ergreifend ökologische Daten und zwar entlang der ganzen Produktionskette, also auch inklusive der Prozessierung und Transportwege. Ich kann den Frust aus der Landwirtschaft verstehen und teile ihn: unser Ernährungssystem ist weder nachhaltig für Gesellschaft und Umwelt als auch für Landwirt:innen. Zusätzlich wird die Arbeit der Landwirtschaft gesellschaftlich nicht genug wertgeschätzt, obwohl sie unsere Lebensgrundlage produzieren. Ich denke eher, dass eine wahre Kostenkalkulation der Landwirtschaft zuträglich sein wird, denn nachhaltige Bewirtschaftung soll sich damit lohnen!

Eine Woche ist jetzt kein wahnsinnig langer Zeitraum. Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich denn in der Zeit?

Michalke: Wir denken, dass die Produkte – auch wegen der kurzen Zeit – vermutlich sehr wenig nachgefragt werden, der Absatz wird wohl deutlich zurückgehen. Aber das ist auch eine Erkenntnis: Stellschraube kann nicht primär der Preis für Verbraucher:innen sein, sondern es sollte früh entlang der Wertschöpfungskette angesetzt werden, damit Umweltfolgekosten erst gar nicht entstehen. Denn Vermeidung ist immer günstiger als den Schaden später zu bezahlen.

Ich weiß ich nicht, ob der Preis wirklich der richtige Hebel ist.

Und wie geht's mit dem Forschungsprojekt generell so weiter?

Michalke: Wir werten zunächst die Absatzzahlen und Umfrageergebnisse aus, um zu sehen, ob wir Schlüsse für sinnvolle politische Maßnahmen ziehen können. Auch erhoffen wir uns, dass solche Kalkulationen vermehrt Eingang in das interne Rechnungswesen von Unternehmen finden und so mittelfristig auch große Unternehmen – wie Penny – ihre Nachhaltigkeitsstrategie mit ihrer Wirtschaftsstrategie vereinigen.

Die höheren, wahren Preise können aber eigentlich nur der Veranschaulichung dienen und würden das Problem nicht lösen – sondern am Ende womöglich doppelte Kosten verursachen.

Michalke: Richtig, denn wir zahlen diese Kosten derzeit ja schon mit den Folgen des Klimawandels und anderen Umweltkatastrophen.

Was sind denn Ihrer Meinung nach vielversprechendere Lösungsansätze?

Michalke: Es sollten die Kosten schon von vornherein vermieden werden: Nachhaltige Produktionsweisen und Produkte sollten lukrativ sein, für Konsumten:innen und Landwirt:innen. Steuersätze sollten die ökologische Sinnhaftigkeit der Produkte widerspiegeln. Und Subventionen sollten – nicht wie jetzt flächenbezogen – sondern nachhaltigkeitsleistungsbezogen ausgezahlt werden.

Dennoch müssen wir uns der unangenehmen Wahrheit stellen, dass gerade in Discounter-Land Deutschland unsere Lebensmittel einfach zu billig sind.

Und wie stehen Sie dazu, auf luxuriöse Lebensmittel wie Milchprodukte und Fleisch tatsächlich Aufschläge zu erheben?

Michalke: Grundsätzlich haben wir in Deutschland einen Überkonsum von diesen Produkten. Dennoch weiß ich nicht, ob der Preis wirklich der richtige Hebel ist. Denn so wird der Schaden eben weiterhin von jenen verursacht, die ihn sich leisten können. Das ist eine weitere Dimension sozialer Ungerechtigkeit. Dennoch müssen wir uns der unangenehmen Wahrheit stellen, dass gerade in Discounter-Land Deutschland unsere Lebensmittel einfach zu billig sind. Fazit: ich habe den goldenen Lösungsweg noch nicht gefunden. Aber dafür sollte es eben auch politisches Engagement geben, was wir bis hierhin noch wenig sehen können.

Hand aufs Herz: Wenn Sie damit die klima- und umweltschädliche Wirkung kompensieren könnten, wären Sie denn bereit, die derzeitigen wahren Kosten für Lebensmittel dauerhaft zu tragen?

Michalke: Wenn es keine Kompensation wäre, sondern das Geld so eingesetzt würde, dass Schäden entlang der Produktionskette von Lebensmitteln vermieden werden können, dann auf jeden Fall! Und wenn man sich dazu noch etwas mehr pflanzlich ernährt, also mehr Getreide, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse, dann wird es auch mit wahren Kosten gar nicht so viel teurer.

Frau Michalke, besten Dank!

Mehr zum Thema

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 31. Juli 2023 | 22:20 Uhr

23 Kommentare

Peter am 04.08.2023

"Eins ist klar mit dieser Aktion werden die Menschen in die Armut getrieben"
Lieber ossi, jetzt machen Sie sich aber selbst lächerlich, wenn Sie meinen, 9 Produkte zum "wahren Preis" würden die Menschen in die Armut treiben.

MDR-Team am 04.08.2023

Lieber ossi,

diese Aktion sollte ein Versuch, ein Test, ein Ausprobieren sein. Keine/r sollte davon in die Armut getrieben werden. Und jede/r konnte ja auch selbst entscheiden, ob man es kauft oder nicht. Alle Vor- und Nachteile der Aktion werden in dem Interview abgefragt.
Und am Ende betreffen die möglichen Folgen des Klimawandels alle - arm oder reich.

AlexLeipzig am 04.08.2023

Letztlich haben wir Verbraucher es auch selbst in der Hand: weniger Fleisch- und Milchprodukte schonen Umwelt und Gesundheit, das gesparte Geld kann man in nachhaltigere Lebensmittel investieren. Ich habe es erst selbst im Urlaub probiert: zwei Wochen ohne Schnitzel und Bratwurst hielten viele andere leckere Dinge wie Salate oder belegte Brote bereit, und ich habe nichts vermisst und war weniger müde nach dem Essen. Man kann sich auch umgewöhnen, ohne daß das zwangsläufig einen Verzicht auf Genuß bedeutet.